Sie gehören der Jury des Spotlight-Wettbewerbs von Clima Now an. Die junge Stiftung hat Kunstprojekte gesucht, die gegen den Klimawandel wirken. Was braucht es, dass ein Kunstprojekt eine solche Wirkung erzeugen kann?
Das ist schwer zu beantworten. Im Kunstkontext wird Wirkung ja eher vom Ästhetischen her, also das, was die Wahrnehmung betrifft, verstanden. Wirkung kann bedeuteten, dass mich als Betrachterin respektive Zuschauerin etwas emotional bewegt, berührt, unterhält, mir einen Denkanstoss gibt, eine neue Perspektive eröffnet usw. Im Kontext von Clima Now war die Suche aber bereits an Personen und Kollektive gerichtet, die an der Schnittstelle Kunst und Aktivismus arbeiten und wirken, Klima-Artivismus also.
Was muss ich mir darunter vorstellen?
Das heisst, hier ist nach einer Wirkung gefragt, die nachweisbar Effekte zeitigt, die bspw. eine Messbarkeit mit sich bringen soll, die interveniert, die unter anderem auch einen hands-on-Aspekt mit sich bringt – also künstlerische Projekte, die auch einen Nutzen haben und nachweislich einen positiven Effekt, u.a. aufs/fürs Klima haben sollen.
Rezepte funktionieren für mich im Bereich des Ästhetischen nicht.
Hayat Erdoğan, Dramaturgin und Co-Direktorin Theater Neumarkt
Und wie lässt sich diese Wirkung erzeugen?
Grundsätzlich würde ich auf die Frage nach dem, was es braucht, um eine bestimmte Wirkung zu erzeugen – egal ob Art oder Artivismus – immer so antworten: Rezepte funktionieren für mich im Bereich des Ästhetischen nicht. Ich setze auf ernst gemeinte Anliegen, künstlerische Visionen und ungewöhnliche, andere überraschende Weisen des Geschichtenerzählens, künstlerischen Handelns und aktivistischen Wirkens. Und out-of-the-box-Denken.
Ist es eine besondere Herausforderung, ein Kunstprojekt nicht nur nach seinem künstlerischen Wert zu bewerten, sondern ebenso hinsichtlich einer geforderten Wirkung?
Ja, weil da schwingt ja immer auch die Frage nach der Funktion von Kunst mit, von Kunstprojekten. Das ist auch keine neue Frage. Sie lässt sich grob zwischen den Polen der Idee eines autonomieästhetischen Kunstbegriffs und der Idee eines utilitaristischen Kunstbegriffs, oder Kunst im Kontext als soziale Praxis, ansiedeln. Letztere will konkrete Effekte nachweisen: ob in bestimmten Communities, im Bereich eines politischen Themas, im Sozialen oder eben in diesem Fall im Bereich des Klimas respektive der Globalen Erderwärmung.
Das macht die Bewertung schwierig?
Es ist natürlich herausfordernd, Projekte zu bewerten, die in dem Sinne viel prozessorientierter sind und auch hinsichtlich ihres künstlerischen Werts auch andere Kriterien ins Feld führen. Aber genau das macht es auch spannend. Genau diese Beispiele und das Hineinragen in andere Systeme ist das Potential des Ästhetischen, auch eines Ästhetischen als Artivistischen.
Die Teilnehmenden wussten, sie müssen das Publikum und anschliessend eine Jury überzeugen. Bei Ihrer eigenen Arbeit: Wie stark spielt der Gedanke an die Akzeptanz des Publikums und der Kritiker:innen eine Rolle, wenn Sie eine Inszenierung in Angriff nehmen?
Künstlerische Arbeiten finden nicht in einem luftleeren Raum statt. Man ist immer in einen Kontext eingebettet, und das, was man tut, ist sichtbar und will vor allem gesehen werden, also wirken. Aber das künstlerische Schaffen von der Akzeptanz potentieller Rezipient:innen aus zu denken, finde ich schwierig. Da könnte man gleich vorher Umfragen machen, was den Leuten gefallen würde, und das dann umsetzen.
Aber das künstlerische Schaffen von der Akzeptanz potentieller Rezipient:innen aus zu denken, finde ich schwierig.
