The Philanthropist: Ihre Zahlen zeigen bei den Transplantationen keinen wesentlichen Rückgang im vergangenen Jahr. Hatte Corona keine Auswirkungen?
Franz Immer: Wir hatten sicher viel Glück. Wir konnten eng mit den Spitälern zusammen arbeiten. Ab März sprachen wir uns täglich ab. Diese Koordination war aufwändig. Wir mussten neue Empfehlungen ausarbeiten. Für die Pandemie-Situation stellten sich neue Fragen: Wie geht man mit Transplantierten um, was bedeutet Corona für Spenderinnen und Spender?
TP: Waren Organspenden von Personen, die mit Corona starben, möglich?
FI: Organe von Corona-Infizierten mussten wir ablehnen. Es gab Tage, an welchen wir aus diesem Grund fünf Organspenden ablehnen mussten. Die grösste Beeinträchtigung war aber, als vor einem Jahr in mehreren Spitälern in der Romandie und im Tessin, aufgrund der Einschränkungen, das ganze Spendenprogramm eingestellt werden musste.
TP: Mit Corona stand das Thema Sterben im Fokus. Hat das den Zugang der Menschen zum Thema Organspende verändert?
FI: Wir haben nichts gespürt. Vielmehr hat sich das ganze öffentliche Interesse auf das Thema Pandemie verschoben. Wir verzeichneten deutlich weniger Registrierungen im Nationalen Organspenderegister. Das hängt auch damit zusammen, dass bspw. die Registrierung über einen Touchscreen in den Spitälern nicht mehr möglich war.
TP: Es gibt allgemein zu wenig Spenderinnen und Spender. Was sind die Hauptgründe?
FI: Wir wissen aus Befragungen, dass 15–20 Prozent der Menschen in der Schweiz aus verschiedenen Gründen gegen eine Organspende sind. Das Hauptproblem aber ist, dass die Hälfte der Menschen zu Lebzeiten ihren Willen nicht festhalten. Dann müssen die Angehörigen im Todesfall entscheiden. Dies ist für sie eine sehr schwierige Situation.
TP: Es heisst Organspende, und Sie sprechen von «Organspende als Geschenk des Spenders»: Ist die Spende eines Organs der ultimative altruistische Akt?
FI: Das Spenden ist eine Grundsatzüberlegung. Wir sprechen von lebenslangem Spenden. Dies umfasst Blut- und Stammzellenspenden wie auch nach dem Tod, das Spenden von Organen und Gewebe. Dieser Gedanke ist wichtig. Wir haben untersucht, wie die Akzeptanz einer Entschädigung wäre. Es zeigte sich, dass die überwältigende Mehrheit sich für eine unentgeltliche und freiwillige Organspende ausspricht. Der Gedanke des Spenden ist zentral.
TP: Ist es auch kein Thema, jene Menschen bei der Vergabe von Organen zu bevorzugen, die sich zu einer Organspende bekannt haben?
FI: Die Bevölkerung ist bei dieser Frage gespalten. Für die Hälfte wäre eine Priorisierung eine Lösung. Eine solche Lösung ist aber rechtlich nicht möglich. Sie würde gegen das Diskriminierungsverbot verstossen. Die Spendenbereitschaft darf keine Bevorzugung mitsichbringen.
TP: Theoretisch gesprochen: Würden Sie einen Vorteil in dieser Variante erkennen?
FI: Sie entspricht unserem Empfinden, dass wer gibt, auch nehmen darf. Eventuell würde es den Entscheid von einigen beeinflussen. Aber wie gesagt, es ist formal nicht umsetzbar.
TP: Swisstransplant ist eine Stiftung. Ist die Stiftungsform für Sie ein Vorteil?
FI: Sie ermöglicht uns schnelle Entscheide. Wir sind nahe am Spital und den Fachpersonen. Es ist die Stärke einer mittelgrossen Stiftung als «Zwischenplayer» zwischen BAG, Spitälern und Patientinnen und Patienten.
TP: Weshalb wurde diese Form gewählt?
FI: Wir wurden 1985 als kleine Stiftung gegründet, um Organe zu verteilen, welche die jeweiligen Transplantationszentren nicht selbst verwenden konnten. 2007 erhielten wir einen nationalen Leistungsauftrag zur Verteilung der Spenderinnen- und Spenderorgane. Seit 2009 haben wir zusätzlich einen Leistungsauftrag der Gesundheitsdirektorenkonferenz. 20 Prozent unserer Aufgaben kommen heute vom BAG, 70 Prozent von Versicherern und den Kantonen.
TP: Finanziert sich Swisstransplant auch über Spenden?
FI: Wir erhalten rund 100’000 Franken Spendengelder pro Jahr. Meist stammen diese von betroffenen Personen. Allerdings suchen wir nicht aktiv nach Spendengelder. Wir sind mit unseren vielen Aufgaben bereits voll ausgelastet: Unsere Aufgabe ist es, die Thematik der Organ- und Gewebespende und der Transplantation weiter voranzubringen und unsere Partner in den Spitälern bestmöglich zu unterstützen.
TP: Der Nationalrat hat für die Sondersession im Mai die Initiative «Organspende fördern – Leben retten» traktandiert. Swisstransplant unterstützt die Initiative, bevorzugt aber den indirekten Gegenvorschlag. Weshalb?
FI: Wir tauschen uns stets mit Expertinnen und Experten aus. Nach anfänglich ablehnender Haltung zur Initiative zeigte sich in den vergangenen Jahren ein Gesinnungswandel. Heute stellen wir eine geschlossene Unterstützung fest. Wir bevorzugen den indirekten Gegenvorschlag, der für die erweiterte Widerspruchslösung ist, weil er in einigen Punkten präziser ist.
TP: Würde eine Abstimmung nicht die öffentliche Diskussion fördern?
FI: Natürlich würde uns ein breit abgestützter Volksentscheid helfen. Allerdings haben vergangene Vorstösse gezeigt, dass eine starke Polemik die Auseinandersetzung bei diesem Thema prägt. Dies ist nicht hilfreich. Und vor allem wäre die Umsetzung des indirekten Gegenvorschlags schneller, wenn er angenommen und die Initiative zurückgezogen würde.
TP: Ist die Geschwindigkeit für Sie wichtig?
FI: Wir verlieren pro Woche zwei Personen, die vergeblich auf ein Spenderorgan warten.