Digi­tale Souve­rä­ni­tät ohne Abschottung

In Zeiten dominanter Tech-Riesen scheint die digitale Unabhängigkeit der Schweiz zunehmend gefährdet. Sinja Christiani, Geschäftsführerin der Hasler Stiftung, schätzt ein, wie die Philanthropie durch gezielte IT-Förderung die technologische Zukunft des Werkplatzes Schweiz sichert.

Im Januar 2025 haben Sie ein neues Förder­pro­gramm «Digi­ta­liza­tion & Demo­cracy» lanciert. Weshalb gerade jetzt?

Das Thema ist aktu­el­ler denn je. Die fort­schrei­tende Digi­ta­li­sie­rung birgt enorme Chan­cen, aber auch Risi­ken: Die Verbrei­tung von Misin­for­ma­tion, der Einfluss sozia­ler Medien auf die Meinungs­bil­dung oder die Schwä­chung unab­hän­gi­ger Medien als vierte Gewalt – und zentra­ler Akteur einer funk­tio­nie­ren­den Demo­kra­tie. Als Förder­stif­tung von Infor­ma­ti­ons- und Kommu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gie (ICT) wollen wir nicht nur tech­no­lo­gi­sche Entwick­lun­gen unter­stüt­zen, sondern auch die gesell­schaft­li­chen Auswir­kun­gen der Digi­ta­li­sie­rung verste­hen. Wir wollen Forschungs­pro­jekte fördern, die den Zusam­men­hang zwischen Demo­kra­tie und Digi­ta­li­sie­rung unter­su­chen und gleich­zei­tig anhand der Tech­no­lo­gie mögli­che Lösun­gen entwi­ckeln. Mit der Stif­tung Merca­tor Schweiz haben wir dafür die ideale Projekt­part­ne­rin gefun­den. Sie bringt neben unse­rer tech­no­lo­gi­schen Perspek­tive auch sozi­al­wis­sen­schaft­li­che und gesell­schafts­po­li­ti­sche Kompe­ten­zen ein.

Haben die poli­ti­schen Entwick­lun­gen in den USA und der damit verbun­dene Rück­zug der USAID-Finan­zie­rung Ihre Entschei­dung für das neue Förder­pro­gramm beeinflusst?

Die zeit­li­che Über­schnei­dung war rein zufäl­lig. Die Entwick­lun­gen in den USA haben aber verdeut­licht, wie Tech­no­lo­gie und geopo­li­ti­sche Macht heute mitein­an­der verfloch­ten sind. Grosse Tech-Konzerne und ihre Vertre­ter rücken zuneh­mend an die Seite poli­ti­scher Entschei­dungs­trä­ger – wie etwa bei der Inau­gu­ra­tion von Donald Trump sicht­bar wurde.  Das verstärkt poten­zi­ell auch die bereits genann­ten Risi­ken der Digi­ta­li­sie­rung, die demo­kra­ti­sche Prozesse unter Druck setzen. Diese Entwick­lun­gen haben unse­rem Programm zusätz­li­chen Rücken­wind gege­ben und aufge­zeigt, dass es genau jetzt nötig ist. Die Reso­nanz war entspre­chend gross: Über 130 Anträge sind einge­gan­gen. Eine Auswahl ist aktu­ell in der Konzept­phase. Im Spät­som­mer fällt die finale Entschei­dung, ab Okto­ber star­ten die ersten Projekte.

Im Rahmen des «Respon­si­ble AI program» fördert die Hasler Stif­tung verschie­dene Forschungs­pro­jekte im Bereich der Künst­li­chen Intel­li­genz (KI). Welches Ziel verfol­gen Sie damit?

Wir fördern derzeit neun Forschungs­pro­jekte an Schwei­zer Infor­ma­tik­hoch­schu­len, die neue tech­ni­sche Grund­la­gen für vertrau­ens­wür­dige und verant­wor­tungs­volle KI-Systeme entwi­ckeln. KI ist längst Teil unse­res Alltags – seit dem Durch­bruch gene­ra­ti­ver Modelle wie ChatGPT nutzen auch Menschen täglich KI, die zuvor kaum bewusst damit in Berüh­rung kamen. Je stär­ker unsere Akti­vi­tä­ten und Entschei­dun­gen durch KI beein­flusst oder auto­ma­ti­siert werden, desto unab­ding­ba­rer ist es, dass diese Systeme unse­ren ethi­schen Werten entspre­chend trans­pa­rent und nach­voll­zieh­bar bleiben.

