Die Semester an den Universitäten starten wieder. Hat sich die Situation normalisiert?
Simon Merki: Die Situation normalisiert sich langsam, aber das bedeutet nicht, dass alle Bildungsambitionierten ausreichend finanzielle Mittel für eine Aus- oder Weiterbildung haben. Obwohl sich die wirtschaftliche Lage langsam erholt, sind unsere Dienstleistungen so gefragt wie noch nie.
Wie hat sich die Nachfrage nach ihren konventionellen Bildungsdarlehen entwickelt?
Bei EDUCA SWISS haben sich im laufenden Jahr schon fast 2000 Personen gemeldet. Damit sind bereits jetzt mehr Anmeldungen eingegangen als im Jahr 2020, welches gleichviele Anmeldungen verzeichnete, wie die vorigen vier Jahre zusammen. Die enorme Zunahme an Gesuchen schreiben wir zum einen der weiterhin instabilen finanziellen Lage bei Studierenden zu. Zum anderen finden immer mehr Personen zu uns, die auch ohne Pandemie finanziell benachteiligt sind, und diese gibt es – für manchen wohl überraschenderweise – auch in der Schweiz.
Viele Schweizer gehen davon aus, dass in unserem Land ambitionierten Personen alle Türen in der Bildung offenstehen. Dies ist leider nicht so. Mangels durchschnittlich 15’000 Franken über die gesamte Ausbildung gerechnet, können unerwartet viele eine Aus- oder Weiterbildung nicht absolvieren. Wir wollen, dass die «neue Normalität» auch «neue Chancen für alle» bedeutet.
Wirkt sich die Pandemiesituation noch auf die finanzielle Situation aus?
Viele Studierende sind nach wie vor von den Auswirkungen der Coronakrise betroffen. Sie finanzierten ihr Studium häufig mit Jobs in Bereichen, welche sich von der Pandemie noch immer nicht gänzlich erholt haben. Folglich stehen weiterhin nicht genügend Arbeitsstellen zur Verfügung – etwa im Event‑, Gastro und Tourismussektor. Doch nicht nur die Studierenden, sondern oftmals auch ihre Eltern, welche doch meist als erste Anlaufstelle für finanzielle Unterstützung gelten, haben noch mit den Langzeitfolgen von Kurzarbeit und Jobverlust zu kämpfen. Und dann sind da noch unzählige Personen in Ausbildung, die ein teils riesiges Loch in ihrem Budget haben und schlimmstenfalls nur durch überteuerte Kredite, offene Betreibungen und Kreditkartenüberzüge durchgekommen sind. Das ist kein guter Start ins Studium oder Berufsleben und bedeutet auch psychisch einen enormen Druck.
Wir gehen davon aus, dass gegen 10’000 Personen in der Schweiz auf Grund von Benachteiligungen keine Aus- und Weiterbildung absolvieren können.
Simon Merki, Geschäftsführer EDUCA SWISS
Wie stark wird die Covid-19-Nothilfe für Studierende nachgefragt?
Wir nehmen weiterhin Gesuche entgegen. Die meisten davon sind mittlerweile geprägt von offenen Rechnungen, Kreditkartenüberzügen und teils Betreibungen. Dank einer wunderbaren Initiative von SwissFoundations, dürfen wir seit dem zweiten Lockdown erstmals Stipendien an Betroffene vergeben und so eine wertvolle Erleichterung ermöglichen – selbstverständlich nur, wenn alle Kriterien erfüllt sind. Bisher erhielten wir über 400 vollständige Gesuche und unterstützten davon etwa 120 Personen mit Fondsgeldern von 750’000 Franken.
Gibt es regionale Unterschiede, resp. Studierende von Forschungseinrichtungen oder gewisser Studienrichtungen, die speziell unter der Pandemiesituation leiden?
Wir sind offen für alle Studienrichtungen und haben keine entsprechenden Kontingente. Wir können aber feststellen, dass Studierende die schon vor der Krise ihr Studium in erster Linie mit Nebenjobs finanzierten, deutlich häufiger auf ein entsprechendes Einkommen angewiesen sind und kaum andere Quellen zur Verfügung haben.
