Sie wagen sich an ein noch nicht gelöstes Rätsel: Sie wollen den sogenannten Braincode knacken? Was ist der Braincode?
Wahrscheinlich sind wir Menschen ein Superorganismus und als Steuerung vermutet man einen sogenannten Braincode. Wir gehen davon aus, dass dieser Braincode nach sehr einfachen Regeln funktioniert. Diese Regeln möchten wir verstehen und damit den Code knacken.
Was muss ich mir da vorstellen?
Es sieht aus, als ob unser Hirn wenig mit der Art und Weise, wie ein Computer funktioniert, zu tun hat, und neuronale Netzwerke nicht so intelligent sind, wie dies oftmals etwas reisserisch in den Medien präsentiert wird. Vielmehr scheint das Hirn ein Superorganismus zu sein, zusammengesetzt aus Milliarden von Akteuren. Will heissen, das Hirn funktioniert vielleicht auf eine bis heute noch nicht nachvollziehbare Art und emergente Weise, denn wir verstehen die zugrunde liegenden Regeln noch nicht, vorstellbar wie ein Fischschwarm oder Ameisenhaufen. Wenige Ameisen untereinander prozessieren einfache lokalen Regeln. Ein ganze Ameisenkolonie aber ist etwas sehr Intelligentes und zeigte Verhaltensmuster auf, die nicht ohne Weiteres aus den Regeln ableitbar sind. Dies nennt man ein emergentes System, ähnlich wie unser Hirn.
Was Intelligenz ist, wollen Sie jetzt herausfinden?
Ja, wir wollen qualitativ herausfinden, was eigentlich das Prinzip der Intelligenz ist und nicht einfach einen schnellen Computer bauen, der Mengen von Daten statistisch aufbereitet. Das ist unsere Ausrichtung. Es ist positiv, wenn immer mehr führende KI-Experten zum Schluss kommen, dass Deep Learning und Big Data uns nicht zu künstlicher Intelligenz führen wird. Mit Mindfire wollen wir herausfinden, was das Geheimnis der Intelligenz ist und wie dieses in nützliche Anwendungen transferiert werden kann.
Und wie gehen Sie vor?
Zu unzähligen Krankheiten gibt es sehr viel Wissen und es wurden schon tausende von Studien verfasst. Auch daher sollte man eigentlichen die Spitzenforschung besser einer intelligenten Maschine überlassen. Steige ich als Forscher ein, um mich einem Gebiet wie Hirnforschung zu widmen, muss ich mich jahrelang einlesen, bis ich auf einem gewissen Wissensstand bin und auch dann kann ich in einem ganzen Leben nur einen kleinen Prozentsatz des vorhandenen Wissens erfassen. Könnte man alles bereits existierende Wissen Maschinen übergeben und dieses verknüpfen, könnte man die Spitzenforschung revolutionieren. Das käme dem Eintritt in ein goldenes Zeitalter gleich. Diese Idee treibt mich an. Und genau dieses Vorhaben wollen wir mit Lab42 in Angriff nehmen, welches von der Mindfire Stiftung betrieben wird
Und so nähert Ihr euch diesem Braincode?
Entweder wir knacken diesen Braincode hier in Europa – oder wenn wir es nicht machen, wird es ein grosses asiatisches Land oder einer der grossen US-Tech Firmen tun.
Wie sieht der Zeithorizont aus?
Wir glauben, der Braincode kann und muss in dieser Dekade bis 2029 geknackt werden. Die Uhr tickt. Haben wir den Code geknackt, können die Ergebnisse kommerzialisiert werden – das geistige Eigentum bleibt in der Stiftung.
Wer wirkt bei der Forschung mit?
Zahlreiche Forscher:innen führender KI-Labs in Europa, an den ETHs, Universitäten und Schweizer Fachhochschulen. Auch Kantone, Gemeinden und interessante wohlhabende Schweizer Einzelpersonen unterstützen das Vorhaben
Mit Spark42 haben Sie bereits eine Austauschplattform geschaffen. Was leistet diese?
Diese Plattform vernetzt Forschungslabors in der ganzen Welt. Es gibt hunderte von KI-Laboren und viele arbeiten genau an derselben Sache oder sie suchen nach einer Lösung für ein Problem, das schon x‑fach gelöst wurde. Das macht wenig Sinn. Wichtig und viel effizienter ist, die richtige Frage zu stellen. Die Idee hinter Spark42 ist, dass Forschende möglichst einfach an bereits vorhandenes Wissen herankommen und automatisiert mit den passendsten Forschern in Kontakt treten können.
Im Zusammenhang mit KI kommt schnell die Frage der Ethik auf: Wie begegnen Sie dem Thema?