Die Hasler Stif­tung hat früh die Halb­lei­ter­for­schung in der Schweiz mitge­prägt – welche Paral­le­len sehen Sie zwischen dem dama­li­gen Enga­ge­ment und den heuti­gen Heraus­for­de­run­gen rund um KI? 

Ohne die Errun­gen­schaf­ten der Halb­lei­ter­for­schung gäbe es die heuti­gen KI-Systeme nicht. Ihre Leis­tungs­fä­hig­keit hängt direkt mit der verfüg­ba­ren Rechen­leis­tung zusam­men – und die wiederum basiert auf moderns­ten Halb­lei­ter­tech­no­lo­gien. Die Tech­no­lo­gie­ent­wick­lung ist weiter­hin teuer und ressour­cen­in­ten­siv. In der Halb­lei­ter­for­schung waren es spezia­li­sierte Geräte, heute sind es vor allem Rechen­leis­tung und leis­tungs­starke Chips, die zum Engpass werden – in der Forschung wie in der Anwen­dung. Gleich­zei­tig steht die Schweiz im globa­len Wett­be­werb um Talente und Know-how.

Auch heute noch ist der Austausch von Wissen und Tech­no­lo­gien zwischen Forschen­den und Unter­neh­men in verschie­de­nen Ländern uner­läss­lich. Die Schweiz ist in der KI-Forschung auf inter­na­tio­nale Koope­ra­tio­nen ange­wie­sen. Dass früh­zei­tige Inves­ti­tio­nen in Schlüs­sel­tech­no­lo­gien entschei­dend für den zukünf­ti­gen Wohl­stand sind, zeigt nicht nur die Geschichte der Halb­lei­ter­tech­no­lo­gie – das gilt ebenso für viele andere Tech­no­lo­gien, was sich heute auch bei der KI zeigt.

Forschung ist zentral, reicht aber allein oft nicht aus. Wie stel­len Sie sicher, dass die geför­der­ten Projekte auch Wirkung in der Gesell­schaft entfalten?

Entschei­dend ist, dass von Anfang an Partner:innen aus der Praxis einge­bun­den sind. In unse­rem Förder­pro­gramm «Digi­ta­liza­tion & Demo­cracy» ist das Voraus­set­zung: Jedes Projekt muss inter­dis­zi­pli­när und inter­sek­to­ral aufge­stellt sein. Forschende arbei­ten direkt mit Umsetzungspartner:innen – beispiels­weise NGOs, zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen, oder Bundes­stel­len – zusam­men. Dadurch über­set­zen sie Forschungs­er­kennt­nisse möglichst effek­tiv und zeit­nah in konkrete, gesell­schafts­re­le­vante Lösun­gen mit direk­tem Impact für die Schweiz.

Doch nicht jedes Projekt zeigt sofor­tige Wirkung. Gerade Grund­la­gen­for­schung lebt davon, noch nicht mit einem konkre­ten Ziel zu begin­nen. Diverse Errun­gen­schaf­ten der Forschung haben ihre gesell­schaft­li­che Wirkung erst viele Jahre später entfal­tet. Deshalb fördern wir als Stif­tung bewusst auch riskante Forschungs­pro­jekte – selbst wenn der direkte Impact nicht sofort sicht- und mess­bar ist.

Tech­no­lo­gie und geopo­li­ti­sche Macht sind heute untrenn­bar mitein­an­der verflochten.

Sinja Chris­tiani, Geschäfts­füh­re­rin Hasler Stiftung

Wie können diese Projekte zur tech­no­lo­gi­schen Souve­rä­ni­tät der Schweiz beitragen?

