Dürfen Förder­stif­tun­gen und NPO «poli­tisch» sein?

Seit 2018 steht die Advocacy-Arbeit grosser Förderstiftungen immer wieder unter Kritik. Im Herbst 2020 gipfelte die Kritik in einer Motion, nachdem wirtschaftsnahe Kreise sich über die öffentliche Unterstützung von NPO für die Annahme der Konzernverantwortungs-Initiative KVI aussprachen.

Im Herbst 2018 wurde die Stif­tungs­welt von einem nega­ti­ven Arti­kel in der NZZ aufge­schreckt, in dem die Advo­cacy-Arbeit einer gros­sen Förder­stif­tung für die frühe Förde­rung von Kindern ange­grif­fen wurde. Argu­ment war, dass Förde­rer gesell­schaft­li­che Problem­the­men auf die Agenda bräch­ten, und der Steu­er­zah­ler dann die Kosten für deren Behe­bung tragen müsse. Zwei Jahre später empör­ten sich wirt­schafts­nahe Kreise darüber, dass Nonpro­fit-Orga­ni­sa­tio­nen sich öffent­lich für eine Annahme der Konzern­ver­ant­wor­tungs-Initia­tive einsetz­ten. Dies sei nicht mehr gemein­nüt­zig. Dies gipfelte in einer Motion im natio­na­len Parla­ment, dass man solchen Orga­ni­sa­tio­nen die Steu­er­be­frei­ung entzie­hen soll.

Doch über was genau wird hier disku­tiert? Um dies genauer zu fassen haben wir, zusam­men mit KEK – CDC aus Zürich, ein Grund­la­gen-Buch erar­bei­tet, das letzte Woche in der Publi­ka­ti­ons­reihe des CEPS – Aus Forschung & Praxis als Band 27; «Advo­cacy – die gesell­schafts­po­li­ti­sche Arbeit von Nonpro­fit-Orga­ni­sa­tio­nen und Förder­stif­tun­gen» erschie­nen ist.

Kurzes Gedächt­nis der Kritiker

Den Kriti­ken gesell­schafts­po­li­ti­scher Arbeit von Förder­stif­tun­gen und Nonpro­fit-Orga­ni­sa­tio­nen (NPO) ist gemein­sam, dass sie immer das Bild vermit­teln, dass Advo­cacy-Arbeit eine neue Erschei­nung sei. Nichts könnte falscher sein, ist ja das anwalt­schaft­li­che Eintre­ten für eine Sache oder für Perso­nen, die dies benö­ti­gen, der urei­gene Zweck jeder NPO. Advo­cacy-Arbeit heisst ja genau dies: sich anwalt­schaft­lich für eine Sache einset­zen. Förder­stif­tun­gen und NPO defi­nie­ren in ihrer Zweck­be­stim­mung, für welche Sache sie sich einset­zen wollen, und dieses Ziel gilt es zu erreichen.

Seit der Grün­dung der moder­nen Schweiz 1848 spie­len gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen eine wich­tige Rolle in allen gesell­schaft­li­chen Berei­chen der Schweiz und Errun­gen­schaf­ten wie das Verbot von Kinder­ar­beit, genos­sen­schaft­li­cher Wohnungs­bau, die AHV oder das Frau­en­stimm­recht sind ohne die Advo­cacy-Arbeit gemein­nüt­zi­ger Orga­ni­sa­tio­nen nicht denk­bar. Die letz­ten 25 Jahre zeigen kein Anstei­gen der Advo­cacy-Tätig­keit von NPO, sondern eher das Gegen­teil, nämlich den Rück­zug vieler bedeu­ten­der Hilfs­werke der Schweiz aus der poli­ti­schen Debatte. Dies ist teil­weise die direkte Folge des Wech­sels von pauscha­ler Subven­tion zu Leis­tungs­ver­trä­gen mit dem Bund und den Kanto­nen, in deren Vertrags­text den NPO gesell­schafts­po­li­ti­sche Tätig­keit teil­weise expli­zit unter­sagt wird.

Hier füllen heute Förder­stif­tun­gen eine wich­tige Lücke und nehmen dabei, wohl unbe­wusst, das Vorbild der bedeu­tends­ten Förder­or­ga­ni­sa­tion dieses Landes, der Schw. Gemein­nüt­zi­gen Gesell­schaft SGG, auf, die die Schweiz mit ihrer Advo­cacy-Arbeit über zwei Jahr­hun­derte ganz mass­geb­lich mitge­prägt hat.

