Was verlangt die Motion «Stärkung der Gemeinnützigkeit steuerbefreiter Organisationen»?
Die von der FDP am 19. Dezember 2024 eingereichte Motion umfasst drei Aspekte: Einerseits sollen gemeinnützige Organisationen, die sich am politischen Diskurs beteiligen, verpflichtet werden, eine Jahresrechnung im Sinne einer Spartenrechnung zu erstellen, aus der ersichtlich ist, welche Mittel in die unmittelbare Zweckerfüllung und welche Mittel für übrige Tätigkeiten aufgewendet werden. Sodann sollen gemeinnützige Organisationen nur noch die Steuerbefreiung im Sinne einer teilweisen Steuerbefreiung für die unmittelbare Zweckerfüllung erhalten. Für alles andere müsste die Organisation Steuern entrichten. Andererseits sollen gemeinnützige Organisationen, die politische Kampagnen im grösseren Stil unterstützen, gar nicht mehr steuerbefreit sein bzw. ihre Steuerbefreiung nachträglich wieder verlieren. Um die Tätigkeit der gemeinnützigen Organisation überprüfen zu können, verlangt die Motion als dritter Punkt, dass alle gemeinnützigen Organisationen jährlich eine Steuererklärung einzureichen hätten, unabhängig davon, ob dies im jeweiligen Sitzkanton vorgesehen ist oder nicht.
Es geht also offensichtlich nicht um eine Stärkung von gemeinnützigen Organisationen.
Nein, im Gegenteil. Der Titel der Motion ist äusserst irreführend. Gemeinnützige Organisationen verlieren entweder ihre Steuerbefreiung ganz oder teilweise, was für diese existenziell ist, oder sie entscheiden sich dafür, nicht mehr am politischen Diskurs teilzunehmen. Damit sollen gemeinnützige Organisationen vom politischen Diskurs ausgeschlossen werden, was zu einer Verarmung des demokratischen Dialogs und zu einer Beschneidung der gemeinschaftsbildenden Funktion des gemeinnützigen Sektors führt.
Gemeinnützige Organisationen verlieren entweder ihre Steuerbefreiung ganz oder teilweise, was für diese existenziell ist, oder sie entscheiden sich dafür, nicht mehr am politischen Diskurs teilzunehmen.
Sebastian Rieger, Stv. Geschäftsführer von proFonds
Dies hat bereits Ständerat Ruedi Noser mit seiner Motion 2020 versucht. Die damalige Motion war die direkte Konsequenz auf das Engagement gemeinnütziger Organisationen bei der Konzernverantwortungsinitiative. Die vorliegende Motion wärmt dieses Thema nun wieder auf und zielt auf dasselbe Resultat ab. Der Vorstoss kommt zudem in einer Zeit, in der weltweit die Unterstützung für Gemeinnützigkeit verringert wird, wie das Beispiel USAID zeigt. In einer solch herausfordernden Zeit dürfen gemeinnützige Organisationen in der Schweiz nicht geschwächt werden, indem sie ihre Mittel für administrativen Mehraufwand verwenden müssen und vom politischen Diskurs ausgeschlossen werden.
proFonds hat sich in einem Brief an alle Mitglieder des Nationalrats gewendet und ersucht diese, die Motion abzulehnen. Was sind die Gründe dafür?
Wir setzen uns dezidiert dafür ein, dass diese Motion abgelehnt wird, denn sie führt zu einer erheblichen Schwächung des gesamten Gemeinnützigkeitssektors. Zudem ist sie unmöglich umzusetzen oder überflüssig. Denn sowohl Stiftungen als auch Vereine müssen eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Jahresrechnung erstellen. Das beinhaltet auch, dass eine Stiftung oder ein Verein, die bzw. der nur teilweise steuerbefreit ist, bereits eine Spartenrechnung erstellen müssen und können. Gemeinnützige Stiftungen unterstehen auch der staatlichen Aufsicht. Sie müssen jährlich einen Tätigkeitsbericht einreichen, in dem die Zweckerfüllung überprüfbar dargelegt wird. Zudem sind sie alle revisionspflichtig. Gemeinnützige Vereine müssen ihre Jahresrechnungen und den Tätigkeitsbericht von der Mitgliederversammlung genehmigen lassen. Grössere Vereine unterstehen auch einer Revisionspflicht. Zudem gab es in den letzten Jahren Gesetzesänderungen, die die Kontrolle über Vereine verstärkt haben. Auch müssen alle Zewo-zertifizierten Organisationen Rechenschaft über das Verhältnis der Mittelverwendung für die Zweckerfüllung und andere Aufwendungen ablegen. Damit sind die Anliegen der Motion schon umfassend gesetzlich und selbstregulatorisch verankert. Und es ist auch durchaus denkbar, dass der Zweck einer gemeinnützigen Organisation gerade die Teilnahme am politischen Diskurs erfordert. In solchen Fällen ist ein politisches Engagement vom gemeinnützigen Zweck, der die Steuerbefreiung begründet, mitumfasst. Diesfalls ist es gar nicht möglich, eine wie von der Motion geforderte Spatenrechnung anzufertigen.
