The Philanthropist: Action for the Needy Ethiopia (ANE) ist ein lokales Hilfswerk in Äthiopien. In welchen Themen engagiert sich ANE aktuell?
Eyuel Fikru: Als Hilfsorganisation vor Ort ist ANE in allen Regionen des Landes tätig. Im Wesentlichen realisieren wir humanitäre und Entwicklungszusammenarbeitsprojekte. Konkret engagieren wir uns etwa in der Verteilung von Lebensmittel für die Flüchtlinge in den Regionen Benishangul-gumuz, in Oromia, in Amhara und in südlichen Regionen Äthipoiens oder in der Region Somali, Tigray, Afar und anderen Regionen Äthiopiens für die Verbesserung der Hygiene- und Sanitäranlagen. Zusätzlich engagieren wir uns aber auch für Schutz und Infrastruktur, Umwelt, Bildung und Gesundheit.
TP: Arbeiten Sie in diesen Projekten mit Partnern zusammen?
EF: Das hängt von den Rahmenbedingungen ab und ist auf das jeweilige Projekt abgestimmt. Auch das Sammeln von Geldern ist je nach Projekt unterschiedlich . Aktuell sind wir gerade daran, in der Region Oromia ein Projekt zu beenden. Wir haben Spendengelder von UN OCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) erhalten und das Projekt selbst mit der Unterstützung von Regierungsvertretern umgesetzt. Genauso realisieren wir aber Projekte gemeinsam mit Partnerorganisationen und versuchen, Konsortien zu bilden. Wir arbeiten mit zahlreichen Partnern wie dem UN World Food Programm und anderen internationalen Hilfswerken wie der Welthungerhilfe aus Deutschland. Gerade arbeiten wir an einem Projekt, das wir mit HEKS aus der Schweiz und CEFA aus Italien realisieren wollen. Wir haben uns für Gelder der italienischen Regierung beworben.
TP: Sie arbeiten in unterschiedlichen Konstellationen zusammen?
EF: Wie ein Projekt ausgestaltet ist hängt von zahlreichen Faktoren ab. Die Bedürfnisse der Community sind genauso relevant wie die Anforderungen der Geldgeber.
TP: Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit anderen lokalen Organisationen?
EF: Natürlich arbeiten wir mit zahlreichen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen in Äthiopien zusammen. Um unsere Projekte bei den Menschen vor Ort zu verankern, sind wir auf diese Zusammenarbeit mit anderen lokalen Organisationen angewiesen. Normalerweise arbeiten wir mit unterschiedlichen Organisationen. So können wir uns ergänzen. So können wir die Projekte breit abstützen. Diese kollaborative Arbeitsweise ist viel effektiver bei der Bewertung und Bewältigung der Anforderungen der Gemeinschaft.
Diese kollaborative Arbeitsweise ist viel effektiver
Eyuel Fikru
TP: Das fördert auch die Anbindung an die Gemeinschaft vor Ort?
EF: Natürlich fördert es die Verbindung, da wir stark von der lokalen Gemeinschaft getragen werden. Darüber hinaus hat uns das Engagement an der Basis in die Lage versetzt, noch näher an den Menschen und zu verstehen, was sie brauchen.
TP: Welche Herausforderungen sehen Sie in den kommenden Jahren? Wird etwa der Klimawandel stärker ein Problem?
EF: In den verschiedenen Regionen sind wir schon heute mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert. Im Osten hatten wir mit Überschwemmungen zu kämpfen, während im Süden eine Dürre herrscht, die alle paar Jahre auftritt und in der Borena-Zone wegen des seit sechs Jahren ausbleibenden Regens sehr ausgeprägt war. Wir waren in den letzten Monaten auch mit den Folgen eines Erdbebens beschäftigt. Veränderungen wie den Klimawandel werden wir in den Regionen unterschiedlich spüren. So kann es für den Viehbestand schwierig werden. In anderen Regionen wird die Malaria wieder zu einem signifikaten Problem. Vor allem haben wir den Effekt, dass wir Herausforderungen haben, die mehrere Faktoren und mehrere Sektoren betreffen. Wir müssen uns mit den Folgen von Dürren und Überschwemmungen beschäftigen aber auch der Bürgerkrieg, der 2020 ausbrach, respektive seine Folgen, wirken noch. Das macht es schwierig, Abklärungen vorzunehmen, was die betroffenen Menschen brauchen. Ich sehe viele verschiedene Herausforderungen. Wir brauchen die Unterstützung internationaler Organisationen.
TP: Wie trifft ANE der Stopp der USAID-Hilfen?
