The Philanthropist: Mitwirkung, Zusammenarbeit, Einbezug der Bevölkerung: Inwiefern wird Ihre Arbeit mit den Projektträgerinnen und Projektträgern von den neuen Arbeitsformen geprägt?
Peter Brey: In einer Welt, die sich immer schneller verändert, hinterfragt die Fondation Leenaards die Relevanz ihrer Arbeit in ihren drei Tätigkeitsbereichen Kultur, Alter & Gesellschaft und Wissenschaft, während sie gleichzeitig den Zielsetzungen ihrer Gründerinnen und Gründer fest verbunden bleibt. Um unseren strategischen Ansatz umzusetzen und uns ein möglichst akkurates Bild vom Ökosystem zu machen, in dem wir uns befinden, stellt die Stiftung ihre Überlegungen nicht in einem Vakuum an: Sie verfügt über eine netzartige Organisationsstruktur und ihre Organe umfassen etwa 50 Expertinnen und Experten mit vielfältigen Profilen.
In einer Gesellschaft, deren Probleme zunehmend komplexer werden, scheint es uns unerlässlich, zusätzlich zu unseren herkömmlichen Förderinstrumenten auch solche Initiativen einzusetzen. Auf diese Weise ergänzen wir unseren Ansatz der Unterstützung auf Projektebene durch einen allgemeineren Ansatz, der eine Gesamtdynamik anregt.
Peter Brey, Direktor der Fondation Leenaards
Für die Ausarbeitung unserer Initiative über die personalisierte Gesundheit (santeperso.ch), die mittlerweile abgeschlossen ist, stellten wir zum Beispiel zunächst ein Panel aus Expertinnen und Experten unterschiedlicher Fachrichtungen zusammen, um das Thema auf fachübergreifende Weise anzugehen. Der Input dieser Workshops hat der Stiftung geholfen, die Umrisse ihrer Initiative «Personalisierte Gesundheit & Gesellschaft», des damit verbundenen Projektaufrufs und der Handlungsansätze, auf die der Schwerpunkt gelegt werden sollte, zu definieren. Die Gespräche fanden auf einer Plattform statt, was uns ermöglichte, sowohl die Involvierten der Initiative als auch die breite Öffentlichkeit zu informieren. In einer Gesellschaft, deren Probleme zunehmend komplexer werden, scheint es uns unerlässlich, zusätzlich zu unseren herkömmlichen Förderinstrumenten auch solche Initiativen einzusetzen. Auf diese Weise ergänzen wir unseren Ansatz der Unterstützung auf Projektebene durch einen allgemeineren Ansatz, der eine Gesamtdynamik anregt.
In diesem Jahr haben Sie die Initiative «Integrative Gesundheit & Gesellschaft» eingeleitet. Inwiefern fügt sich diese Initiative in das Bemühen Ihrer Stiftung ein, die grossen gesellschaftlichen Veränderungen zu begleiten?
Ziel dieser Initiative ist es, die Patientinnen und Patienten sowie die Involvierten der verschiedenen Formen der Patientenbetreuung zu vereinen und die sogenannten konventionellen und komplementären Therapien besser aufeinander abzustimmen, um einen verständlichen Dialog zu fördern. Immer mehr Patientinnen und Patienten nehmen gleichzeitig beide Behandlungsformen in Anspruch. Es ist jedoch eine Tatsache, dass diese beiden Welten einander nicht ausreichend vertraut sind, was eine integrative Patientenbehandlung erschwert. Die Initiative «Integrative Gesundheit & Gesellschaft» strebt an, diese Welten zusammenzuführen und dabei die Bedeutung des Patienten als Protagonisten des Behandlungsprozesses aufzuwerten. Patientinnen und Patienten werden an den Beginn der Behandlungskette gestellt, was vor allem bedeutet, dass persönliche Geschichten und das, was ihnen sinnvoll erscheint, berücksichtigt werden.
Als einen der Entwicklungsschwerpunkte dieser Initiative über die integrative Gesundheit planen Sie eine grosse Umfrage, um der Bevölkerung «das Wort zu erteilen», und die Schaffung von «Bürgerlaboren». Inwiefern ist dieser Ansatz einzigartig?
Im Rahmen der Initiative sind mehrere Entwicklungsschwerpunkte vorgesehen: insbesondere die Finanzierung von Aktionsforschungsprojekten mit methodischer Unterstützung der Projektträger; ein Thinktank, der Therapeutinnen und Therapeuten verschiedener Behandlungsansätze mit Patientinnen und Patienten zusammenbringt; oder auch eine Austauschplattform, die alle Involvierten der Initiative vereint und zugleich die breite Öffentlichkeit über die integrative Gesundheit informieren soll.
