Forschung und direkte Hilfestellung

Die Familien Schwyn führten über vier Generationen die psychiatrische Privatklinik Littenheid im Kanton Thurgau. Nach dem Verkauf 2016 gründeten Hans und Marianne Schwyn mit einem Teil des Erlöses im Jahr 2017 die «Hans und Marianne Schwyn-Stiftung».

Was waren die Haupt­be­weg­gründe, eine Stif­tung zu gründen?

Hans Schwyn: Es war uns schon länger klar, dass wir intern keine Nach­folge für die Klinik Litten­heid haben werden. Mit dem Verkauf der Klinik an die Fami­lien Hinderer/Bosshard, die die Psych­ia­tri­sche Privat­kli­nik Schlössli Oetwil am See und das Pfle­ge­heim Berg­heim führen, waren wir finan­zi­ell gut aufge­stellt. Wir frag­ten uns, wie wir das über vier Gene­ra­tio­nen erar­bei­tete Vermö­gen sinn­voll einset­zen können. Eine Stif­tung mit Schwer­punkt Psych­ia­trie und Psycho­the­ra­pie schien uns naheliegend.

Inwie­fern hat diese Fami­li­en­ge­schichte die heutige Ausrich­tung der Stif­tung beeinflusst?

Mari­anne Schwyn: Durch unsere lang­jäh­rige fami­liäre Verbin­dung zur Psych­ia­trie ist die Nähe mit psychisch beein­träch­tig­ten Menschen ein Teil unse­res Lebens gewor­den. Wir wissen aus Erfah­rung, dass öffent­li­che Mittel für viele Ange­bote und Akti­vi­tä­ten für diese Pati­en­ten­gruppe nach dem Klinik­aus­tritt für eine Stabi­li­sie­rung im Alltag oft fehlen.

In welchen Berei­chen setzt die Stif­tung konkret an?

MS: Unsere Stif­tung ist thema­tisch und geogra­fisch breit aufge­stellt. Ein zentra­ler Förder­schwer­punkt liegt in der akade­mi­schen Nach­wuchs­för­de­rung. Wir unter­stüt­zen gezielt Forschungs­pro­jekte der Medi­zi­ni­schen Fakul­tät der Univer­si­tät Zürich und arbei­ten dabei eng mit der UZH Foun­da­tion zusam­men. Konkret finan­zie­ren wir klini­sche Forschungs­zeit für Nach­wuchs­for­schende in Psych­ia­trie und Psycho­the­ra­pie, sie erhal­ten «protec­ted rese­arch time», sodass sie neben ihrer klini­schen Arbeit über einen länge­ren Zeit­raum auch wissen­schaft­lich tätig sein können. 

Öffent­li­che Mittel für viele Ange­bote und Akti­vi­tä­ten für diese Pati­en­ten­gruppe fehlen oft.

Mari­anne Schwyn

Der zweite Förder­schwer­punkt ist das Gegen­stück zur akade­mi­schen Förde­rung: Wir unter­stüt­zen Orga­ni­sa­tio­nen wie die Stif­tun­gen Pro Mente Sana, Living Museum Schweiz und Medair, welche Betrof­fe­nen im In- und Ausland direkt Hilfe­stel­lun­gen in Form von Bera­tun­gen oder psycho­so­zia­ler Unter­stüt­zung anbieten. 

Wie sehen diese Hilfe­stel­lun­gen aus?

HS: Die Pro Mente Sana bietet kosten­lose und nieder­schwel­lige Bera­tung für Erwach­sene mit psychi­schen Beein­träch­ti­gun­gen und ihre Ange­hö­ri­gen an. Eben­falls enga­giert sich die Stif­tung stark in der Sensi­bi­li­sie­rungs- und Öffentlichkeitsarbeit.

Über die Stif­tung Medair haben wir seit ein paar Jahren ein Projekt im Liba­non unter­stützt, das trau­ma­ti­sierte Flüch­tin­gs­kin­der aus Syrien psycho­the­ra­peu­tisch betreute. Durch die Verschlim­me­rung der wirt­schaft­li­chen Verhält­nisse im Liba­non unter­stützt Medair eine breite Bevöl­ke­rungs­gruppe mit Nothilfe und psycho­lo­gi­scher Betreuung.