Offen gesprochen: Die Menschheit hat bis dato keinen guten Job in Bezug auf Ethik geleistet. Dies heisst nicht, dass wir uns darüber keine Gedanken machen, doch bereits bei Menschenrechten scheint es keinen Konsens zu geben. Wir haben uns mit vielen Ethiker:innen ausgetauscht und führen ein eigenes Ethik Board. Ein Konsens in Bezug auf KI erachte ich allerdings als unrealistisch, bis dahin würden viele wertvolle Jahre vergehen, falls überhaupt jemals ein Konsens gefunden würde. Autokratische Systeme würde sich über solche Leitplanken hinwegsetzen, also bin ich dafür, voranzugehen, so schnell wie möglich, um überhaupt den Dialog gestalten zu können.
Weshalb ist Tempo wichtig?
China baut KI für den Staat. Die USA machen dies für Unternehmen und Europa täte gut daran, einen dritten Weg zu beschreiten, nämlich KI für den Menschen zu bauen. Die Mindfire Stiftung baut KI für die Menschen. Dort wollen wir mit LAB42 hin. Von Menschen für den Menschen.
Als Gesellschaftsformen haben Sie zum einen eine gemeinnützige Stiftung gewählt und zum anderen eine AG. Was sind die Überlegungen dazu?
Wir haben uns das Konstrukt der AO Foundation in Davos genau angeschaut. Diese hatte zu Beginn eine Stiftung, die AO Foundation, welche die Intellectual Property (IP), das geistige Eigentum führender Chirurgen im Bereiche Knochenheilung und Knochenfakturen dokumentiert und bewahrt hat. Denn ein Top Forscher oder eine Top Forscherin gibt nicht einfach sein Wissen an eine Aktiengesellschaft, deren Zweck rasch auch mal geändert werden kann. Stimmt der Zweck einer Stiftung, ist die IP gut aufgehoben. Denn diese hat die nötige Kredibilität, weil der Zweck einer Stiftung unverändert bleiben muss. Die AG, in diesem Fall Synthes, welches durch Hansjürg Wyss weltweit bekannt wurde, durfte gemäss Stiftungszweck der AO Foundation die Forschungsergebnisse kommerzialisieren. Und genau dieses Setting hat uns inspiriert. Die Mindfire Foundation sammelt das Wissen aller, die bei uns zur KI forschen. Die Aktiengesellschaft soll das Wissen gemäss dem Stiftungszweck zum Wohle der Menschen kommerzialisieren.
Und das ist attraktiv für Forschende?
Ja, das ist interessant für Talente. Bei Google und Facebook gehört die IP der Firma. Bei Mindfire LAB42 läuft das anders. Wir haben ein Format, das jede Idee in der Forschung mitschneidet und aufzeichnet. Wenn zwei Forschende miteinander diskutieren, etwas weiterentwickeln, setzen sie eine VR-Brille auf und treffen sich quasi im perfekten KI-Land oder «Aiverse». So kann man immer zurückverfolgen, wer die ursprüngliche Idee hatte, wer zu welcher Schlussfolgerung gelangte, wer was beigetragen hat. Das schätzen unsere Forscher.
Und was geschieht mit diesen Daten?
Die Essenz dieser Ideen sollen dann einem oder einer künstlichen Wissenschafter:in übergeben werden. Diese wüsste einfach alles, was bekannt ist, auch die bereits vorhandene Grundlagenforschung und kann daraus eigene Schlüsse ziehen und kreative neue Ansätze vorschlagen oder sogar selber verfolgen
Übrigens: Eine Umfrage bei Forschenden ergab, dass sie vor einer solchen virtuellen Wissenschafter:in Respekt, aber keineswegs Angst hätten.
Und weshalb forschen Sie in Davos?
Es war immer unsere Vision, aus der Schweiz heraus ein nationales Institut für KI zu bauen, welches weltweit einzigartig ist und einen klaren Fokus auf Anwendungen hat. Die Frage zum Standort war dabei wichtig und der Gedanke eines Instituts in der Science City Davos in den Schweizer Alpen faszinierte uns. Das WEF geniesst weit über die Landesgrenzen hinaus eine grosse Ausstrahlung und Davos verfügt nicht zuletzt deshalb über eine gute Infrastruktur. Und mit dem Standort Davos konnten wir erreichen, keinen Röstigraben aufzureissen und quasi auf neutralem Terrain ein schweizweit vernetztes KI-Institut zu bauen, welches auch global top vernetzt ist. Heute unterstützen uns bei unserem nationalen KI-Lab alle namhaften Institute in der Schweiz.
Zieht das Lab42 Forschende aufs Land?
Viele internationale Forschende kennen Davos wegen des WEF. Wir haben zudem weltweit Talente gefragt, wo sie geografisch am liebsten arbeiten. Überraschenderweise ist das nicht Shanghai oder Singapur, sondern die Antwort war: irgendwo in einer schönen Gegend mit einer tollen Natur und guter Infrastruktur. Davos bietet genau das. Und Davos hat sich zu einer Art Science-City entwickelt. Es gibt hier vier weltführende Institute, die uns motivieren, dereinst im Bereiche KI ebenfalls auf Weltniveau mithalten zu können – zum Wohle den Menschen.