The Philanthropist: Sie sagen, dass Afrika mit den richtigen Anbaumethoden die Welt ernähren könnte. Was hindert uns daran?
Tony Rinaudo: Es sind viele Faktoren. Die schlechte Qualität der Böden, fehlender Zugang zu modernem Werkzeug oder fehlende Bewässerung. Landwirtschaft wird oft in zerstörerischer Weise betrieben. Mit unserem Ansatz haben wir gezeigt, dass es gelingt – zugegeben ausgehend von einem tiefen Niveau – die Ernte zu verdoppeln.
So lässt sich die Welt ernähren?
Das war meine Aussage. Ist sie wahr oder nicht? Aufgrund meiner Erfahrungen und Beobachtungen bin ich überzeugt, dass Afrika sich selbst ernähren kann, und mit ziemlicher Sicherheit einen erheblichen Überschuss produzieren würde. Der Libanon und Libyen waren einst die Getreidekammer Roms. Heute ist vieles Wüste. Meine Aussage ist vielleicht eher Wunschtraum, aber mit einem grossen Teil Wahrheit.
Ich war überzeugt, dass es ohne Bäume keine lebensfähige Landwirtschaft geben kann.
Tony Rinaudo
Ihre Methode, Bäume in Wüstengegenden wieder wachsen zu lassen, klingt einfach. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dass dies funktionieren könnte?
1980 reiste ich das erste Mal nach Niger. Ich leitete ein Wiederaufforstungsprojekt. Fortschreitende Wüstenbildung führte zu schweren Dürren, Hunger und Armut. Wir dachten damals, um dies zu verhindern, müssten wir neue Bäume pflanzen. Doch das hat nicht nachhaltig funktioniert. Aufgrund der hohen Temperaturen, starken Winden und schlechter Bodenfruchtbarkeit war ich aber überzeugt, dass es ohne Bäume keine lebensfähige Landwirtschaft geben kann.
Und wie haben Sie die Lösungen gefunden?
Die Lösung lag vor uns. Viele Gegenden, nicht nur in Niger, waren früher bewaldet. Dort gibt es noch, was ich den unterirdischen Wald bezeichne. Es sind Baumstümpfe, die noch ausschlagen. Oder Samen in der Erde. Je nach Klimazone können sie Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte überdauern. Bei der Methode FMNR (Farmer Managed Natural Regeneration) geht es also darum, herauszufinden, welche dieser Bäume nachwachsen sollen. Es geht nur darum, die Landnutzer davon zu überzeugen, dieses Pflanzenmaterial zu schützen und zu bewirtschaften, damit es wieder zu Bäumen heranwachsen kann.
Wie können Sie die richtigen Pflanzen auswählen? Sind diese nicht unter der Erde?
Eigentlich spriessen sie die ganze Zeit. Durch die Nutzung der Menschen, bspw. für Brennholz oder als Weideland, werden die Bäume aber ständig gefällt. Wir müssen also das Verhalten der Gemeinschaft ändern. Wir müssen bereit sein, die Bäume wachsen zu lassen. Und wir müssen auswählen, welche wir wachsen lassen wollen. Es ist eigentlich ein sehr einfacher Prozess. Der Trick, wenn es denn ein solcher ist, besteht darin, die Wahrnehmung zu ändern. Wir müssen uns fragen: Ist diese oder jene Pflanze ein Unkraut oder Teil der Lösung?
Ich bin immer wieder überrascht von der Robustheit der Natur.
Tony Rinaudo
Wie schaffen Sie es, die Menschen zu überzeugen?
Wir machen eine Übung namens «Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft.» Ich will den Menschen kein schlechtes Gewissen machen, dass sie die Natur zerstören. Aber wenn ich sie frage, wie die Natur vor 30 Jahren ausgehen hat, – und ich habe dies in 30 Ländern gemacht – dann malen die meisten ein Bild vom Garten Eden. Die Niederschläge waren zuverlässig, der Boden war fruchtbar und die Frauen mussten nicht kilometerweit laufen, um Holz zu sammeln.
