Was waren die Hauptbeweggründe, eine Stiftung zu gründen?
Hans Schwyn: Es war uns schon länger klar, dass wir intern keine Nachfolge für die Klinik Littenheid haben werden. Mit dem Verkauf der Klinik an die Familien Hinderer/Bosshard, die die Psychiatrische Privatklinik Schlössli Oetwil am See und das Pflegeheim Bergheim führen, waren wir finanziell gut aufgestellt. Wir fragten uns, wie wir das über vier Generationen erarbeitete Vermögen sinnvoll einsetzen können. Eine Stiftung mit Schwerpunkt Psychiatrie und Psychotherapie schien uns naheliegend.
Inwiefern hat diese Familiengeschichte die heutige Ausrichtung der Stiftung beeinflusst?
Marianne Schwyn: Durch unsere langjährige familiäre Verbindung zur Psychiatrie ist die Nähe mit psychisch beeinträchtigten Menschen ein Teil unseres Lebens geworden. Wir wissen aus Erfahrung, dass öffentliche Mittel für viele Angebote und Aktivitäten für diese Patientengruppe nach dem Klinikaustritt für eine Stabilisierung im Alltag oft fehlen.
In welchen Bereichen setzt die Stiftung konkret an?
MS: Unsere Stiftung ist thematisch und geografisch breit aufgestellt. Ein zentraler Förderschwerpunkt liegt in der akademischen Nachwuchsförderung. Wir unterstützen gezielt Forschungsprojekte der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich und arbeiten dabei eng mit der UZH Foundation zusammen. Konkret finanzieren wir klinische Forschungszeit für Nachwuchsforschende in Psychiatrie und Psychotherapie, sie erhalten «protected research time», sodass sie neben ihrer klinischen Arbeit über einen längeren Zeitraum auch wissenschaftlich tätig sein können.
Öffentliche Mittel für viele Angebote und Aktivitäten für diese Patientengruppe fehlen oft.
Marianne Schwyn
Der zweite Förderschwerpunkt ist das Gegenstück zur akademischen Förderung: Wir unterstützen Organisationen wie die Stiftungen Pro Mente Sana, Living Museum Schweiz und Medair, welche Betroffenen im In- und Ausland direkt Hilfestellungen in Form von Beratungen oder psychosozialer Unterstützung anbieten.
Wie sehen diese Hilfestellungen aus?
HS: Die Pro Mente Sana bietet kostenlose und niederschwellige Beratung für Erwachsene mit psychischen Beeinträchtigungen und ihre Angehörigen an. Ebenfalls engagiert sich die Stiftung stark in der Sensibilisierungs- und Öffentlichkeitsarbeit.
Über die Stiftung Medair haben wir seit ein paar Jahren ein Projekt im Libanon unterstützt, das traumatisierte Flüchtingskinder aus Syrien psychotherapeutisch betreute. Durch die Verschlimmerung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Libanon unterstützt Medair eine breite Bevölkerungsgruppe mit Nothilfe und psychologischer Betreuung.
MS: Die Stiftung «Living Museum Schweiz» als Ableger einer internationalen Organisation bietet Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung die Möglichkeit, sich künstlerisch zu betätigen und bietet so Kontaktmöglichkeiten untereinander und eine sinnvolle und kreative Tagesstruktur. Die Finanzierung solcher Angebote ist ein grosses Problem und ohne grosszügige Sponsoren – in der Regel grössere private oder staatliche Institutionen – nicht möglich. Über den Kontakt mit dem Verein «Living Museum Schweiz» unterstützen wir den Start von «Living Museums» in Zürich und Schaffhausen. Alle diese Institutionen fördern wir über einen Zeitraum von mehreren Jahren.
Wie wählt die Stiftung Förderprojekte und Zuwendungen aus?
HS: Im Rahmen der Förderprojekte ergreifen meistens wir die Initiative für eine Zusammenarbeit. Bei den Schweizer Projekten im Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie sind wir aktiv auf die verschiedenen Stiftungen zugegangen – entweder auf etablierte Institutionen oder, nach positiven Erfahrungen und Rückmeldungen, auch auf einzelne Einrichtungen. Das Living Museum ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir als Stiftungsrat arbeiten. Eine Maltherapeutin in unserem Stiftungsrat hat uns auf das Projekt aufmerksam gemacht. Wir haben dann den persönlichen Kontakt zur Institution gesucht und gemeinsam die Rahmenbedingungen für eine Zusammenarbeit festgelegt.