Vorerst möchte ich beto­nen, dass Souve­rä­ni­tät nicht direkt Abschot­tung bedeu­ten sollte. Unse­ren heuti­gen Wohl­stand konn­ten wir als Nation zu einem gros­sen Teil durch inter­na­tio­nale Zusam­men­ar­beit aufbauen. Zudem sind wir heute global so vernetzt, dass völlige Unab­hän­gig­keit weder realis­tisch noch wünschens­wert ist. Viel­mehr geht es darum, die Abhän­gig­kei­ten in einem vernünf­ti­gen Rahmen zu halten. Schluss­end­lich ist es eine Frage des Risi­ko­ma­nage­ments, ähnlich wie bei der Diver­si­fi­zie­rung eines Port­fo­lios. Hinzu kommen geopo­li­ti­sche Fakto­ren und Fragen zu Daten­schutz und Cyber­si­cher­heit: Was passiert mit unse­ren Daten? Wer kann im Ernst­fall darauf zugreifen?

Vor allem aber beginnt digi­tale Souve­rä­ni­tät bei jeder und jedem Einzel­nen. Wer Tech­no­lo­gien nutzt, muss verste­hen, wie sie wirken und wie man mit ihnen umgeht. Neben Bildung und Aufklä­rung ist die Nach­wuchs­för­de­rung, beson­ders in MINT-Fächern (Mathe­ma­tik, Infor­ma­tik, Natur­wis­sen­schaft und Tech­nik) und soge­nann­ten Future Skills wie kriti­schem, vernetz­tem Denken und emotio­na­ler Intel­li­genz, entschei­dend. Wenn wir junge Menschen dafür begeis­tern, schaf­fen wir die Grund­lage für digi­tale Mündigkeit.

Die Schweiz ist stark von digi­ta­len Diens­ten aus dem Ausland abhän­gig. Was bedeu­tet das für den künf­ti­gen Werk­platz Schweiz?

Die gros­sen Tech­no­lo­gie-Platt­for­men werden durch ihre Skalier­bar­keit unschlag­bar und verschie­ben somit Macht­ver­hält­nisse. Umsätze, die früher lokal ange­fal­len sind, flies­sen jetzt zu globa­len Tech-Riesen. Beispiele dafür sind die Werbe­ein­nah­men loka­ler Zeitun­gen, die plötz­lich bei Goog­leAds landen, während Umsätze aus der Hotel­le­rie zu AirBnB oder Taxi­mar­gen zu Uber gehen. Trotz­dem gibt es gerade im B2C-Bereich Schwei­zer Platt­for­men, die sich gegen­über inter­na­tio­na­len Konkur­ren­ten behaup­ten konn­ten. So nutzen viele Schweizer:innen anstatt PayPal lieber Twint, verkau­fen ihre Sachen bei Ricardo anstatt e‑Bay und shop­pen lieber bei Gala­xus als bei Amazon. Doch auch diese Unter­neh­men sind oft von auslän­di­schen Cloud-Diens­ten abhän­gig. Zudem könn­ten viele Jobs vor Ort durch KI auto­ma­ti­siert werden.

Für den Werk­platz Schweiz ist es deshalb entschei­dend, dass wir im Land forschen und entwi­ckeln. Wir brau­chen eine starke Tech­no­lo­gie­bran­che, die neben gros­sen inter­na­tio­na­len Tech­no­lo­gie­fir­men genauso vom loka­len Forschungs­stand­ort und Talent­pool profi­tiert – und dadurch eine gewisse Unab­hän­gig­keit bewahrt. Die Frage für die Schweiz sollte daher lauten: Wie stel­len wir sicher, dass wir auch künf­tig von der Entste­hung neuer Arbeits­plätze und Umsatz­ka­nä­len durch KI profi­tie­ren? Und wie erhal­ten wir dabei unse­ren Wohl­stand im Einklang mit unse­ren Werten?

Wie kann die Phil­an­thro­pie hier Gestal­tungs­räume schaffen? 

Im Gegen­satz zur öffent­li­chen Hand und kommer­zi­ell agie­ren­den Akteu­ren ist es in der Natur des Stif­tungs­sek­tors, grös­sere Risi­ken einge­hen zu können. Die Phil­an­thro­pie kann Projekte fördern, die neue digi­tale Ansätze erpro­ben und inno­va­tive Lösun­gen entwi­ckeln – auch wenn diese wirt­schaft­lich (noch) nicht attrak­tiv sind. Gerade im Bereich der digi­ta­len Inno­va­tio­nen braucht es Frei­räume, um neue Wege zu ebnen. In der Schweiz gibt es verschie­dene Akteure, die sich sehr aktiv und konstruk­tiv mit dem Thema ausein­an­der­set­zen. Die Phil­an­thro­pie kann diesen Initia­ti­ven Rücken­wind geben und ihre Wirkung verstärken.