EF: Im Moment haben wir zwar keine Projekte direkt mit USAID. In den vergangenen Jahren hatten wir eine enge Beziehung bis 2023. Aber verschiedenen Partner, mit welchen wir in Projekten zusammenarbeiten, haben Unterstützung von USAID erhalten. Der Wegfall hat uns deshalb trotzdem stark getroffen, wenn auch indirekt. Zum Beispiel eines unserer grössten Projekte unterstützt Flüchtlinge in der Region Benishamul Guduz und Amhara. In diesen Regionen versorgen wir die meisten Flüchtlinge in Zusammenarbeit mit dem World Food Program. Die Menschen sind aus dem Sudan geflohen. Der dortige Konflikt hat in den letzten Jahren viele Flüchtlinge in unsere Grenzregion geführt. Neben der Verteilung von Lebensmitteln versorgen wir auch die Schulen mit Lebensmitteln. Damit ermutigen wir Studierende, die Schule besuchen. Diese Projekte wurden hauptsächlich über verschiedene Spenderorganisationen finanziert. Eine der grössten von ihnen war USAID. Wir haben sogar mit Vertretern der Organisation zusammengearbeitet. Darüber hinaus hat die Budgetkürzung einige Organisationen wie das UNHCR dazu veranlasst, ihre Partner auf ein Minimum zu reduzieren und nur noch mit einer begrenzten Anzahl von Durchführungspartnern zusammenzuarbeiten. ANE ist einer der Partner, deren Projektdurchführung bei UNHCR-Projekten reduziert wurde. Wegen des Rückzugs von USAID mussten wir die Mitarbeitendenzahl reduzieren. Auch die Rationen für die Gefüchteten mussten wir neu berechnen und um 15 bis 16 Prozent kürzen. Dadurch verliert das Projekt das Vertrauen der Menschen, die auf diese Hilfe angewiesen sind. Sie sind heute weniger offen als früher. All diese Massnahmen treffen auch ANE. Wir waren auch gerade daran, das Team für ein Projekt zu rekrutieren, das von der Finanzierung durch USAID abhing. Auch das mussten wir stoppen.
TP: Konnten Sie diesen Wegfall von Geldern irgendwie antizipieren?
EF: Als humanitäre Organisation, die in der Entwicklungszusammenarbeit tätig ist, sind wir interessiert und versuchen zu verfolgen, was international passiert. Wir beschäftigen uns damit, was passieren könnte. Wir sind vorsichtig. Wir beobachteten auch die Wahlen in den USA.



TP: Sie versuchen, die Konsequenzen für Ihre Arbeit und Ihre Möglichkeiten abzuschätzen?
EF: Wir versuchen uns zu überlegen, was es bedeutet, wenn dieser Kandidat oder jene Kandidatin gewählt wird. Was sind unsere Handlungsoptionen. Wir haben eine Reduktion des Engagements erwartet. Aber mit einem sofortigen Stopp der Aktivitäten haben wir nicht gerechnet. Konsequenzen in dieser Grössenordnung konnten wir nicht vorhersehen. Es hat uns sofort getroffen, ohne zeitlichen Vorlauf. Das hat verhindert, dass wir hätten reagieren können. Wir mussten unsere Mitarbeitenden entlassen. Wir hatten keine anderen Optionen. Auch die Mitarbeitenden hatten keine.
TP: Wie spüren Sie, dass auch andere Länder wie die Schweiz ihr Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit reduzieren?
EF: Im vergangenen Fiskaljahr – es beginnt und endet in Äthiopien jeweils Mitte Jahr – stammten gemäss einem Bericht in unserer lokalen Zeitung mehr als die Hälfte des Budgets für die Lebensmittelversorgung aus dem Ausland. Das sind 8,5 Prozent des ganzen Steuervolumen des Landes. Internationale Organisationen wie die verschiedenen Organisationen der UNO, aber auch zahlreiche andere finanzieren dies. Eine Reduktion trifft uns also schmerzlich.
TP: Die Folgen sind weitreichend?
EF: Ich kann ein Beispiel nennen eines Projektes in der konfliktbetroffenen Region Tigray im Norden. Wir versuchen für die Bevölkerung, mehr als 10‘000 Menschen, die Sanitäreneinrichtungen und die Wasserstelle wieder aufzubauen sowie Saatgut zu liefern. Das Projekt konnten wir 2022 auch mit Geldern der deutschen Regierung starten. Das Projekt war noch länger geplant um die Nachhaltigkeit zu sichern. Wir dachten, wir könnten es weiterführen, um unsere Exitstrategie abzufedern. Wir haben gemerkt, dass dies für die Bevölkerung hilfreich wäre: Wir hätten den Ausstieg langsamer vornehmen sollen. Führungspersonen vor Ort und Bauern hätten die Gemeinschaft besser stützen können. Nun aber wird die Unterstützung aus Deutschland offenbar Ende Jahr eingestellt.
TP: Und das Projekt endet damit?
EF: Weil zusätzlich zu den fehlenden Mitteln aus den USA auch die Unterstützung aus Deutschland endet müssen wir das Projekt beenden. Wir können keine Kontinuität gewährleisten. Alle, die auf diesem Projekt arbeiten, werden wir entlassen müssen. Das sind die Herausforderungen, mit welchen wir aktuell kämpfen.