Die Kultur hilft uns, jene imaginären Welten zu schaffen, die wir brauchen, um unsere reale Welt zu gestalten.
Peter Brey, Direktor der Fondation Leenaards
Zu den Schlüsselelementen der Initiative gehört auch eine Befragung von 3000 Westschweizerinnen und Westschweizern, um die Erwartungen und Bedürfnisse der Bevölkerung hinsichtlich der medizinischen Versorgung genauer bestimmen zu können. Diese Befragung wurde gemeinsam mit dem ColLaboratoire der Universität Lausanne und dem Schweizer Kompetenzzentrum Sozialwissenschaften (FORS) durchgeführt. Die Fragen wurden mithilfe eines speziellen partizipativen Ansatzes erarbeitet, der sowohl Patientinnen und Patienten als auch Bürgerinnen und Bürger mit einbezog. Die Ergebnisse, die derzeit noch ausgewertet werden, werden demnächst veröffentlicht und natürlich bei unserem weiteren Vorgehen berücksichtigt. Auch die Bürgerlabore werden auf der Grundlage dieser Ergebnisse organisiert. Ihr Ziel ist es, mithilfe der teilnehmenden Patientinnen und Patienten sowie Bürgerinnen und Bürger konkrete Wege zu identifizieren, wie Gesundheitsfragen auf individueller und systemischer Ebene weiterentwickelt werden können. Um die Lösungen auszuprobieren, wird jedem Labor ein konkreter Ort, wie zum Beispiel ein Spital oder Pflegeheim, zugewiesen.
Inwiefern müssen sich die Schaffensprozesse kultureller Projekte an die gesellschaftlichen Veränderungen anpassen?
Nur wenige Branchen haben sich als so widerstandsfähig und veränderungsfähig erwiesen wie die der Kultur. Die Kultur begleitet seit jeher den Wandel, und Künstlerinnen und Künstler leisten einen wesentlichen Beitrag zur Hinterfragung und Antizipation gesellschaftlicher Herausforderungen. Die Kultur hilft uns, jene imaginären Welten zu schaffen, die wir brauchen, um unsere reale Welt zu gestalten. Sie hilft uns, als Gesellschaft zu funktionieren. Angesichts der gesundheitlichen Situation stellt natürlich auch der Kultursektor seine Arbeitsmethoden und Prioritäten in Frage – sei es auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher oder ökologischer Ebene. Als Stiftung stehen wir in ständigem Kontakt mit den Akteurinnen und Akteuren des Kulturbereichs, die übrigens nicht davor zurückscheuen, die Zukunft, ihre eigenen Praktiken, ihre Beziehung mit dem Publikum oder auch die Bedeutung der Forschung und schöpferischen Tätigkeit per se zu hinterfragen. In diesem Sinne haben wir vor Kurzem mehrere Gespräche mit Vertretenden der Kulturszene geführt, um ihre Sichtweise dieser Entwicklungen in Erfahrung zu bringen und, falls notwendig, die Unterstützungen der Stiftung in diesem Bereich anzupassen.
Sie sprechen von einer Gesellschaft im Wandel und suchen nach Projekten im solidarischen Bereich. Sie suchen nach Projekten gemeinnütziger Stiftungen etc., aber auch «anderer Gruppen»: Führen Sie auch Projekte mit Vereinigungen durch, die auf unkonventionelle Weise organisiert sind?
Diese Frage hat sich erst kürzlich bei der Einführung unserer Initiative «Lokale Solidaritäten» gestellt, die darauf abzielt, die Solidarität auf lokaler Ebene zu fördern. Schliesslich sind die gemeinschaftlichen Massnahmen in einem Gebäude, einer Strasse, einem Quartier oder auch darüber hinaus oft das Ergebnis informeller Kollektive, Interessengruppen oder Kooperativen. Wir haben deshalb beschlossen, Bewerbungen von solchen Vereinigungen zuzulassen, jedoch gleichzeitig darauf hingewiesen, dass diese Gruppierungen letztendlich die Rechtsform eines Vereins anstreben müssen.
Warum ist es wichtig, dass Stiftungen auf die gesellschaftliche Forderung nach Beteiligung und Transparenz reagieren?
Tatsächlich wird von den Stiftungen immer mehr gefordert, dass sie erklären, wer sie sind und was sie tun. Es geht darum, unsere Auswahlkriterien und unser Führungssystem begreiflich und klar darzustellen, und gleichzeitig den konkreten Nutzen unserer Leistungen für die gesamte Bevölkerung zu beziffern. Immer mehr Stiftungen betten ihre Tätigkeit in einen offenen Dialog mit Begünstigten und Partnern und in einem weiteren Rahmen mit der Gesellschaft ein. Diesen Ansatz entwickeln wir insbesondere durch unsere verschiedenen Initiativen.