Und die Gegenwart?
Die Gegenwart beschreiben sie so: Die Böden sind unfruchtbar geworden, die Kinder sind hungrig und es mangelt an Wasser. Frage ich sie dann als drittes, wenn wir so weitermachen wie bisher, die Umwelt zerstören; wie sieht die Zukunft für die Kinder aus?
Was antworten sie?
Dann merken sie vor allem, dass es nicht um meine Geschichte geht, sondern dass es sie betrifft. Sie teilen ihre Gedanken in der Gruppe. Einige sprechen das erste Mal darüber, wohin die Entwicklung geht. Das macht ihnen Angst. Sie befürchten, das angestammte Land ihrer Eltern verlassen zu müssen und in die Slums zu ziehen. Das öffnet mir die Tür. Ich biete ihnen an, mit mir auf eine Reise zu gehen. Ich biete ihnen an, die FMNR-Methode auf einer kleinen Ecke ihres Landes auszuprobieren. Zwölf Monate lang wollen wir das gemeinsam tun. Nach dieser Zeit wachsen die Bäume und sie erinnern sich, dass sie in ihrer Kindheit die Früchte dieser Bäume gegessen haben und an viele andere Vorteile. In 90 bis 95 Prozent der Fälle stimmen sie zu, dieses Experiment gemeinsam zu machen.
Nach zwölf Monaten sieht man die Ergebnisse?
Schon früher. Die Böden um die Bäume werden etwas feuchter. Die Pflanzen in der Nähe wachsen etwas besser, weil die Bäume Stickstoff in den Boden bringen.
Wenn Sie aktuelle Entwicklungen wie den Klimawandel sehen, wie optimistisch sind Sie? Oder ist der Klimawandel gar ein Treiber, um die Methode bekannt zu machen?
Ich bin sehr besorgt. Wir haben uns in eine gefährliche Situation manövriert. Gleichzeitig bin ich immer wieder überrascht von der Robustheit der Natur. Wenn wir uns zusammenschliessen und die riesigen Flächen degradierter Böden weltweit wiederherstellen, ist das eine fast kostenlose Ressource. Und wenn ich sehe, was Niger, eines der ärmsten Länder schafft, gibt es keinen Grund, warum wir dies nicht wesentlich schneller in mehreren Ländern gleichzeitig erreichen können. Ich bin einigermassen optimistisch. Aber wir werden mit ein paar Kratzern und Blutungen davonkommen – d.h. wir werden die negativen Auswirkungen des Klimawandels nicht ungeschoren überstehen.
Wenn die ärmsten Menschen der Welt den Wert dieser Methode erkennen und sich darauf einlassen, dann können wir etwas verändern. Was ist also unsere Ausrede mit all unseren Ressourcen?
Tony Rinaudo
Das klingt doch zuversichtlich.
Es ist eine wichtige Frage. Gerade junge Menschen sind verzweifelt. Sie fragen sich, weshalb sie überhaupt versuchen sollen, etwas zu ändern. Es ist eh zu spät. Aber diese Geschichte hier ist eigentlich eine Geschichte der Hoffnung. Wenn die ärmsten Menschen der Welt, die das Risiko scheuen und Analphabeten sind, wenn diese Menschen den Wert dieser Methode erkennen und sich darauf einlassen, dann können wir etwas verändern. Was ist also unsere Ausrede mit all unseren Ressourcen? Im Rahmen unserer Möglichkeiten und unseres Einflusses sollten wir doch ermutigt sein, aufzustehen und unser Bestes zu tun, um etwas zu verändern. Eine Person kann viel erreichen, wenn sie andere ansteckt, die ihr folgen. Meine Botschaft ist: Was auch immer in deinem Herzen ist, diese Leidenschaft, ignoriere sie nicht, zieh’ es durch.
Für Ihren Einsatz wurden Sie 2018 mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Was hat dies verändert?
Der Preis hat mir Glaubwürdigkeit gegeben. Er hat Türen geöffnet um FMNR bekannt zu machen und weltweite Unterstützung zu erhalten.