Ein span­nen­des inter­na­tio­na­les Beispiel ist der «EuroStack»-Report, der im Februar 2025 von der Bertels­mann Stif­tung (mit Unter­stüt­zung von der Merca­tor Stif­tung (Deutsch­land), CEPS, und dem UCL Insti­tute for Inno­va­tion and Public Purpose) veröf­fent­licht wurde. Der Report zeigt einen mögli­chen Weg zur euro­päi­schen tech­no­lo­gi­schen Souve­rä­ni­tät auf. Der beschrie­bene Weg ist bewusst als indus­trie­po­li­ti­scher Moonshot gedacht: visio­när, risi­ko­reich, teuer – mit Inves­ti­tio­nen von 300 Milli­ar­den Euro während zehn Jahren. Ist das unrea­lis­tisch und naiv? Viel­leicht. Aber genau solche muti­gen Initia­ti­ven braucht es – denn schon der Report selbst hilft, die Diskus­sion zu struk­tu­rie­ren und das Thema stär­ker in das Bewusst­sein der Öffent­lich­keit und auf die poli­ti­sche Agenda zu bringen.

Was wünschen Sie sich von der Poli­tik, um digi­tale Abhän­gig­kei­ten zu verrin­gern und diese Räume zu stärken?

Die Poli­tik kann viel bewir­ken, auch ohne Indus­trie­po­li­tik zu betrei­ben. Zum Beispiel wurde mit dem neuen Bundes­ge­setz über die Verwen­dung elek­tro­ni­scher Mittel zur Erfül­lung von Regie­rungs­auf­ga­ben (EMBAG) kürz­lich ein Schritt in Rich­tung Open-Source-Lösun­gen gemacht. Das kann nicht nur Abhän­gig­kei­ten der IT-Bran­che und Öffent­lich­keit gegen­über bestimm­ten Anbie­tern verrin­gern, sondern auch Inno­va­tion fördern und lang­fris­tig IT-Kosten senken.

Wie bereits erwähnt, verän­dert die tech­no­lo­gi­sche Entwick­lung Macht­ver­hält­nisse. Diese Verschie­bun­gen gehen über poli­ti­sche Gren­zen hinaus und können mittel­fris­tig auch unsere sozia­len und poli­ti­schen Systeme ins Wanken brin­gen. Hier ist die Poli­tik gefor­dert. Sie muss Lösun­gen bieten, die uns in die Zukunft beglei­ten und Fort­schritt ermög­li­chen – nicht Lösun­gen, die nost­al­gisch an der Vergan­gen­heit fest­hal­ten und Fort­schritt blockieren.

Und schliess­lich spielt die Poli­tik auch in der Nach­wuchs­för­de­rung (MINT oder Future Skills) eine zentrale Rolle. Die Phil­an­thro­pie kann hier Impulse geben, aber die lang­fris­tige Verant­wor­tung liegt bei der öffent­li­chen Hand. Wenn wir die digi­ta­len Kompe­ten­zen und Talente von morgen sichern wollen, braucht es eine Schwei­zer Bildungs­po­li­tik, die sich an neue Bedürf­nisse und Gege­ben­hei­ten anpasst und vorausdenkt.

Zur Person
Sinja Chris­tiani ist seit August 2024 Geschäfts­füh­re­rin der Hasler Stif­tung. Die studierte Infor­ma­ti­ke­rin hat sich früh für Tech­no­lo­gie begeis­tert – bereits mit 14 Jahren program­mierte sie ihre erste Website. Seit­her hat sie ihre Exper­tise in Daten­ana­lyse, Tech-Leader­ship und stra­te­gi­scher Unter­neh­mens­füh­rung bei IBM, Deloitte und der Zürich Versi­che­rungs­gruppe aufge­baut. Ihr beson­de­res Inter­esse liegt im Zusam­men­spiel von Tech­no­lo­gie, Inno­va­tion und Gesell­schaft – ein Fokus, den sie nun auch in ihrer Rolle bei der Hasler Stif­tung weiterverfolgt.

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