Bei den Nothilfeprogrammen für Unternehmen machen aktuell vor allem die Fälle Schlagzeilen, in welchen die Hilfeleistungen zu Unrecht bezogen wurden. Ist das bei Ihren Nothilfen ebenso ein Thema?
Bisher sind uns keine Fälle bekannt, bei denen jemand zu Unrecht Geld erhalten hat. Die Hilfe ist an klare Bedingungen geknüpft. Unsere Mittel sind beschränkt, weshalb wir die «dringendsten» Fälle unterstützen und nicht nach dem Giesskannenprinzip Gelder ausschütten können. Tatsächlich mussten wir vielen Gesuchstellern, mangels klarem Kausalzusammenhang zur Krise, absagen. Diese erhalten aber alle die Möglichkeit, unser Coaching kostenlos in Anspruch zu nehmen und so auf dem für uns klassischen Weg zu einer Finanzierung durch EDUCA SWISS zu kommen.
Wie schwierig ist es für Sie, die Gelder zur Finanzierung der Covid-19-Nothilfe zu äufnen.
Dank grosszügigen Partnerstiftungen hatten wir wenige Wochen nach Lancierung der Covid-19 Nothilfe mehrere 100’000 Franken zur Verfügung. Die Stiftungen und Philanthropen schätzen unsere innovative und professionelle Herangehensweise und ihnen war sofort klar, dass die Regulierungen dramatische Auswirkungen auf typische Studentenjobs haben würden. Schwieriger ist es, Verständnis für Betroffene zu bekommen, die ohne Corona dringend auf Fremdfinanzierung angewiesen sind. Wir gehen davon aus, dass gegen 10‘000 Personen in der Schweiz auf Grund von Benachteiligungen keine Aus- oder Weiterbildung absolvieren können. Die Krise hat diesen Aspekt lediglich verschärft. Und natürlich sind wir auch auf Spenden für die Organisation angewiesen – nur so können wir unsere Arbeit auf diesem Niveau leisten und täglich Chancen durch Bildung ermöglichen.
Finanzielle Probleme im Studium sind seit langem ein wichtiger Grund für Studienabbrüche.
Simon Merki, Geschäftsführer EDUCA SWISS
Sie begleiten die Studierenden mit einem Coach. Sind es in der aktuellen Situation vor allem die finanziellen Fragen, bei welchen Sie helfen können oder können Sie bei anderen Fragestellungen unterstützen?
Finanzielle Probleme im Studium sind seit langem ein wichtiger Grund für Studienabbrüche, weshalb wir mit der gemeinsamen Erstellung eines individuellen und detaillierten Budgets Klarheit über die Herausforderungen und einen allfälligen Finanzbedarf schaffen. Unser Coaching beginnt aber in den meisten Fällen bei der Definition eines klaren Berufsziels. Nur wer weiss, wohin die Ausbildung führt, kann diese auch durch schwierigere Zeiten verfolgen. Zusätzlich dienen unsere Coachs als Rückhalt und Ansprechpartner, gerade in solchen kritischen Phasen. Der Erfolg unseres Fördermodells zeigt sich in der Quote der Studienabschlüsse: Unsere Geförderten haben eine signifikant höhere Abschlussquote als der Schweizer Durchschnitt.
Führt die aktuelle Situation zu mehr Studienabbrüchen und was bedeutet das für bezogene Bildungsdarlehen? Ist das ein Thema und haben Sie die Möglichkeit, kulant zu sein?
Eine statistische Auswertung des Bundes zur Thematik der Abbrüche wurde für die Krisenjahre noch nicht erhoben. Dank der philanthropischen Grundmotivation unserer Darlehensgeberinnen und Darlehensgeber, konnten wir bisher immer eine Lösung bei Rückzahlungsschwierigkeiten finden. Die Darlehensgeber sind oft direkte Vertragspartner und nicht an finanziellem Profit durch die Bildungsdarlehen interessiert. Ihnen geht es um die Wirkung, die ihr Geld schafft. Was wir aber bezüglich Studienabbrüchen in unseren Coachings feststellen, ist, dass viele Studierende ihre Ausbildung aufgrund fehlender finanzieller Mittel für unbestimmte Zeit auf Eis legen, wenn sie nicht unterstützt werden. Unser Bestreben ist daher, genau diese fehlende Unterstützung breit aufgestellt zu bieten.