MS: Die Stif­tung «Living Museum Schweiz» als Able­ger einer inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­tion bietet Menschen mit einer psychi­schen Beein­träch­ti­gung die Möglich­keit, sich künst­le­risch zu betä­ti­gen und bietet so Kontakt­mög­lich­kei­ten unter­ein­an­der und eine sinn­volle und krea­tive Tages­struk­tur. Die Finan­zie­rung solcher Ange­bote ist ein gros­ses Problem und ohne gross­zü­gige Spon­so­ren – in der Regel grös­sere private oder staat­li­che Insti­tu­tio­nen – nicht möglich. Über den Kontakt mit dem Verein «Living Museum Schweiz» unter­stüt­zen wir den Start von «Living Muse­ums» in Zürich und Schaff­hau­sen. Alle diese Insti­tu­tio­nen fördern wir über einen Zeit­raum von mehre­ren Jahren.

Wie wählt die Stif­tung Förder­pro­jekte und Zuwen­dun­gen aus?

HS: Im Rahmen der Förder­pro­jekte ergrei­fen meis­tens wir die Initia­tive für eine Zusam­men­ar­beit. Bei den Schwei­zer Projek­ten im Bereich der Psych­ia­trie und Psycho­the­ra­pie sind wir aktiv auf die verschie­de­nen Stif­tun­gen zuge­gan­gen – entwe­der auf etablierte Insti­tu­tio­nen oder, nach posi­ti­ven Erfah­run­gen und Rück­mel­dun­gen, auch auf einzelne Einrich­tun­gen. Das Living Museum ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir als Stif­tungs­rat arbei­ten. Eine Malthe­ra­peu­tin in unse­rem Stif­tungs­rat hat uns auf das Projekt aufmerk­sam gemacht. Wir haben dann den persön­li­chen Kontakt zur Insti­tu­tion gesucht und gemein­sam die Rahmen­be­din­gun­gen für eine Zusam­men­ar­beit festgelegt.

MS: Wir erhal­ten jähr­lich rund 100 Gesu­che für Förder­pro­jekte oder Zuwen­dun­gen und bewil­li­gen in etwa 70. Bei den mehr­jäh­ri­gen Projek­ten im Ausland mit Fokus auf psychi­sche Gesund­heit und Bildung stehen wir direkt in Kontakt mit den zustän­di­gen Leitungs­per­so­nen. Diese sind von sich aus auf uns zuge­kom­men. Nach sorg­fäl­ti­ger Prüfung der Projekte haben wir eine nach­hal­tige, wieder­keh­rende finan­zi­elle Unter­stüt­zung ausge­spro­chen. Es sind beispiels­weise Wasser- und Bildungs­pro­jekte in Afrika, von denen wir wissen, dass jeder Fran­ken direkt bei den Menschen ankommt. Wir erhal­ten auch Anfra­gen von Insti­tu­tio­nen und Einzel­per­so­nen, die meist einma­lig klei­nere Beiträge erbe­ten. Über diese Zuwen­dun­gen entschei­den wir oft «aus dem Bauch» heraus, jedoch immer in Über­ein­stim­mung mit unse­rem Stif­tungs­zweck. Wir fördern Projekte in unse­rer nähe­ren Region St. Gallen und Thur­gau – sei es im sozia­len, kultu­rel­len oder künst­le­ri­schen Bereich.

Zum Beispiel?

HS: Wir unter­stüt­zen regel­mäs­sig das Klos­ter Fischin­gen bei ihren klas­si­schen Konzer­ten. Um eine einma­lige Zuwen­dung hatte ein Gross­va­ter für seinen Enkel ange­fragt. Dieser ist ein begeis­ter­ter und begab­ter Judo-Sport­ler, dessen allein­er­zie­hende Mutter die Kosten für die Sport­schule nicht tragen konnte. Wir haben ihm einen Teil der Ausbil­dung finan­ziert – wenige Jahre später wurde er ins Natio­nal­ka­der von swiss olym­pics aufgenommen.

