Im Januar 2025 haben Sie ein neues Förderprogramm «Digitalization & Democracy» lanciert. Weshalb gerade jetzt?
Das Thema ist aktueller denn je. Die fortschreitende Digitalisierung birgt enorme Chancen, aber auch Risiken: Die Verbreitung von Misinformation, der Einfluss sozialer Medien auf die Meinungsbildung oder die Schwächung unabhängiger Medien als vierte Gewalt – und zentraler Akteur einer funktionierenden Demokratie. Als Förderstiftung von Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) wollen wir nicht nur technologische Entwicklungen unterstützen, sondern auch die gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung verstehen. Wir wollen Forschungsprojekte fördern, die den Zusammenhang zwischen Demokratie und Digitalisierung untersuchen und gleichzeitig anhand der Technologie mögliche Lösungen entwickeln. Mit der Stiftung Mercator Schweiz haben wir dafür die ideale Projektpartnerin gefunden. Sie bringt neben unserer technologischen Perspektive auch sozialwissenschaftliche und gesellschaftspolitische Kompetenzen ein.
Haben die politischen Entwicklungen in den USA und der damit verbundene Rückzug der USAID-Finanzierung Ihre Entscheidung für das neue Förderprogramm beeinflusst?
Die zeitliche Überschneidung war rein zufällig. Die Entwicklungen in den USA haben aber verdeutlicht, wie Technologie und geopolitische Macht heute miteinander verflochten sind. Grosse Tech-Konzerne und ihre Vertreter rücken zunehmend an die Seite politischer Entscheidungsträger – wie etwa bei der Inauguration von Donald Trump sichtbar wurde. Das verstärkt potenziell auch die bereits genannten Risiken der Digitalisierung, die demokratische Prozesse unter Druck setzen. Diese Entwicklungen haben unserem Programm zusätzlichen Rückenwind gegeben und aufgezeigt, dass es genau jetzt nötig ist. Die Resonanz war entsprechend gross: Über 130 Anträge sind eingegangen. Eine Auswahl ist aktuell in der Konzeptphase. Im Spätsommer fällt die finale Entscheidung, ab Oktober starten die ersten Projekte.
Im Rahmen des «Responsible AI program» fördert die Hasler Stiftung verschiedene Forschungsprojekte im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI). Welches Ziel verfolgen Sie damit?
Wir fördern derzeit neun Forschungsprojekte an Schweizer Informatikhochschulen, die neue technische Grundlagen für vertrauenswürdige und verantwortungsvolle KI-Systeme entwickeln. KI ist längst Teil unseres Alltags – seit dem Durchbruch generativer Modelle wie ChatGPT nutzen auch Menschen täglich KI, die zuvor kaum bewusst damit in Berührung kamen. Je stärker unsere Aktivitäten und Entscheidungen durch KI beeinflusst oder automatisiert werden, desto unabdingbarer ist es, dass diese Systeme unseren ethischen Werten entsprechend transparent und nachvollziehbar bleiben.
Die Hasler Stiftung hat früh die Halbleiterforschung in der Schweiz mitgeprägt – welche Parallelen sehen Sie zwischen dem damaligen Engagement und den heutigen Herausforderungen rund um KI?
Ohne die Errungenschaften der Halbleiterforschung gäbe es die heutigen KI-Systeme nicht. Ihre Leistungsfähigkeit hängt direkt mit der verfügbaren Rechenleistung zusammen – und die wiederum basiert auf modernsten Halbleitertechnologien. Die Technologieentwicklung ist weiterhin teuer und ressourcenintensiv. In der Halbleiterforschung waren es spezialisierte Geräte, heute sind es vor allem Rechenleistung und leistungsstarke Chips, die zum Engpass werden – in der Forschung wie in der Anwendung. Gleichzeitig steht die Schweiz im globalen Wettbewerb um Talente und Know-how.
Auch heute noch ist der Austausch von Wissen und Technologien zwischen Forschenden und Unternehmen in verschiedenen Ländern unerlässlich. Die Schweiz ist in der KI-Forschung auf internationale Kooperationen angewiesen. Dass frühzeitige Investitionen in Schlüsseltechnologien entscheidend für den zukünftigen Wohlstand sind, zeigt nicht nur die Geschichte der Halbleitertechnologie – das gilt ebenso für viele andere Technologien, was sich heute auch bei der KI zeigt.