MS: Wir erhalten jährlich rund 100 Gesuche für Förderprojekte oder Zuwendungen und bewilligen in etwa 70. Bei den mehrjährigen Projekten im Ausland mit Fokus auf psychische Gesundheit und Bildung stehen wir direkt in Kontakt mit den zuständigen Leitungspersonen. Diese sind von sich aus auf uns zugekommen. Nach sorgfältiger Prüfung der Projekte haben wir eine nachhaltige, wiederkehrende finanzielle Unterstützung ausgesprochen. Es sind beispielsweise Wasser- und Bildungsprojekte in Afrika, von denen wir wissen, dass jeder Franken direkt bei den Menschen ankommt. Wir erhalten auch Anfragen von Institutionen und Einzelpersonen, die meist einmalig kleinere Beiträge erbeten. Über diese Zuwendungen entscheiden wir oft «aus dem Bauch» heraus, jedoch immer in Übereinstimmung mit unserem Stiftungszweck. Wir fördern Projekte in unserer näheren Region St. Gallen und Thurgau – sei es im sozialen, kulturellen oder künstlerischen Bereich.
Zum Beispiel?
HS: Wir unterstützen regelmässig das Kloster Fischingen bei ihren klassischen Konzerten. Um eine einmalige Zuwendung hatte ein Grossvater für seinen Enkel angefragt. Dieser ist ein begeisterter und begabter Judo-Sportler, dessen alleinerziehende Mutter die Kosten für die Sportschule nicht tragen konnte. Wir haben ihm einen Teil der Ausbildung finanziert – wenige Jahre später wurde er ins Nationalkader von swiss olympics aufgenommen.
Die Stiftung finanziert sich privat aus Eigenmitteln. Gibt es Überlegungen, die Finanzierung zukünftig durch Partnerschaften oder Drittmittel zu diversifizieren?
HS: Im Moment nicht. Ein Teil des Erlöses aus dem Verkauf unserer Klinik fliesst in die «Schwyn Stiftung», wodurch wir auch in Zukunft über ausreichend Mittel verfügen und nicht auf Spenden angewiesen sind. Trotzdem ist uns die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren wichtig. 2023 organisierten wir ein Treffen mit Schweizer Stiftungen, die in ihrer Stiftungsarbeit ähnliche Schwerpunkte wie wir setzen. Ungefähr 15 Stiftungen nahmen teil, um gegenseitig mehr über die Arbeitsweise anderer Stiftungen zu erfahren. Wir stehen heute noch mit einigen dieser Stiftungen in Kontakt, mit denen wir uns eine zukünftige Zusammenarbeit bei grösseren Projekten vorstellen können.
MS: Beim Living Museum beispielsweise könnten wir uns langfristig vorstellen, das Projekt gemeinsam mit anderen Stiftungen zu finanzieren. Konkretes ist aber noch nicht in Planung.
Der Erfolg von Projekten wie das Living Museum zeigt, dass unsere Gesellschaft immer mehr sensibilisiert ist auf psychische Gesundheit. Hat das Ihre Förderpraxis verändert?
MS: Nein, den Schwerpunkt haben wir uns vorher schon gesetzt. Die Sensibilisierung für Themen der psychischen Gesundheit hat zwar die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit verbessert, aber an der oft nicht vorhandenen Finanzierung nichts geändert.
Mehr Bewusstsein bedeutet also nicht automatisch mehr Mittel. Wo liegen die Hürden?
HS: Der ganze Gesundheitssektor ist geprägt von zunehmenden Kosten aufgrund der Alterung unserer Gesellschaft, dem medizinischen Fortschritt und anderer Faktoren. Therapeutische Angebote in Richtung einer sinnvollen Tagesstruktur und Behandlung über längere Zeit fallen zwischen Stuhl und Bank, wenn sie nicht zu den Pflichtleistungen für die Kranken- oder Invalidenversicherung zählen. Sie sind aber für die Lebensqualität und das Selbstwertgefühl der Betroffenen entscheidend.
MS: Das haben wir vor allem während der Covid-Pandemie gemerkt, beispielsweise im Living Museum. Viele Menschen, die das Angebot nutzten, hatten grosse Schwierigkeiten mit den Einschränkungen und der Aufforderung «bleiben Sie zuhause». Sie konnten den Auffangraum nicht mehr nutzen und hielten zum Teil Kontakt über die sozialen Medien.
Wie sieht die Zukunft Ihrer Stiftung aus?
HS: Wie schon erwähnt ist die Finanzierung für längere Zeit gesichert. Schrittweise kann der Kreis unseres Stiftungsrats, der noch sehr auf unsere Familie beschränkt ist, erweitert werden.
MS: Zudem wollen wir unsere Netzwerke weiter ausbauen. Unsere Stiftung besteht nun aktiv seit acht Jahren – in dieser Zeit haben wir bereits viele Kooperationen aufgebaut und vertieft. Nach der Aufbauphase folgt jetzt als nächster Schritt die Konsolidierungsphase. Wir wollen uns noch stärker mit anderen Stiftungen und Institutionen vernetzen und noch mehr Knowhow austauschen.