Die Stif­tung finan­ziert sich privat aus Eigen­mit­teln. Gibt es Über­le­gun­gen, die Finan­zie­rung zukünf­tig durch Part­ner­schaf­ten oder Dritt­mit­tel zu diver­si­fi­zie­ren? 

HS: Im Moment nicht. Ein Teil des Erlö­ses aus dem Verkauf unse­rer Klinik fliesst in die «Schwyn Stif­tung», wodurch wir auch in Zukunft über ausrei­chend Mittel verfü­gen und nicht auf Spen­den ange­wie­sen sind. Trotz­dem ist uns die Zusam­men­ar­beit mit ande­ren Akteu­ren wich­tig. 2023 orga­ni­sier­ten wir ein Tref­fen mit Schwei­zer Stif­tun­gen, die in ihrer Stif­tungs­ar­beit ähnli­che Schwer­punkte wie wir setzen. Unge­fähr 15 Stif­tun­gen nahmen teil, um gegen­sei­tig mehr über die Arbeits­weise ande­rer Stif­tun­gen zu erfah­ren. Wir stehen heute noch mit eini­gen dieser Stif­tun­gen in Kontakt, mit denen wir uns eine zukünf­tige Zusam­men­ar­beit bei grös­se­ren Projek­ten vorstel­len können.

MS: Beim Living Museum beispiels­weise könn­ten wir uns lang­fris­tig vorstel­len, das Projekt gemein­sam mit ande­ren Stif­tun­gen zu finan­zie­ren. Konkre­tes ist aber noch nicht in Planung.

Der Erfolg von Projek­ten wie das Living Museum zeigt, dass unsere Gesell­schaft immer mehr sensi­bi­li­siert ist auf psychi­sche Gesund­heit. Hat das Ihre Förder­pra­xis verändert?

MS: Nein, den Schwer­punkt haben wir uns vorher schon gesetzt. Die Sensi­bi­li­sie­rung für Themen der psychi­schen Gesund­heit hat zwar die Wahr­neh­mung in der Öffent­lich­keit verbes­sert, aber an der oft nicht vorhan­de­nen Finan­zie­rung nichts geändert.

Mehr Bewusst­sein bedeu­tet also nicht auto­ma­tisch mehr Mittel. Wo liegen die Hürden?

HS: Der ganze Gesund­heits­sek­tor ist geprägt von zuneh­men­den Kosten aufgrund der Alte­rung unse­rer Gesell­schaft, dem medi­zi­ni­schen Fort­schritt und ande­rer Fakto­ren. Thera­peu­ti­sche Ange­bote in Rich­tung einer sinn­vol­len Tages­struk­tur und Behand­lung über längere Zeit fallen zwischen Stuhl und Bank, wenn sie nicht zu den Pflicht­leis­tun­gen für die Kran­ken- oder Inva­li­den­ver­si­che­rung zählen. Sie sind aber für die Lebens­qua­li­tät und das Selbst­wert­ge­fühl der Betrof­fe­nen entscheidend.

MS: Das haben wir vor allem während der Covid-Pande­mie gemerkt, beispiels­weise im Living Museum. Viele Menschen, die das Ange­bot nutz­ten, hatten grosse Schwie­rig­kei­ten mit den Einschrän­kun­gen und der Auffor­de­rung «blei­ben Sie zuhause». Sie konn­ten den Auffang­raum nicht mehr nutzen und hiel­ten zum Teil Kontakt über die sozia­len Medien.

Wie sieht die Zukunft Ihrer Stif­tung aus?

HS: Wie schon erwähnt ist die Finan­zie­rung für längere Zeit gesi­chert. Schritt­weise kann der Kreis unse­res Stif­tungs­rats, der noch sehr auf unsere Fami­lie beschränkt ist, erwei­tert werden.

MS: Zudem wollen wir unsere Netz­werke weiter ausbauen. Unsere Stif­tung besteht nun aktiv seit acht Jahren – in dieser Zeit haben wir bereits viele Koope­ra­tio­nen aufge­baut und vertieft. Nach der Aufbau­phase folgt jetzt als nächs­ter Schritt die Konso­li­die­rungs­phase. Wir wollen uns noch stär­ker mit ande­ren Stif­tun­gen und Insti­tu­tio­nen vernet­zen und noch mehr Know­how austauschen.

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