Hayat Erdoğan, Dramaturgin und Co-Direktorin Theater Neumarkt
Heisst das, Sie orientieren sich nicht an der vermuteten Akzeptanz, sondern an dem, was Menschen überraschen könnte?
Persönlich geht es mir darum, Menschen in irgendeiner Form zu berühren – emotional und/oder intellektuell. Das kann auch mal bedeuten, dass man verärgert aus einer Theaterinszenierung herausgeht, oder aufgewühlt oder so stimuliert, dass man dann grad alles zum Thema der Inszenierung recherchiert. Ich denke, Produktionen von einer vermuteten Akzeptanz zu denken, kann schnell Affirmationsschlaufen wiederholen; und wer zustimmt und zum Beispiel affirmativ nickt in einer Inszenierung wird höchstens in der eigenen Weltsicht bestätigt.
Gestern (5. Oktober) war die Vernissage «Climate Fiction» des Literaturmuseums Strauhof, bei dem das Neumarkt Theater einen performativen Beitrag geleistet hat. Welchen Platz nimmt der Klimawandel im Programm des Theater Neumarkt ein?
Als Thema auf dem Spielplan oder als konkret fortschreitender, globaler Prozess der Erderwärmung, des Artensterbens, der Übersäuerung der Meere usw.?
Für den Spielplan.
Natürlich geht das Thema uns alle etwas an und unsere Themen sind nicht weltabgewandt, sondern wir beschäftigen uns mit aktuellen Themen – lokal, überregional, international, global. Und die globale Erderwärmung ist ein Thema, das uns leider noch lange beschäftigen wird. Und da es für viele immer noch sehr abstrakt zu sein scheint, können die Künste – Theater, Literatur, Filme etc. – helfen, dieses sogenannte Hyperobjekt Klimawandel greifbarer zu machen und damit zum Handeln zu bewegen. So wie eben mit dem performativen Beitrag «Gletscherrequiem. Abschiednehmen in Schichten» im Rahmen von «Climate Fiction» – eine Art tragik-komischer eco-grief Beitrag, wenn man so will.
Das Theater Neumarkt nimmt das Thema nicht nur im Spielplan auf sondern auch für die eigenen Prozesse. Es will die eigene Kulturpraxis klimafreundlicher gestalten. Was heisst das konkret?
Das kann auch mal bedeuten, dass man verärgert aus einer Theaterinszenierung herausgeht.
Hayat Erdoğan, Dramaturgin und Co-Direktorin Theater Neumarkt
Wir versuchen unseren sogenannten ökologischen Fussabdruck klimafreundlicher zu machen. Wir sind Teil des Programms reflector von m2act und lernen, wie wir nachhaltiger sein können, schonender mit Ressourcen umgehen können – und das auf allen Ebenen. Das sind dann manchmal überraschend banal klingende Massnahmen wie zum Beispiel: Re- und Upcycling von Bühnenbildern, von Kostümen aus dem Fundus, Reisen mit dem Zug, wenn die Fahrt unter neun Stunden dauert, vegetarische Buffets usw. Aktuell sind wir im begleiteten Prozess mit reflector. Die genannten Dinge und einiges mehr wenden wir aber bereits seit längerem an.
Für den Spotlight-Wettbewerb engagieren Sie sich als Theaterdirektorin für ein Projekt einer Klimastiftung. Wie ist dieser Kontakt entstanden?
Ich wurde von Jacqueline Uhlmann, Head of Communications Löwenbräukunst, angefragt. Ich kannte weder sie noch die Stiftung Clima Now. Ich habe mir die Stiftung angesehen und fand die Mission und Vision, sowie die sehr engagierte hands-on Mentalität ansprechend. Also habe ich zugesagt. Und ich bin froh, dass ich die Stiftung und die Menschen da kennengelernt habe.
Welche Bedeutungen haben Stiftungen generell für Ihre Arbeit?
Im besten Fall bedeuten sie eine Zusammenarbeit, die auf inhaltlichem Austausch und auch darauf beruht, dass man noch finanziellen Zustupf für ausgewählte Projekte bekommt und sich gegenseitig und den Anliegen und künstlerischen Projekten Sichtbarkeit verleiht.
Spotlight Pitch Night
Mehr zur Spotlight Pitch Night am 6. Oktober 2022 und zur Live Übertragung.