Für unsere digitalisierte Gesellschaft sind Daten eine wichtige Ressource. Sie sind beispielsweise die Basis für maschinelles Lernen – gern als «künstliche Intelligenz» verkauft – oder für personalisierte Werbung. Gleichzeitig wird ihre Bedeutung von grossen Teilen der Gesellschaft, der Politik und der Wirtschaft
noch immer völlig verkannt. Deshalb braucht es eine politische Debatte zur digitalen Selbstbestimmung.
Daten sind – im Gegensatz zu Öl oder Gold – eine unendliche Ressource, die mehrfach verwendet und beliebig kombiniert werden kann. Und mit unseren persönlichen Daten lässt sich viel Geld verdienen. Im Jahr 2021 machte Google einen Gewinn von 76 Milliarden Dollar, wovon ca. 80 Prozent auf den Verkauf von Werbeplätzen zurückgeht. Exxon Mobile, der zweitgrösste Ölkonzern der Welt, kam im gleichen Zeitraum auf vergleichsweise bescheidene 23 Milliarden Dollar. Und wir füttern die Datenkraken weiterhin bereitwillig mit der Ressource Daten.
Die gesellschaftliche Debatte um die Ressource Daten wird in der Schweiz zwar geführt: Allerdings findet dies noch viel zu selten auf politischer Ebene statt. Und dort gehört sie hin. Das Thema ist viel zu komplex, um die Verantwortung auf die individuelle Ebene abzuschieben. Denn seien wir ehrlich: Für Normalbürger:innen ist es längst unmöglich, der Datenkrake zu entkommen.
Die Zeit drängt: «Der Interessenkonflikt zwischen dem Bedarf an Daten von Unternehmen, dem Schutz der Privatsphäre von Individuen und dem gesellschaftlichen Interesse an offenen Daten ist signifikant», schreibt die Stiftung Risiko-Dialog in
ihrem «DigitalBarometer 2023». Demnach ist das Vertrauen, dass Schweizer Technologiefirmen mit unseren Daten rechtmässig und vorsichtig umgehen, zwar hoch – 60 Prozent. Dabei handelt es sich aber eher um ein diffuses Gefühl als um wirkliche Fakten. Das zeigen zahlreiche Schweizer Datenskandale. Den internationalen Unternehmen (Google, Facebook etc.) wird gemäss «DigitalBarometer 2023» dagegen kaum Vertrauen entgegengebracht. Es sind gerade mal 17 Prozent. Doch trotz dieses Misstrauens nutzen die meisten Schweizer:innen täglich die Tools von Big Tech.
Schweizer Stiftungen in der Verantwortung
Wenn Schweizer Stiftungen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden wollen, müssen sie in diese politische Debatte eingreifen. Denn die zentralen Themen der Digitalisierung (Daten, Algorithmen, Öffentlichkeit) hängen sehr eng mit Macht und unserem demokratischen Werteverständnis zusammen. Die Digitalisierung ist neben dem Klimawandel eines der grossen Zukunftsthemen unserer Gesellschaft. Und sie berührt im Grunde jedes Thema, mit dem sich Stiftungen befassen. So können Daten bspw. beim Umweltschutz und der Gesundheitsforschung helfen oder individualisierte Lehrmethoden ermöglichen. Sie können aber auch unsere politische Einstellung verraten, die Rückfallwahrscheinlichkeit von Straftäter:innen berechnen oder automatisierte Gesichtserkennung ermöglichen. Hier kommen sehr schnell ethische Fragen ins Spiel, die allerdings noch viel zu selten gestellt werden.
Der von der US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff geprägte Begriff des «Überwachungskapitalismus» mag etwas plakativ daherkommen. Doch im Vergleich zu den Eingriffen von Google und Facebook in unsere Privatsphäre wirken der Schweizer Fichenskandal oder die Aktivitäten der Stasi in der DDR geradezu kleinlich.
Wir müssen dringende Fragen beantworten
Was soll mit dem riesigen Datenschatz passieren, den die Tech-Giganten in den vergangenen Jahrzehnten von uns erbeutet haben? Zurückfordern werden wir ihn nicht können. Aber die Politik kann dafür sorgen, dass Daten als gemeinschaftlich genutzte Ressource der Wissenschaft, den Medien und der Zivilgesellschaft zugutekommen und für gemeinnützige Zwecke eingesetzt werden können.
Was macht es mit unserer Wirtschaft und unserem Wohlstand, wenn ein paar wenige ausländische Tech-Riesen über eine der wichtigsten Ressourcen unserer Zeit verfügen? Was bedeutet das für die Schweizer Banken, die Pharmabranche, den Rohstoffhandel, die europäische Autoindustrie? Ganz zu schweigen vom Potenzial für gemeinnützige Zwecke. Müssen wir die wirtschaftliche Macht der Tech-Riesen begrenzen?
Zu diesen Fragen müssen auch wir Stiftungen einen Beitrag leisten. Bei der Stiftung Mercator Schweiz beschäftigen wir uns seit vier Jahren unter anderem mit dem Thema der «digitalen Selbstbestimmung». Wir wollen erreichen, dass die Menschen selbst entscheiden können, wer ihre Daten bekommt und was damit geschieht. Da wir als Individuum hier längst keine Entscheidungshoheit mehr haben, sind wir überzeugt, dass es politische Regulierung und gemeinschaftliches Handeln braucht. Zivilgesellschaftliche Expert:innenorganisationen wie die Digitale Gesellschaft, Algorithm Watch oder Opendata.ch leisten hier bereits einen wichtigen Beitrag. Deswegen fördern wir die Schlüsselakteur:innen im Ökosystem nicht mehr nur auf Projektbasis, sondern gesamtheitlich als Organisation. Wir werden darüber hinaus weiterhin Wissen fördern, Debatten initiieren und so die Zivilgesellschaft stärken.