Hayat Erdoğan, Dramaturgin und Co-Direktorin des Theater Neumarkt in Zürich, Bild: Nils Lucas.

Ernst gemeinte Anlie­gen, künst­le­ri­sche Visio­nen und akti­vis­ti­sches Wirken

Die Dramaturgin und Co-Direktorin des Theater Neumarkt, Hayat Erdoğan, gehört zur Jury des Spotlight-Wettbewerbs. Heute Abend werden die überzeugendsten Kunstprojekte ausgezeichnet, die gegen den Klimawandel wirken. Hayat Erdoğan spricht über die Wirkung von Kunstprojekten und über die Rolle, die das Thema Klimawandel für das Theater Neumarkt hat.

Sie gehö­ren der Jury des Spot­light-Wett­be­werbs von Clima Now an. Die junge Stif­tung hat Kunst­pro­jekte gesucht, die gegen den Klima­wan­del wirken. Was braucht es, dass ein Kunst­pro­jekt eine solche Wirkung erzeu­gen kann?

Das ist schwer zu beant­wor­ten. Im Kunst­kon­text wird Wirkung ja eher vom Ästhe­ti­schen her, also das, was die Wahr­neh­mung betrifft, verstan­den. Wirkung kann bedeu­te­ten, dass mich als Betrach­te­rin respek­tive Zuschaue­rin etwas emotio­nal bewegt, berührt, unter­hält, mir einen Denk­an­stoss gibt, eine neue Perspek­tive eröff­net usw. Im Kontext von Clima Now war die Suche aber bereits an Perso­nen und Kollek­tive gerich­tet, die an der Schnitt­stelle Kunst und Akti­vis­mus arbei­ten und wirken, Klima-Arti­vis­mus also.

Was muss ich mir darun­ter vorstellen?

Das heisst, hier ist nach einer Wirkung gefragt, die nach­weis­bar Effekte zeitigt, die bspw. eine Mess­bar­keit mit sich brin­gen soll, die inter­ve­niert, die unter ande­rem auch einen hands-on-Aspekt mit sich bringt – also künst­le­ri­sche Projekte, die auch einen Nutzen haben und nach­weis­lich einen posi­ti­ven Effekt, u.a. aufs/fürs Klima haben sollen.

Rezepte funk­tio­nie­ren für mich im Bereich des Ästhe­ti­schen nicht.

Hayat Erdoğan, Drama­tur­gin und Co-Direk­to­rin Thea­ter Neumarkt

Und wie lässt sich diese Wirkung erzeugen?

Grund­sätz­lich würde ich auf die Frage nach dem, was es braucht, um eine bestimmte Wirkung zu erzeu­gen – egal ob Art oder Arti­vis­mus – immer so antwor­ten: Rezepte funk­tio­nie­ren für mich im Bereich des Ästhe­ti­schen nicht. Ich setze auf ernst gemeinte Anlie­gen, künst­le­ri­sche Visio­nen und unge­wöhn­li­che, andere über­ra­schende Weisen des Geschich­ten­er­zäh­lens, künst­le­ri­schen Handelns und akti­vis­ti­schen Wirkens. Und out-of-the-box-Denken.

Ist es eine beson­dere Heraus­for­de­rung, ein Kunst­pro­jekt nicht nur nach seinem künst­le­ri­schen Wert zu bewer­ten, sondern ebenso hinsicht­lich einer gefor­der­ten Wirkung?

Ja, weil da schwingt ja immer auch die Frage nach der Funk­tion von Kunst mit, von Kunst­pro­jek­ten. Das ist auch keine neue Frage. Sie lässt sich grob zwischen den Polen der Idee eines auto­no­mie­äs­the­ti­schen Kunst­be­griffs und der Idee eines utili­ta­ris­ti­schen Kunst­be­griffs, oder Kunst im Kontext als soziale Praxis, ansie­deln. Letz­tere will konkrete Effekte nach­wei­sen: ob in bestimm­ten Commu­ni­ties, im Bereich eines poli­ti­schen Themas, im Sozia­len oder eben in diesem Fall im Bereich des Klimas respek­tive der Globa­len Erderwärmung.

Das macht die Bewer­tung schwierig?

Es ist natür­lich heraus­for­dernd, Projekte zu bewer­ten, die in dem Sinne viel prozess­ori­en­tier­ter sind und auch hinsicht­lich ihres künst­le­ri­schen Werts auch andere Krite­rien ins Feld führen. Aber genau das macht es auch span­nend. Genau diese Beispiele und das Hinein­ra­gen in andere Systeme ist das Poten­tial des Ästhe­ti­schen, auch eines Ästhe­ti­schen als Artivistischen.

Die Teil­neh­men­den wuss­ten, sie müssen das Publi­kum und anschlies­send eine Jury über­zeu­gen. Bei Ihrer eige­nen Arbeit: Wie stark spielt der Gedanke an die Akzep­tanz des Publi­kums und der Kritiker:innen eine Rolle, wenn Sie eine Insze­nie­rung in Angriff nehmen?

Künst­le­ri­sche Arbei­ten finden nicht in einem luft­lee­ren Raum statt. Man ist immer in einen Kontext einge­bet­tet, und das, was man tut, ist sicht­bar und will vor allem gese­hen werden, also wirken. Aber das künst­le­ri­sche Schaf­fen von der Akzep­tanz poten­ti­el­ler Rezipient:innen aus zu denken, finde ich schwie­rig. Da könnte man gleich vorher Umfra­gen machen, was den Leuten gefal­len würde, und das dann umsetzen.

