«Es geht um Menschen, nicht um Projekte»

Bei Ting teilen Menschen Geld und Expertise, um anderen einen Neuanfang zu ermöglichen. Nach der Idee eines Grundeinkommens möchte die Plattform Raum für Veränderungen schaffen und kreatives Potenzial freisetzen.

Bei Ting geht es um Umver­tei­lung: Menschen, die es sich gerade leis­ten können, geben Geld für andere, die es gerade brau­chen können. Bei Ting geht es aber auch um Vertrauen: Was passiert, wenn man frem­den Leuten Geld zur Verfü­gung stellt, ohne dass man weiss, was sie zuvor geleis­tet haben? Bezie­hen sie dann nicht einfach einen Lohn fürs Nichtstun? 

Drei Jahre nach Projekt­start  beant­wor­ten die Initiant:innen der Umver­tei­lungs­platt­form diese Frage klar mit «Nein»: «Wir haben schon auch schlech­tere Erfah­run­gen gemacht», sagt Mitgrün­de­rin Ondine Riesen. Aber die meis­ten Mitglie­der seien ehrlich und altru­is­tisch: Sie bean­tra­gen nicht einfach den Maxi­mal­be­trag, sondern rech­nen genau aus, wie viel Geld sie tatsäch­lich brau­chen. Oder sie verzich­ten auf den bereits gespro­che­nen Rest­be­trag, weil sie ander­wei­tig zu Geld kamen. Ondine Riesen: «Ting ist der Beweis, dass die Leute ein  System nicht ausnut­zen, wenn sie Teil der Gemein­schaft sind.» 

Ting funk­tio­niert nach dem Soli­da­ri­täts­prin­zip: Alle Mitglie­der zahlen monat­lich auf ein gemein­sa­mes Bank­konto ein. Der Mindest­bei­trag vari­iert je nach Mitglied­schaft, eine Ober­grenze gibt es nicht. Wer nun finan­zi­elle Unter­stüt­zung zur Umset­zung eines Vorha­bens möchte, erhält für eine bestimmte Zeit­dauer Geld aus dem Gemein­schafts­konto und kann zudem auf das Know-how der Commu­nity zurückgreifen. 

Bezo­gen werden können höchs­tens 2500 Fran­ken monat­lich, während eines halben Jahres. Dann gibt es auch die soge­nann­ten «Enabler»: Mitglie­der, die aufs Gemein­schafts­konto einzah­len, ohne eine Gegen­leis­tung zu erwar­ten. «Ting soll auch eine Brücke sein zwischen Leuten, die etwas Neues wagen möch­ten, aber kein Geld dafür haben, und solchen, die genü­gend Geld haben und andere bei ihrem Vorha­ben unter­stüt­zen möch­ten», erklärt Ondine Riesen. 

Zeit verschaf­fen

Hinter dem Projekt Ting steht der Verein Grund­ein­kom­men. Nach der verlo­re­nen Abstim­mung über ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men 2016 habe der Verein nach einer Anschluss­lö­sung gesucht, sagt Silvan Groher, Projekt­lei­ter bei Ting – dies­mal nicht auf einer poli­ti­schen, sondern einer zivil­ge­sell­schaft­li­chen Ebene. Die Idee hinter Ting ist letzt­lich die glei­che: nämlich die Über­zeu­gung, dass Menschen krea­ti­ves Poten­zial frei­set­zen können, wenn sie weni­ger Exis­tenz­ängste haben. «Wir verschaf­fen den Leuten die Möglich­keit, sich zu über­le­gen, was sie in ihrem Leben sonst noch anpa­cken möch­ten», so Silvan Groher. Dank der finan­zi­el­len Unter­stüt­zung durch eine Privat­per­son konnte der Verein zusam­men mit dem Think & Do Tank Dezen­trum die Projekt­idee und die entspre­chende Online-Platt­form entwi­ckeln. «Als wir bereit waren zu star­ten, kam Corona», erin­nert sich Ondine Riesen. Die Soft­ware wurde kurz­fris­tig dazu genutzt, um zusam­men mit der Crowd­fun­ding-Platt­form Wema­keit Geld unter ande­rem für Kultur­schaf­fende zu sammeln, die im Lock­down ohne Einkom­men dastan­den und nicht vom Staat aufge­fan­gen wurden. 

Insge­samt 280’000 Fran­ken wurden rasch und unbü­ro­kra­tisch verteilt. «Wir haben berüh­rende Rück­mel­dun­gen bekom­men», erzählt die Mitgrün­de­rin. Auch hätten einige Empfänger:innen das Geld später wieder zurück­be­zahlt. «Das hatte uns bestä­tigt, dass wir mit Ting auf dem rich­ti­gen Weg waren.» 

«Das Geld ist Mittel zum Zweck. Aber die Menschen sind es, die ein Vorha­ben durchziehen.»