Forschung ist zentral, reicht aber allein oft nicht aus. Wie stellen Sie sicher, dass die geförderten Projekte auch Wirkung in der Gesellschaft entfalten?
Entscheidend ist, dass von Anfang an Partner:innen aus der Praxis eingebunden sind. In unserem Förderprogramm «Digitalization & Democracy» ist das Voraussetzung: Jedes Projekt muss interdisziplinär und intersektoral aufgestellt sein. Forschende arbeiten direkt mit Umsetzungspartner:innen – beispielsweise NGOs, zivilgesellschaftlichen Organisationen, oder Bundesstellen – zusammen. Dadurch übersetzen sie Forschungserkenntnisse möglichst effektiv und zeitnah in konkrete, gesellschaftsrelevante Lösungen mit direktem Impact für die Schweiz.
Doch nicht jedes Projekt zeigt sofortige Wirkung. Gerade Grundlagenforschung lebt davon, noch nicht mit einem konkreten Ziel zu beginnen. Diverse Errungenschaften der Forschung haben ihre gesellschaftliche Wirkung erst viele Jahre später entfaltet. Deshalb fördern wir als Stiftung bewusst auch riskante Forschungsprojekte – selbst wenn der direkte Impact nicht sofort sicht- und messbar ist.
Technologie und geopolitische Macht sind heute untrennbar miteinander verflochten.
Sinja Christiani, Geschäftsführerin Hasler Stiftung
Wie können diese Projekte zur technologischen Souveränität der Schweiz beitragen?
Vorerst möchte ich betonen, dass Souveränität nicht direkt Abschottung bedeuten sollte. Unseren heutigen Wohlstand konnten wir als Nation zu einem grossen Teil durch internationale Zusammenarbeit aufbauen. Zudem sind wir heute global so vernetzt, dass völlige Unabhängigkeit weder realistisch noch wünschenswert ist. Vielmehr geht es darum, die Abhängigkeiten in einem vernünftigen Rahmen zu halten. Schlussendlich ist es eine Frage des Risikomanagements, ähnlich wie bei der Diversifizierung eines Portfolios. Hinzu kommen geopolitische Faktoren und Fragen zu Datenschutz und Cybersicherheit: Was passiert mit unseren Daten? Wer kann im Ernstfall darauf zugreifen?
Vor allem aber beginnt digitale Souveränität bei jeder und jedem Einzelnen. Wer Technologien nutzt, muss verstehen, wie sie wirken und wie man mit ihnen umgeht. Neben Bildung und Aufklärung ist die Nachwuchsförderung, besonders in MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) und sogenannten Future Skills wie kritischem, vernetztem Denken und emotionaler Intelligenz, entscheidend. Wenn wir junge Menschen dafür begeistern, schaffen wir die Grundlage für digitale Mündigkeit.
Die Schweiz ist stark von digitalen Diensten aus dem Ausland abhängig. Was bedeutet das für den künftigen Werkplatz Schweiz?
Die grossen Technologie-Plattformen werden durch ihre Skalierbarkeit unschlagbar und verschieben somit Machtverhältnisse. Umsätze, die früher lokal angefallen sind, fliessen jetzt zu globalen Tech-Riesen. Beispiele dafür sind die Werbeeinnahmen lokaler Zeitungen, die plötzlich bei GoogleAds landen, während Umsätze aus der Hotellerie zu AirBnB oder Taximargen zu Uber gehen. Trotzdem gibt es gerade im B2C-Bereich Schweizer Plattformen, die sich gegenüber internationalen Konkurrenten behaupten konnten. So nutzen viele Schweizer:innen anstatt PayPal lieber Twint, verkaufen ihre Sachen bei Ricardo anstatt e‑Bay und shoppen lieber bei Galaxus als bei Amazon. Doch auch diese Unternehmen sind oft von ausländischen Cloud-Diensten abhängig. Zudem könnten viele Jobs vor Ort durch KI automatisiert werden.
