Tony Rinaudo.

Der unter­ir­di­sche Wald

Tony Rinaudo überzeugt Bäuer:innen im Süden, wie sie die unterirdischen Wälder, die noch vorhandenen Samen und Wurzeln, wieder wachsen lassen können. Für sein Lebenswerk hat der World Vision Mitarbeiter 2018 den Right Livelihood Award, auch bekannt als «Alternativer Nobelpreis» erhalten. Er spricht über die Methode, wie er die Menschen auf die Reise mitnimmt und was der Preis bewirkt hat.

The Philanthropist: Sie sagen, dass Afrika mit den rich­ti­gen Anbau­me­tho­den die Welt ernäh­ren könnte. Was hindert uns daran?

Tony Rinaudo: Es sind viele Fakto­ren. Die schlechte Quali­tät der Böden, fehlen­der Zugang zu moder­nem Werk­zeug oder fehlende Bewäs­se­rung. Land­wirt­schaft wird oft in zerstö­re­ri­scher Weise betrie­ben. Mit unse­rem Ansatz haben wir gezeigt, dass es gelingt – zuge­ge­ben ausge­hend von einem tiefen Niveau – die Ernte zu verdoppeln.

So lässt sich die Welt ernähren?

Das war meine Aussage. Ist sie wahr oder nicht? Aufgrund meiner Erfah­run­gen und Beob­ach­tun­gen bin ich über­zeugt, dass Afrika sich selbst ernäh­ren kann, und mit ziem­li­cher Sicher­heit einen erheb­li­chen Über­schuss produ­zie­ren würde. Der Liba­non und Libyen waren einst die Getrei­de­kam­mer Roms. Heute ist vieles Wüste. Meine Aussage ist viel­leicht eher Wunsch­traum, aber mit einem gros­sen Teil Wahrheit.

Ich war über­zeugt, dass es ohne Bäume keine lebens­fä­hige Land­wirt­schaft geben kann.

Tony Rinaudo

Ihre Methode, Bäume in Wüsten­ge­gen­den wieder wach­sen zu lassen, klingt einfach. Wie sind Sie auf die Idee gekom­men, dass dies funk­tio­nie­ren könnte?

1980 reiste ich das erste Mal nach Niger. Ich leitete ein Wieder­auf­fors­tungs­pro­jekt. Fort­schrei­tende Wüsten­bil­dung führte zu schwe­ren Dürren, Hunger und Armut. Wir dach­ten damals, um dies zu verhin­dern, müss­ten wir neue Bäume pflan­zen. Doch das hat nicht nach­hal­tig funk­tio­niert. Aufgrund der hohen Tempe­ra­tu­ren, star­ken Winden und schlech­ter Boden­frucht­bar­keit war ich aber über­zeugt, dass es ohne Bäume keine lebens­fä­hige Land­wirt­schaft geben kann.

Und wie haben Sie die Lösun­gen gefunden?

Die Lösung lag vor uns. Viele Gegen­den, nicht nur in Niger, waren früher bewal­det. Dort gibt es noch, was ich den unter­ir­di­schen Wald bezeichne. Es sind Baum­stümpfe, die noch ausschla­gen. Oder Samen in der Erde. Je nach Klima­zone können sie Jahr­zehnte oder gar Jahr­hun­derte über­dau­ern. Bei der Methode FMNR (Farmer Mana­ged Natu­ral Rege­ne­ra­tion) geht es also darum, heraus­zu­fin­den, welche dieser Bäume nach­wach­sen sollen. Es geht nur darum, die Land­nut­zer davon zu über­zeu­gen, dieses Pflan­zen­ma­te­rial zu schüt­zen und zu bewirt­schaf­ten, damit es wieder zu Bäumen heran­wach­sen kann.

Wie können Sie die rich­ti­gen Pflan­zen auswäh­len? Sind diese nicht unter der Erde?

Eigent­lich spries­sen sie die ganze Zeit. Durch die Nutzung der Menschen, bspw. für Brenn­holz oder als Weide­land, werden die Bäume aber stän­dig gefällt. Wir müssen also das Verhal­ten der Gemein­schaft ändern. Wir müssen bereit sein, die Bäume wach­sen zu lassen. Und wir müssen auswäh­len, welche wir wach­sen lassen wollen. Es ist eigent­lich ein sehr einfa­cher Prozess. Der Trick, wenn es denn ein solcher ist, besteht darin, die Wahr­neh­mung zu ändern. Wir müssen uns fragen: Ist diese oder jene Pflanze ein Unkraut oder Teil der Lösung?

Ich bin immer wieder über­rascht von der Robust­heit der Natur. 

Tony Rinaudo

Wie schaf­fen Sie es, die Menschen zu überzeugen?

Wir machen eine Übung namens «Vergan­gen­heit, Gegen­wart, Zukunft.» Ich will den Menschen kein schlech­tes Gewis­sen machen, dass sie die Natur zerstö­ren. Aber wenn ich sie frage, wie die Natur vor 30 Jahren ausge­hen hat, – und ich habe dies in 30 Ländern gemacht – dann malen die meis­ten ein Bild vom Garten Eden. Die Nieder­schläge waren zuver­läs­sig, der Boden war frucht­bar und die Frauen muss­ten nicht kilo­me­ter­weit laufen, um Holz zu sammeln.