Silvan Groher, Mitgrün­der Ting

Die viel­fäl­tige Community

Seit Juni 2020 ist Ting online. Aktu­ell zählt die Commu­nity über 430 Mitglie­der: Architekt:innen ebenso wie Mediziner:innen und Qi-Gong-Trainer:innen. Der Spiel­raum, den Ting ermög­licht, ist gross: Eine allein­er­zie­hende Mutter bezieht ein tempo­rä­res Einkom­men, um ihre Weiter­bil­dung abzu­schlies­sen. Andere wagen den Schritt in die Selbst­stän­dig­keit oder star­ten ein Nachhaltigkeitsprojekt.

Ganz bedin­gungs­los ist Ting nicht: Wer Geld für ein Vorha­ben bezie­hen möchte, muss einen Antrag stel­len, der von mindes­tens fünf Mitglie­dern sowie exter­nen Prüfern nach vier Krite­rien beur­teilt wird. Abge­lehnt werden kann ein Vorha­ben auch, wenn es zu wenig durch­dacht ist. Auf der Website steht den Mitglie­dern ein Online-Tool zur Verfü­gung, mit dessen Hilfe sie ihre Ziele, inklu­sive dem nöti­gen Geld- und Zeit­bud­get, formu­lie­ren können – je besser die Planung, desto grös­ser stehen die Erfolgschancen. 

Das tragende Wir-Gefühl 

Bei Ting geht es aber um mehr als nur um Geld. Es geht auch darum, Wissen zu teilen. Die Platt­form bietet ihren Mitglie­dern zahl­rei­che Möglich­kei­ten, sich zu vernet­zen. Zudem orga­ni­siert das Kern­team regel­mäs­sig Anlässe, an denen sich die Commu­nity physisch tref­fen und Erfah­run­gen austau­schen kann. Das Gefühl, Teil einer Gemein­schaft zu sein, sei für die Mitglie­der mindes­tens so wich­tig wie das Geld, ist Silvan Groher über­zeugt: «Das Geld ist Mittel zum Zweck. Aber die Menschen sind es, die einen moti­vie­ren, ein Vorha­ben durch­zu­zie­hen.» Dieses Wir-Gefühl kann auch der Grund sein, warum ein «Enabler» aufs Konto einzahlt, ohne je ein Einkom­men daraus zu bezie­hen – wie beispiels­weise die Gross­spen­de­rin, die Ting seit Anfang Jahr mit monat­lich 20’000 Fran­ken unter­stützt, weil sie von der «Kraft des Mitein­an­ders» über­zeugt ist. 

«Ting ist der Beweis, dass die Leute ein System nicht ausnut­zen, wenn sie Teil der Gemein­schaft sind.»

Ondine Riesen, Mitgrün­de­rin Ting

Neue Förder­lo­gik

Das Kern­team von Ting besteht aktu­ell aus fünf Perso­nen. Sie sammeln und vertei­len die Mitglie­der­bei­träge, bewirt­schaf­ten die Platt­form, orga­ni­sie­ren Events und Work­shops und kümmern sich um das Fund­rai­sing. Letz­te­res kostet aktu­ell viel Zeit und Ener­gie. Denn nach drei Jahren läuft die Anschub­fi­nan­zie­rung des Migros-Pionier­fonds aus und die Zahl der Mitglie­der nimmt zwar stetig zu, ist aber noch deut­lich zu nied­rig, um das Projekt selbst­tra­gend zu machen. Bei der Suche nach neuen Förderpartner:innen macht das Team nun die Erfah­rung, dass es mit Ting durch die Maschen fällt. So verge­ben Förder­stif­tun­gen ihre Beiträge nach bestimm­ten Krite­rien, nur: «Das Krite­rium Umver­tei­lung gibt es bisher nicht», sagt Ondine Riesen. Es komme hinzu, dass das Geld bei Ting nicht einsei­tig zweck­ge­bun­den sei: «Wir unter­stüt­zen nicht das Projekt, sondern den Menschen dahin­ter.» Inso­fern wird bei Ting auch nicht kontrol­liert, wofür jemand letzt­lich das Geld ausgibt. «Wir vertrauen darauf, dass der Einzelne am besten weiss, was er gerade am drin­gends­ten braucht», meint Silvan Groher. Die Initiant:innen verste­hen Ting auch als Vorbild für eine neue Förder­lo­gik oder ein künf­ti­ges Sozi­al­sys­tem, das mit einer schlan­ken Büro­kra­tie und mit Vertrauen statt Kontrolle die Bedürf­nisse des Einzel­nen ins Zentrum stellt. 

Zuerst einmal ist Ting aber auf neue Finan­zie­rungs­quel­len ange­wie­sen. Sonst kann es sein, dass sich die Projektleiter:innen in der glei­chen Lage wieder­fin­den wie ein Teil ihrer Mitglie­der: gute Ideen zu haben, aber kein Geld, sie umzusetzen. 

www.ting.community

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