Die US-Regierung stellt die US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit USAID komplett um. Was bedeutet dies für die weltweite Entwicklungshilfe?
Die neue US-Regierung bedroht mit gleichzeitiger Einstellung der Beiträge an zentrale UNO-Organisationen und dem abrupten Finanzierungsstopp bei USAID das globale humanitäre System. Durch präsidiale Durchführungsverordnungen wurden die Auszahlungen von Geldern für laufende Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe der USA weltweit gestoppt. Seit dem 7. Februar 2025, sind weltweit eine Vielzahl der von der Agentur USAID angestellten Mitarbeitenden bis auf Weiteres von ihrer Arbeit freigestellt. Der abrupte Finanzierungsstopp des weltweit grössten humanitären Geldgebers hat fatale Auswirkungen auf Millionen von Menschen in Krisengebieten, die dringend auf überlebenswichtige humanitäre Hilfe angewiesen sind.
Sind auch Projekte betroffen, an welchen Sie beteiligt sind?
Auch 900’000 Menschen, die in HEKS-Projekten unterstützt werden, sind direkt betroffen. HEKS implementiert USAID-finanzierte Projekte in der Ukraine, in Äthiopien und in der Demokratischen Republik Kongo. Dort leistete HEKS bis anhin humanitäre Hilfe für Menschen in schwer zugänglichen und abgelegenen Regionen sowie in äusserst prekären Lebenssituationen.
Der abrupte Finanzierungsstopp des weltweit grössten humanitären Geldgebers hat fatale Auswirkungen auf Millionen von Menschen in Krisengebieten, die dringend auf überlebenswichtige humanitäre Hilfe angewiesen sind.
Karolina Frischkopf, Direktorin HEKS
Diese Projekte hängen direkt von der Finanzierung durch USAID im Umfang von 7,5 Millionen Franken für 2025 ab. Angesichts der aktuellen Situation ist leider davon auszugehen, dass diese Mittel unwiderruflich ausbleiben. Daher sah sich HEKS gezwungen, die betroffenen Projekte bis auf weiteres zu stoppen und die dringend benötigte humanitäre Unterstützung der betroffenen Gemeinschaften einzustellen. Zudem drohen bis zu 100 HEKS-Mitarbeitende vor Ort ihre Stelle zu verlieren.
HEKS setzt sich mit seinen Mitarbeitenden und Partnern in den betroffenen Ländern mit aller Kraft dafür ein, die Risiken und Schäden für die betroffenen Menschen möglichst zu minimieren. Gleichzeitig versuchen wir, andere Finanzierungsmöglichkeiten zu finden, um wenigstens einen Teil der entstandenen Lücken zu schliessen, so dass wir in den sehr abgelegenen und prekären Regionen zumindest präsent und in limitiertem Masse aktiv bleiben zu können. Wir appellieren an die Schweizer Bevölkerung, uns in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen, damit wir unsere Arbeit für die lokalen Gemeinschaften weiterführen können. Zudem ist auch der Bundesrat gefordert, die Verantwortung der Schweiz für das humanitäre System weltweit wahrzunehmen und sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass Millionen betroffener Menschen nicht im Stich gelassen werden. HEKS wird weiterhin alles dafür tun, den betroffenen Menschen in ihrem Kampf für ein Leben in Würde zur Seite zu stehen.
Wie zeigen sich die Auswirkungen vor Ort?
Für die betroffenen Menschen in diesen Krisenregionen sind die Folgen teilweise dramatisch. Millionen von Menschen, die dringend auf humanitäre Hilfe wie Wasser, Nahrung und medizinische Grundversorgung angewiesen sind, drohen diese überlebenswichtige Hilfe zu verlieren. Zahlreiche Programme müssen drastisch reduziert oder gänzlich eingestellt werden. Um nur ein Beispiel eines betroffenen HEKS-Projektes zu nennen: In der Demokratischen Republik Kongo sollte mit der Instandstellung bzw. dem Bau einer Brücke eine bisher sehr schwer erreichbare Region mit Hilfsgütern versorgt werden. Diese Brücke kann – Stand heute – nicht fertiggestellt werden, wodurch rund 40’000 notleidende Menschen von humanitärer Hilfe weiterhin abgeschnitten bleiben.
Wie stark vernetzt ist die internationale Entwicklungszusammenarbeit?
Die internationale Entwicklungszusammenarbeit würde ohne starke Netzwerke und Allianzen gar nicht funktionieren. Gerade auch die UN-Organisationen spielen in fragilen Kontexten eine zentrale Rolle, welche die Arbeit der Hilfsorganisationen fazilitiert und koordiniert. Auch HEKS und andere Schweizer Hilfsorganisationen sind stark eingebunden in solche Netzwerke.