Und die Gegenwart?

Die Gegen­wart beschrei­ben sie so: Die Böden sind unfrucht­bar gewor­den, die Kinder sind hung­rig und es mangelt an Wasser. Frage ich sie dann als drit­tes, wenn wir so weiter­ma­chen wie bisher, die Umwelt zerstö­ren; wie sieht die Zukunft für die Kinder aus?

Was antwor­ten sie?

Dann merken sie vor allem, dass es nicht um meine Geschichte geht, sondern dass es sie betrifft. Sie teilen ihre Gedan­ken in der Gruppe. Einige spre­chen das erste Mal darüber, wohin die Entwick­lung geht. Das macht ihnen Angst. Sie befürch­ten, das ange­stammte Land ihrer Eltern verlas­sen zu müssen und in die Slums zu ziehen. Das öffnet mir die Tür. Ich biete ihnen an, mit mir auf eine Reise zu gehen. Ich biete ihnen an, die FMNR-Methode auf einer klei­nen Ecke ihres Landes auszu­pro­bie­ren. Zwölf Monate lang wollen wir das gemein­sam tun. Nach dieser Zeit wach­sen die Bäume und sie erin­nern sich, dass sie in ihrer Kind­heit die Früchte dieser Bäume geges­sen haben und an viele andere Vorteile. In 90 bis 95 Prozent der Fälle stim­men sie zu, dieses Expe­ri­ment gemein­sam zu machen.

Nach zwölf Mona­ten sieht man die Ergebnisse?

Schon früher. Die Böden um die Bäume werden etwas feuch­ter. Die Pflan­zen in der Nähe wach­sen etwas besser, weil die Bäume Stick­stoff in den Boden bringen.

Offen­sicht­li­che Verän­de­rung dank der FMNR-Methode.

Wenn Sie aktu­elle Entwick­lun­gen wie den Klima­wan­del sehen, wie opti­mis­tisch sind Sie? Oder ist der Klima­wan­del gar ein Trei­ber, um die Methode bekannt zu machen?

Ich bin sehr besorgt. Wir haben uns in eine gefähr­li­che Situa­tion manö­vriert. Gleich­zei­tig bin ich immer wieder über­rascht von der Robust­heit der Natur. Wenn wir uns zusam­men­schlies­sen und die riesi­gen Flächen degra­dier­ter Böden welt­weit wieder­her­stel­len, ist das eine fast kosten­lose Ressource. Und wenn ich sehe, was Niger, eines der ärms­ten Länder schafft, gibt es keinen Grund, warum wir dies nicht wesent­lich schnel­ler in mehre­ren Ländern gleich­zei­tig errei­chen können. Ich bin eini­ger­mas­sen opti­mis­tisch. Aber wir werden mit ein paar Krat­zern und Blutun­gen davon­kom­men – d.h. wir werden die nega­ti­ven Auswir­kun­gen des Klima­wan­dels nicht unge­scho­ren überstehen.

Wenn die ärms­ten Menschen der Welt den Wert dieser Methode erken­nen und sich darauf einlas­sen, dann können wir etwas verän­dern. Was ist also unsere Ausrede mit all unse­ren Ressourcen?

Tony Rinaudo

Das klingt doch zuversichtlich.

Es ist eine wich­tige Frage. Gerade junge Menschen sind verzwei­felt. Sie fragen sich, weshalb sie über­haupt versu­chen sollen, etwas zu ändern. Es ist eh zu spät. Aber diese Geschichte hier ist eigent­lich eine Geschichte der Hoff­nung. Wenn die ärms­ten Menschen der Welt, die das Risiko scheuen und Analpha­be­ten sind, wenn diese Menschen den Wert dieser Methode erken­nen und sich darauf einlas­sen, dann können wir etwas verän­dern. Was ist also unsere Ausrede mit all unse­ren Ressour­cen? Im Rahmen unse­rer Möglich­kei­ten und unse­res Einflus­ses soll­ten wir doch ermu­tigt sein, aufzu­ste­hen und unser Bestes zu tun, um etwas zu verän­dern. Eine Person kann viel errei­chen, wenn sie andere ansteckt, die ihr folgen. Meine Botschaft ist: Was auch immer in deinem Herzen ist, diese Leiden­schaft, igno­riere sie nicht, zieh’ es durch.

Für Ihren Einsatz wurden Sie 2018 mit dem alter­na­ti­ven Nobel­preis ausge­zeich­net. Was hat dies verändert?

Der Preis hat mir Glaub­wür­dig­keit gege­ben. Er hat Türen geöff­net um FMNR bekannt zu machen und welt­weite Unter­stüt­zung zu erhalten.

Tony Rinaudo (rechts) mit Daniel Winzen­ried, CEO World Vision Schweiz und Liech­ten­stein anläss­lich des Vortra­ges von Tony Rinaudo an der ETH im Mai 2024.
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