Für den Werkplatz Schweiz ist es deshalb entscheidend, dass wir im Land forschen und entwickeln. Wir brauchen eine starke Technologiebranche, die neben grossen internationalen Technologiefirmen genauso vom lokalen Forschungsstandort und Talentpool profitiert – und dadurch eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt. Die Frage für die Schweiz sollte daher lauten: Wie stellen wir sicher, dass wir auch künftig von der Entstehung neuer Arbeitsplätze und Umsatzkanälen durch KI profitieren? Und wie erhalten wir dabei unseren Wohlstand im Einklang mit unseren Werten?
Wie kann die Philanthropie hier Gestaltungsräume schaffen?
Im Gegensatz zur öffentlichen Hand und kommerziell agierenden Akteuren ist es in der Natur des Stiftungssektors, grössere Risiken eingehen zu können. Die Philanthropie kann Projekte fördern, die neue digitale Ansätze erproben und innovative Lösungen entwickeln – auch wenn diese wirtschaftlich (noch) nicht attraktiv sind. Gerade im Bereich der digitalen Innovationen braucht es Freiräume, um neue Wege zu ebnen. In der Schweiz gibt es verschiedene Akteure, die sich sehr aktiv und konstruktiv mit dem Thema auseinandersetzen. Die Philanthropie kann diesen Initiativen Rückenwind geben und ihre Wirkung verstärken.
Ein spannendes internationales Beispiel ist der «EuroStack»-Report, der im Februar 2025 von der Bertelsmann Stiftung (mit Unterstützung von der Mercator Stiftung (Deutschland), CEPS, und dem UCL Institute for Innovation and Public Purpose) veröffentlicht wurde. Der Report zeigt einen möglichen Weg zur europäischen technologischen Souveränität auf. Der beschriebene Weg ist bewusst als industriepolitischer Moonshot gedacht: visionär, risikoreich, teuer – mit Investitionen von 300 Milliarden Euro während zehn Jahren. Ist das unrealistisch und naiv? Vielleicht. Aber genau solche mutigen Initiativen braucht es – denn schon der Report selbst hilft, die Diskussion zu strukturieren und das Thema stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit und auf die politische Agenda zu bringen.
Was wünschen Sie sich von der Politik, um digitale Abhängigkeiten zu verringern und diese Räume zu stärken?
Die Politik kann viel bewirken, auch ohne Industriepolitik zu betreiben. Zum Beispiel wurde mit dem neuen Bundesgesetz über die Verwendung elektronischer Mittel zur Erfüllung von Regierungsaufgaben (EMBAG) kürzlich ein Schritt in Richtung Open-Source-Lösungen gemacht. Das kann nicht nur Abhängigkeiten der IT-Branche und Öffentlichkeit gegenüber bestimmten Anbietern verringern, sondern auch Innovation fördern und langfristig IT-Kosten senken.
Wie bereits erwähnt, verändert die technologische Entwicklung Machtverhältnisse. Diese Verschiebungen gehen über politische Grenzen hinaus und können mittelfristig auch unsere sozialen und politischen Systeme ins Wanken bringen. Hier ist die Politik gefordert. Sie muss Lösungen bieten, die uns in die Zukunft begleiten und Fortschritt ermöglichen – nicht Lösungen, die nostalgisch an der Vergangenheit festhalten und Fortschritt blockieren.
Und schliesslich spielt die Politik auch in der Nachwuchsförderung (MINT oder Future Skills) eine zentrale Rolle. Die Philanthropie kann hier Impulse geben, aber die langfristige Verantwortung liegt bei der öffentlichen Hand. Wenn wir die digitalen Kompetenzen und Talente von morgen sichern wollen, braucht es eine Schweizer Bildungspolitik, die sich an neue Bedürfnisse und Gegebenheiten anpasst und vorausdenkt.
Zur Person
Sinja Christiani ist seit August 2024 Geschäftsführerin der Hasler Stiftung. Die studierte Informatikerin hat sich früh für Technologie begeistert – bereits mit 14 Jahren programmierte sie ihre erste Website. Seither hat sie ihre Expertise in Datenanalyse, Tech-Leadership und strategischer Unternehmensführung bei IBM, Deloitte und der Zürich Versicherungsgruppe aufgebaut. Ihr besonderes Interesse liegt im Zusammenspiel von Technologie, Innovation und Gesellschaft – ein Fokus, den sie nun auch in ihrer Rolle bei der Hasler Stiftung weiterverfolgt.