Sollen sich gemeinnützige Organisationen uneingeschränkt am politischen Diskurs beteiligen dürfen?
Wichtig zu verstehen ist, dass es nicht um eine uneingeschränkte politische Tätigkeit steuerbefreiter gemeinnütziger Organisationen geht. Stellt das politische Engagement den eigentlichen Zweck einer Organisation dar, so wird keine Steuerbefreiung wegen Gemeinnützigkeit gewährt. Dies ist geltende Praxis in allen Kantonen. Damit ist das zulässige Mass eines politischen Engagements eingeschränkt. Aber der Zweck von gemeinnützigen Organisationen kann das Einbringen in den politischen Diskurs geradezu erfordern. Es ist kaum vorstellbar, wie gemeinnützige Stiftungen oder NPO, die sich bspw. für Demokratie einsetzen, ihren Zweck erfüllen sollen, wenn sie nicht mehr am demokratischen Dialog teilnehmen dürfen. Dasselbe gilt z.B. auch für Organisationen in den Bereichen betagte Menschen, Gesundheit, Bergbevölkerung, Umwelt- oder Tierschutz. Entsprechend hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme auf die Motion Noser im Jahr 2020 richtigerweise festgehalten, dass die materielle oder ideelle Unterstützung von Initiativen oder Referenden einer Steuerbefreiung grundsätzlich nicht entgegensteht – im Übrigen hat sich der Bundesrat auch gegen die jetzt zur Diskussion stehende Motion ausgesprochen. Eine Beteiligung am politischen Diskurs und die Mitgestaltung der Gesetzeslage in den vom Zweck bestimmten Bereichen kann also Element der Zweckerfüllung sein. Zweckerfüllung darf aber nie zum Entzug der Steuerbefreiung führen.
Es ist kaum vorstellbar, wie gemeinnützige Stiftungen oder NPO, die sich bspw. für Demokratie einsetzen, ihren Zweck erfüllen sollen, wenn sie nicht mehr am demokratischen Dialog teilnehmen dürfen.
Sebastian Rieger
Die bestehenden Vollzugsvorschriften genügen also, um die Rechtmässigkeit der Steuerbefreiungen zu gewährleisten.
Ja, die bestehenden Regelungen sind völlig ausreichend. Das ist auch die Auffassung des Bundesrats, der, wie oben bereits erwähnt, die Motion daher ebenfalls ablehnt.
Zurzeit laufen in verschiedenen Kantonen Initiativen, mit denen gemeinnützigen Stiftungen und NPO gestärkt werden sollen. Wie steht diese Motion zu diesen Initiativen?
Diese Motion steht im Widerspruch zu unterschiedlichen kantonalen Initiativen zur Stärkung des Stiftungssektors und damit auch zur Stärkung des Gemeinnützigkeitssektors im Allgemeinen. Es gibt solche Initiativen in Zürich, Basel-Stadt und Luzern. Dabei sind es jeweils Vertreter der FDP bzw. der Liberalen, die diese Initiativen lancieren und vorantreiben. Während in Basel-Stadt bereits ein Verein zur Stärkung des Stiftungsstandorts existiert, wird im Kanton Zürich ein solcher Verein auf Initiative der Volkswirtschaftsdirektion unter der Leitung von Regierungsrätin Carmen Walker Späh (FDP ZH) gerade gegründet. Im Kanton Luzern hat Stadträtin Sarah Arnold (FDP LU) eine ähnliche Initiative lanciert. Es erscheint uns problematisch, wenn auf kantonaler Ebene eine Stärkung des Gemeinnützigkeitssektors unter Beachtung dessen gesellschaftlicher Bedeutung von Vertretern der FDP vorgenommen wird, während auf Bundesebene diese Bemühungen mit einer solchen Motion untergraben werden.
Was wären die Folgen für den gemeinnützigen Sektor in der Schweiz, sollte die Motion vom Nationalrat angenommen werden?
Ein angedrohter Entzug der Steuerbefreiung würde faktisch zu einem politischen Maulkorb gemeinnütziger Organisationen führen. Die betroffenen Organisationen weisen in ihren jeweiligen Fachgebieten auch eine ausgewiesene Kompetenz auf, die verloren ginge, könnten sie sich nicht mehr einbringen.
Es erscheint uns problematisch, wenn auf kantonaler Ebene eine Stärkung des Gemeinnützigkeitssektors unter Beachtung dessen gesellschaftlicher Bedeutung von Vertretern der FDP vorgenommen wird, während auf Bundesebene diese Bemühungen mit einer solchen Motion untergraben werden.
Sebastian Rieger
Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Steuerbefreiung gemeinnütziger Stiftungen für die Gesellschaft lohnt. Was wären die gesellschaftlichen Auswirkungen einer Annahme der Motion?
Mit der Annahme der Motion droht eine Verarmung des politischen Diskurses in der Schweiz. Darüber hinaus führt diese Motion zu einer Beschneidung der gemeinschaftsbildenden Funktion des gemeinnützigen Sektors, was sich in Zeiten der Unsicherheit und Polarisierung spürbar negativ auf die Gesellschaft auswirken würde.