Ruth Roduner-Grüninger bei der Einweihung einer Gedenktafel an Paul Grüningers letztem Wohnhaus in Au SG, Oktober 2005. (Paul Grüninger Stiftung)

Paul Grünin­ger: Er blieb im entschei­den­den Moment menschlich

Am 29. Dezember 2021 verstarb Ruth Roduner-Grüninger. Sie war die Tochter von Paul Grüninger und Stifterin sowie Ehrenpräsidentin der Paul Grüninger Stiftung. Der Vizepräsident der Stiftung, Schriftsteller Stefan Keller, spricht über die Stiftungsgründung, die Rehabilitation von Paul Grüninger und dessen Todestag, der sich 2022 zum 50. Mal jährt.

The Philanthropist: Kurz vor Jahres­ende starb Paul Grünin­gers Toch­ter Ruth Roduner-Grünin­ger im Alter von 100 Jahren. Welche Rolle hat sie für die Stif­tung gespielt?
Stefan Keller: Sie hat die Stif­tung zusam­men mit ihren Söhnen gegrün­det. Viele Jahre war sie Präsi­den­tin des Stif­tungs­ra­tes und blieb bis zum Schluss Ehrenpräsidentin.

Was war der Auslö­ser für die Stif­tungs­grün­dung?
1998 stimmte der Grosse Rat des Kanton St. Gallen einer Wieder­gut­ma­chung zu. 1,3 Millio­nen Fran­ken sprach er den Nach­kom­men von Paul Grünin­ger zu. Jahre­lang hatte die Fami­lie für die Reha­bi­li­ta­tion von Paul Grünin­ger gekämpft. Aber sie woll­ten sich nicht berei­chern. Deswe­gen haben sie mit dem Geld eine Stif­tung gegründet.

Vor 100 Jahren: Paul und Alice Grünin­ger-Fede­rer mit der Ende 2021 verstor­be­nen Toch­ter Ruth, 1922. (Paul Grünin­ger Stiftung) 

Welchen Zweck verfolgt die Stif­tung?
Sie hat zwei Zwecke. Zum einen soll sie die Erin­ne­rung an das Handeln von Paul Grünin­ger pfle­gen. Zum ande­ren soll sie Menschen und Ideen unter­stüt­zen, die heute im Sinne von Paul Grünin­ger handeln.

Hierzu vergibt die Stif­tung den Paul Grünin­ger Preis?
Etwa alle drei Jahre verge­ben wir den Preis in der Höhe von 50 000 Franken.

Sie haben inter­na­tio­nale Preisträger*innen – wie erfolgt die Vergabe?
Wir schrei­ben den Preis inter­na­tio­nal aus, was dank des Inter­nets heute rela­tiv einfach ist. Diese Ausschrei­bung wird weiter­ver­brei­tet, etwa durch Menschen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen oder auch Schwei­zer Diplomat*innen. So erhal­ten wir Vorschläge. Wir recher­chie­ren diese aus und wählen im Stif­tungs­rat den Preis­trä­ger oder die Preisträgerin.

Auslän­di­sche Preisträger*innen dürf­ten die Person Paul Grünin­ger kaum kennen.
Das stimmt. Aber natür­lich inter­es­sie­ren sie sich für die Person und sein Handeln. Beim Preis geht es auch nicht nur um das Geld. Er ist mit einer Inter­ven­tion verbun­den. 2019 ging der Preis beispiels­weise an die Crew des Flücht­lings­ret­tungs­schif­fes Iuventa. Auf ihren Wunsch haben wir mit der Preis­ver­lei­hung auch ein Tref­fen ermög­licht mit ande­ren Flucht­hel­fern aus dem Mittel­meer­raum und aus der Schweiz, die krimi­na­li­siert werden.

Es ist wich­tig, diese Geschichte immer wieder zu erzäh­len, damit sie nicht verges­sen geht.

Stefan Keller, Vize­prä­si­dent der Paul Grünin­ger Stiftung

Weshalb ist diese Inter­ven­tion wich­tig?
Paul Grünin­ger war im entschei­den­den Moment nicht gehor­sam, sondern er blieb mensch­lich. Auch wenn er offi­zi­ell die Flücht­linge in den Tod hätte schi­cken müssen, blieb er mensch­lich. Mit dem Preis über­le­gen wir uns heute, wer in seinem Sinn handelt. Solchen Leuten wollen wir mit der Inter­ven­tion zeigen, dass sie nicht alleine sind.

Paul Grünin­ger starb, bevor er reha­bi­li­tiert wurde. Weshalb war es wich­tig, trotz­dem weiter für diese Reha­bi­li­ta­tion zu kämp­fen?
Der Fall geht weit über die Person hinaus. Das Symbo­li­sche ist wich­tig. Er hat sich in einer Zeit dissi­dent verhal­ten, als die Flücht­lings­po­li­tik der Schweiz aus Abwehr bestand. Ich habe viele Menschen kennen­ge­lernt, die ihm sein Leben verdanken.

Sie sind selbst seit der Stif­tungs­grün­dung im Stif­tungs­rat. Wie sind Sie zur Stif­tung gestos­sen?
Ich rekon­stru­ierte die Geschichte Paul Grünin­gers histo­risch. Paul Rech­stei­ner berei­tete dann als Jurist die Reha­bi­li­ta­tion vor. Er ist heute Präsi­dent der Stiftung.

Wie kamen Sie mit der Geschichte von Paul Grünin­ger in Kontakt?
Ich hatte zuvor eine grosse histo­ri­sche Sozi­al­re­por­tage über die Region veröf­fent­licht und wurde deshalb ange­fragt. So entstand 1993 «Grünin­gers Fall». Im Moment ist die 6. Auflage im Druck.

Die Erin­ne­rung zu bewah­ren gehört zum Zweck der Stif­tung.
Es ist wich­tig, diese Geschichte immer wieder zu erzäh­len, damit sie nicht verges­sen geht. Und ich erlebe, dass das Leben von Paul Grünin­ger noch immer inter­es­siert. Dieses Jahr jährt sich sein Todes­tag zum 50. Mal, dazu gibt es Veran­stal­tun­gen, bei denen etwa die zwei Kino­filme über den Fall gezeigt werden, die es bereits gibt.


Paul Grünin­ger als Poli­zei­of­fi­zier (Paul Grünin­ger Stiftung)

Paul Grünin­ger

Der St. Galler Poli­zei­kom­man­dant Paul Grünin­ger hat 1938 und 1939 hunder­ten jüdi­schen Flücht­lin­gen die Flucht in die Schweiz ermög­licht und sie ​​vor der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Verfol­gung geret­tet. 1939 wurde er von der St. Galler Regie­rung frist­los entlas­sen. Bis zu seinem Tod 1972 lebte er in Armut. 1993 reha­bi­li­tiert ihn die St. Galler Regie­rung poli­tisch. 1995 wurde seine Verur­tei­lung aufge­ho­ben und das Bezirks­ge­richt St. Gallen sprach ihn frei. 1998 stimmte der Grosse Rat des Kantons der mate­ri­el­len Wieder­gut­ma­chung zu.

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