Aber das künst­le­ri­sche Schaf­fen von der Akzep­tanz poten­ti­el­ler Rezipient:innen aus zu denken, finde ich schwierig. 

Hayat Erdoğan, Drama­tur­gin und Co-Direk­to­rin Thea­ter Neumarkt

Heisst das, Sie orien­tie­ren sich nicht an der vermu­te­ten Akzep­tanz, sondern an dem, was Menschen über­ra­schen könnte?

Persön­lich geht es mir darum, Menschen in irgend­ei­ner Form zu berüh­ren – emotio­nal und/oder intel­lek­tu­ell. Das kann auch mal bedeu­ten, dass man verär­gert aus einer Thea­ter­in­sze­nie­rung heraus­geht, oder aufge­wühlt oder so stimu­liert, dass man dann grad alles zum Thema der Insze­nie­rung recher­chiert. Ich denke, Produk­tio­nen von einer vermu­te­ten Akzep­tanz zu denken, kann schnell Affir­ma­ti­ons­schlau­fen wieder­ho­len; und wer zustimmt und zum Beispiel affir­ma­tiv nickt in einer Insze­nie­rung wird höchs­tens in der eige­nen Welt­sicht bestätigt. 

Gestern (5. Okto­ber) war die Vernis­sage «Climate Fiction» des Lite­ra­tur­mu­se­ums Strau­hof, bei dem das Neumarkt Thea­ter einen perfor­ma­ti­ven Beitrag geleis­tet hat. Welchen Platz nimmt der Klima­wan­del im Programm des Thea­ter Neumarkt ein?

Als Thema auf dem Spiel­plan oder als konkret fort­schrei­ten­der, globa­ler Prozess der Erder­wär­mung, des Arten­ster­bens, der Über­säue­rung der Meere usw.?

Für den Spielplan.

Natür­lich geht das Thema uns alle etwas an und unsere Themen sind nicht welt­ab­ge­wandt, sondern wir beschäf­ti­gen uns mit aktu­el­len Themen – lokal, über­re­gio­nal, inter­na­tio­nal, global. Und die globale Erder­wär­mung ist ein Thema, das uns leider noch lange beschäf­ti­gen wird. Und da es für viele immer noch sehr abstrakt zu sein scheint, können die Künste – Thea­ter, Lite­ra­tur, Filme etc.  – helfen, dieses soge­nannte Hyper­ob­jekt Klima­wan­del greif­ba­rer zu machen und damit zum Handeln zu bewe­gen. So wie eben mit dem perfor­ma­ti­ven Beitrag «Glet­scher­re­quiem. Abschied­neh­men in Schich­ten» im Rahmen von «Climate Fiction» – eine Art tragik-komi­scher eco-grief Beitrag, wenn man so will.

Das Thea­ter Neumarkt nimmt das Thema nicht nur im Spiel­plan auf sondern auch für die eige­nen Prozesse. Es will die eigene Kultur­pra­xis klima­freund­li­cher gestal­ten. Was heisst das konkret?

Das kann auch mal bedeu­ten, dass man verär­gert aus einer Thea­ter­in­sze­nie­rung herausgeht.

Hayat Erdoğan, Drama­tur­gin und Co-Direk­to­rin Thea­ter Neumarkt

Wir versu­chen unse­ren soge­nann­ten ökolo­gi­schen Fuss­ab­druck klima­freund­li­cher zu machen. Wir sind Teil des Programms reflec­tor von m2act und lernen, wie wir nach­hal­ti­ger sein können, scho­nen­der mit Ressour­cen umge­hen können – und das auf allen Ebenen. Das sind dann manch­mal über­ra­schend banal klin­gende Mass­nah­men wie zum Beispiel: Re- und Upcy­cling von Bühnen­bil­dern, von Kostü­men aus dem Fundus, Reisen mit dem Zug, wenn die Fahrt unter neun Stun­den dauert, vege­ta­ri­sche Buffets usw. Aktu­ell sind wir im beglei­te­ten Prozess mit reflec­tor. Die genann­ten Dinge und eini­ges mehr wenden wir aber bereits seit länge­rem an.

Für den Spot­light-Wett­be­werb enga­gie­ren Sie sich als Thea­ter­di­rek­to­rin für ein Projekt einer Klima­stif­tung. Wie ist dieser Kontakt entstanden?

Ich wurde von Jacque­line Uhlmann, Head of Commu­ni­ca­ti­ons Löwen­bräu­kunst, ange­fragt. Ich kannte weder sie noch die Stif­tung Clima Now. Ich habe mir die Stif­tung ange­se­hen und fand die Mission und Vision, sowie die sehr enga­gierte hands-on Menta­li­tät anspre­chend. Also habe ich zuge­sagt. Und ich bin froh, dass ich die Stif­tung und die Menschen da kennen­ge­lernt habe.

Welche Bedeu­tun­gen haben Stif­tun­gen gene­rell für Ihre Arbeit?

Im besten Fall bedeu­ten sie eine Zusam­men­ar­beit, die auf inhalt­li­chem Austausch und auch darauf beruht, dass man noch finan­zi­el­len Zustupf für ausge­wählte Projekte bekommt und sich gegen­sei­tig und den Anlie­gen und künst­le­ri­schen Projek­ten Sicht­bar­keit verleiht.


Spot­light Pitch Night

Mehr zur Spot­light Pitch Night am 6. Okto­ber 2022 und zur Live Übertragung.

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