TP: Sind es nur die europäischen Länder und die USA, welche ihr Engagement reduzieren?
EF: Der globale Effekt ist, dass man früher unseren Anliegen gegenüber offener war. Früher hat man unsere Anfragen zumindest zeitnah beantwortet. Das ist heute nicht mehr der Fall.
TP: Sehen Sie Möglichkeiten, dass andere Länder und Organisationen diese Lücke füllen?
EF: Erst kürzlich haben wir uns mit der King Salman Foundation ausgetauscht. Die Organisation hat ihren Sitz in Saudi-Arabien. Normalerweise spenden sie in einem jährlichen Rhythmus. Sie kommen einmal pro Jahr vorbei. Sie stellen die Versorgung von Lebensmitteln für zwei bis drei Monate sicher. Wir verteilen sie.
TP: Dieses Engagement versuchen Sie zu erweitern?
EF: Wir prüfen verschiedene Optionen. Wir wollen auch andere Projekte implementieren. Zudem gehen wir auch auf die Regierung von Kuweit zu. Und kürzlich hatten wir auch einen Austausch mit der chinesischen und der japanischen Botschaft. Wir erwarten zwar, dass wir asiatische Länder als Partner gewinnen können. Aber es wird nicht einfach und verlangt viel Zeit und harte Arbeit.
TP: Sehen Sie andere Möglichkeiten?
EF: Wir versuchen verschiedene Organisationen und Zusammenarbeitsformen, um uns für Ressourcen zu bewerben. Auch auf lokaler Ebene im privaten Sektor suchen wir nach neuen Möglichkeiten. Das können Unternehmen mit Corporate Social Responsibility-Programmen sein. Wir prüfen verschiedene Möglichkeiten. Aber es ist nicht einfach, zusätzliche Mittel zu finden. Aber wir tun alles, um unsere Organisation und vor allem die Menschen, die von unserer Arbeit abhängen, zu unterstützen.
TP: Wenn die Gelder aus dem Ausland wegfallen, gehen die Folgen über das rein Finanzielle hinaus?
EF: Natürlich. Der Impact ist nicht nur eindimensional. Als lokale Organisation sind wir auf die auf die Experten und Expertinnen und ihr Fachwissen angewiesen. Sie befähigen uns in vielen Bereichen. Als lokale Organisation haben wir die Expertise des lokalen Kontextes. Wir kennen die Menschen vor Ort und ihre Bedürfnisse. Wir kennen die Umstände.
TP: Und die Organisationen aus dem Ausland können Sie mit Fachwissen ergänzen?
EF: Es gibt viele Querschnittthemen, bei welchen uns das Fachwissen fehlt. Es gibt viele interdisziplinäre Themen, bei denen es uns an Fachwissen fehlt. Zum Beispiel bei Genderfragen oder dem Problem der sexuellen Ausbeutung, bei Interventionen, die auf Geld beruhen, bei der Überwachung und Bewertung unseres Projekts, bei der erfolgreichen Beantragung von Finanzmitteln und auch bei der effektiven Kommunikation und der Verwaltung der verschiedenen Berichtssysteme. Normalerweise erhalten wir von den Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten zu Beginn eines Projektes Schulungen. Sie befähigen uns in diesen Themen. Auch während des Projektes unterstützen Sie uns, wenn wir Fragen haben. Ohne diese Zusammenarbeit fällt dies weg. Und natürlich hat es Folgen, dass wir Mitarbeitenden entlassen müssen.
TP: Verstärkt dies der Verlust von Knowhow?
EF: Unsere Mitarbeitenden haben in den vergangenen Jahren Erfahrung aufgebaut. Sie haben in zahlreichen Schulungen Wissen erlernt. Wir verlieren wichtige Mitarbeitende. Uns wird es für neue Projekte an ausgebildeten Kräften fehlen. Es geht also nicht nur um Geld. Wir verlieren viel Expertise. Und wir verlieren unsere Reputation.
TP: Was bedeutet dies?
EF: Die Menschen, die sich auf uns verlassen, erwarten, dass wir beenden, was wir angefangen haben. Das konnten wir bisher auch zusichern. Wenn wir nun Projekte mittendrin stoppen müssen, dann trifft dies direkt unseren Ruf. Die Menschen verlieren das Vertrauen in unser Hilfswerk.
Die Menschen, die sich auf uns verlassen, erwarten von uns, dass wir zu Ende bringen, was wir begonnen haben. Bis jetzt versuchen wir, neben einigen Projekten, die infolge der USAID-Pause und der drohenden Abzüge aus anderen Quellen unterbrochen wurden, die anderen Projekte aufrechtzuerhalten. Aber wenn wir Projekte mittendrin stoppen, schadet das direkt unserem Ruf, da die Menschen das Vertrauen in unsere Hilfsorganisation verlieren werden. Außerdem kann es so weit gehen, dass die Existenz unserer Organisation gefährdet ist.