Der prag­ma­ti­sche Zugang

Aus Phil­an­thro­pie-theo­re­ti­scher Sicht ist die Diskus­sion sehr einfach. Jede Förder­stif­tung und jede opera­tiv tätige NPO hat die Aufgabe, ihr im Zweck defi­nier­tes Ziel zu errei­chen, sei dies «Bekämp­fung von Armut», «saubere Meere» oder «trans­pa­rente Poli­tik». Für die ziel­füh­rende Arbeit der Orga­ni­sa­tion stehen sechs Inter­ven­ti­ons­fel­der zur Verfügung.

Die Möglich­kei­ten der Inter­ven­tion begin­nen bei der Forschung (Feld 1), um über ein Thema genü­gend Wissen zu haben, gehen weiter zur Projekt­ar­beit mit Projekt­ent­wick­lung, Ausbrei­tung und Siche­rung (Felder 2, 3 und 4) und enden bei gesell­schaft­li­cher Meinungs­bil­dungs­ar­beit mit Advo­cacy und Netz­werk-Arbeit (Felder 5 und 6). Der Erfolg der Arbeit wird an der Errei­chung des gesetz­ten Ziels gemes­sen. Zeich­net sich ab, dass Advo­cacy-Arbeit dabei hilf­reich oder notwen­dig wäre, sollte die NPO dies auch nutzen.

Die Fall­stu­die zur Arbeit der Jacobs Foun­da­tion, die zentra­ler Teil der Publi­ka­tion ist, zeigt, wie Advo­ca­cy­ar­beit aus den voraus­ge­hen­den Inter­ven­tio­nen entste­hen kann. Inves­tiert man in Forschung, werden nach eine gewis­sen Zeit Resul­tate auf dem Tisch liegen. Daraus entste­hen Lösungs­an­sätze, die nun in Projek­ten geprüft werden müssen. Zeigt sich, dass ungüns­tige Rahmen­be­din­gun­gen ein wesent­li­cher Teil der Problem­stel­lung sind, kann eine Förder­stif­tung oder einen NPO kaum vermei­den, dass man versucht, diese Bedin­gun­gen zu ändern. Die Verän­de­rung ungüns­ti­ger Rahmen­be­din­gun­gen ist das erklärte Ziel von Advocacyarbeit.

Aber was beinhal­tet eine Advocacy-Arbeit?

Verfol­gen wir die Debat­ten, dann schei­nen die einzel­nen Expo­nen­ten ganz unter­schied­li­che Vorstel­lun­gen zu haben, was denn unter Advo­cacy-Arbeit zu verste­hen sei? Die einen setzen den Begriff deckungs­gleich mit Lobby­is­mus im Parla­ment ein, für die ande­ren ist schon ihr News­let­ter «anwalt­schaft­lich». Die Publi­ka­tion versucht, präzise Gren­zen zu ziehen und benennt zwan­zig direkte und indi­rekte Werk­zeuge der Advo­cacy-Arbeit, die auf unter­schied­li­chen gesell­schaft­li­chen Ebenen anset­zen und ande­ren Mecha­nis­men unter­wor­fen sind.

Drei Erkennt­nisse aus der Fall­stu­die sind hier bemerkenswert:

  • Advo­cacy-Arbeit braucht Durch­hal­te­ver­mö­gen, die Ände­rung gesell­schaft­li­cher Rahmen­be­din­gun­gen geht nicht von heute auf morgen — die erste Volks­in­itia­tive zum Frau­en­stimm­recht wurde 1929 einge­reicht. Es müssen nicht gerade 50 Jahre sein, aber mit einer Plakat­kam­pa­gne ist es sicher nicht getan.
  • Wie bei den ande­ren Inter­ven­ti­ons­fel­der «Forschung» oder «Projekt­ar­beit» braucht auch Advo­cacy spezi­fi­sches Wissen im Team – und auch im Stif­tungs­rat oder Vereins­vor­stand. Berei­ten Sie sich seriös vor, denn als Konse­quenz aus Punkt eins sollte man diese Arbeit «inhouse» leis­ten. Über Jahre ein PR-Büro zu enga­gie­ren ist aus unse­rer Sicht keine Option, höchs­ten eine punk­tu­elle Ergänzung.
  • Netz­werk­ar­beit ohne Advo­cacy-Ziele geht, aber Advo­cacy-Arbeit ohne ein star­kes Netz­werk geht nicht. Advo­cacy-Arbeit ist keine profi­lie­rungs­neu­ro­ti­sche Einzel­tat, sondern ganz und gar die Umset­zung des SDG 17 «Part­ner­ship fort he Goals». Inves­tie­ren Sie vom ersten Moment an Zeit und Ener­gie in Netz­werke, Alli­an­zen und Partnerschaften.
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