Wir appellieren an die Schweizer Bevölkerung, insbesondere auch die Schweizer Philantrop:innen, uns in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen.
Karolina Frischkopf
Können andere Organisationen die Lücke füllen?
Wir prüfen derzeit intensiv, ob und wie wir aufgrund des Shutdowns von USAID ausbleibende finanzielle Mittel kompensieren können, etwa mit zusätzlichen Anstrengungen im Fundraising oder mit der Suche nach anderen aktuellen oder neuen institutionellen Geldgebern. HEKS hat finanzielle Reserven, die jedoch zu einem substanziellen Teil zweckgebunden sind und deshalb nicht für andere Zwecke eingesetzt werden können. Wir appellieren an die Schweizer Bevölkerung, insbesondere auch die Schweizer Philantrop:innen, uns in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen. Zudem ist auch der Bundesrat gefordert, die Verantwortung der Schweiz für das humanitäre System weltweit wahrzunehmen und Millionen betroffener Menschen nicht im Stich zu lassen. HEKS wird weiterhin alles dafür tun, die betroffenen Menschen in den sehr schwer zugänglichen und abgelegenen Gebieten zur Seite zu stehen, gerade auch, weil es dort oft weder staatliche Behörden noch andere Organisationen gibt, die übernehmen könnten.
Auch die Schweiz plant weniger für die Entwicklungshilfe zu zahlen. Was bedeutet dies?
Noch nie gab es global so viele parallele Konflikte und Menschen auf der Flucht wie heute. Gleichzeitig war wohl der Wohlstand in den Ländern im Norden noch nie so hoch. Vor diesem Hintergrund mutet es absurd an, den Bundeshaushalt über eine Budgetkürzung bei der internationalen Zusammenarbeit sanieren zu wollen. Als eines der reichsten Länder der Welt mit einer tief verankerten humanitären Tradition hat die Schweiz die Mittel und die Verantwortung, sich für eine gerechtere Welt und damit für Frieden und Stabilität einzusetzen. Das ist nicht nur ein Gebot der Solidarität, sondern auch im Eigeninteresse der Schweiz, sei es als Beitrag für die globale Sicherheit, die für uns als Kleinstaat existenziell ist, oder sei es aus der Sicht einer Exportwirtschaftsnation. Stattdessen spart das Parlament nun auf dem Buckel der ärmsten Menschen der Welt – eine sehr kurzsichtige Politik, welche die Kosten der Konsequenzen nicht mitberücksichtigt.
Verliert die Entwicklungshilfe generell in den westlichen Ländern an Rückhalt?
Bis zu Covid konnten jährlich Fortschritte in der nachhaltigen Entwicklung weltweit verzeichnet werden, der Hunger ging zurück, die Kindersterblichkeit nahm ab, die Agenda 2030 war mit regionalen und saisonalen Höhen und Tiefen generell gesehen auf Kurs. Seit Covid beobachten wir eine Trendwende, vielen Ländern geht es schlechter. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Die hohe Zahl an Konflikten und durch den Klimawandel bedingten Katastrophen sind aber sicher wesentliche Faktoren. In einem solchen Umfeld wird es anspruchsvoller, die Notwendigkeit, die Wirkung und vor allem auch die Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit für ein breites Publikum verständlich aufzuzeigen.
In unseren Breitengraden ist eine Krisenmüdigkeit zu spüren und eine gewisse Tendenz, sich von der globalisierten Welt abzuschotten, sich in die eigene «Bubble» zurückzuziehen.
Karolina Frischkopf
Ja, die internationale Zusammenarbeit nützt. Ja, die Resilienz und Fähigkeit, auf Krisen zu reagieren, wächst in den lokalen Gemeinschaften, Und ja, es braucht mehr Unterstützung, weil eben auch die Herausforderungen wachsen. Gleichzeitig ist in unseren Breitengraden eine Krisenmüdigkeit zu spüren und eine gewisse Tendenz, sich von der globalisierten Welt abzuschotten, sich in die eigene «Bubble» zurückzuziehen. In einem solchen Kontext ist es wichtig, sich im Kleinen wie im Grossen an unsere Grundwerte zu erinnern und uns über deren Bedeutung bewusst zu werden. Dazu gehört eine freie, offene Demokratie, in welcher die Grundrechte jedes und jeder Einzelnen durch den Rechtsstaat und seine Institutionen geschützt sind. Versuche von autoritär-nationalistischen Strömungen, demokratische Institutionen gezielt zu delegitimieren und den «civil space» bewusst zu limitieren, gilt es deshalb als Zivilgesellschaft zu benennen und zu bekämpfen. Pauschale Angriffe auf die Entwicklungszusammenarbeit gehören hier auch dazu.