Sebastian Rieger, Bild: proFonds

«Der Entzug der Steu­er­be­frei­ung wäre faktisch ein poli­ti­scher Maul­korb für gemein­nüt­zige Organisationen»

Im letzten Dezember wurde von der FDP eine Motion mit dem Titel «Stärkung der Gemeinnützigkeit steuerbefreiter Organisationen» eingereicht. proFonds, der Dachverband gemeinnütziger Stiftungen der Schweiz, engagiert sich seit über 30 Jahren für die Interessen gemeinnütziger Organisationen in der Schweiz. Wir haben mit Sebastian Rieger, Stv. Geschäftsführer von proFonds, über die Motion gesprochen.

Was verlangt die Motion «Stär­kung der Gemein­nüt­zig­keit steu­er­be­frei­ter Organisationen»?

Die von der FDP am 19. Dezem­ber 2024 einge­reichte Motion umfasst drei Aspekte: Einer­seits sollen gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen, die sich am poli­ti­schen Diskurs betei­li­gen, verpflich­tet werden, eine Jahres­rech­nung im Sinne einer Spar­ten­rech­nung zu erstel­len, aus der ersicht­lich ist, welche Mittel in die unmit­tel­bare Zweck­erfül­lung und welche Mittel für übrige Tätig­kei­ten aufge­wen­det werden. Sodann sollen gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen nur noch die Steu­er­be­frei­ung im Sinne einer teil­wei­sen Steu­er­be­frei­ung für die unmit­tel­bare Zweck­erfül­lung erhal­ten. Für alles andere müsste die Orga­ni­sa­tion Steu­ern entrich­ten. Ande­rer­seits sollen gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen, die poli­ti­sche Kampa­gnen im grös­se­ren Stil unter­stüt­zen, gar nicht mehr steu­er­be­freit sein bzw. ihre Steu­er­be­frei­ung nach­träg­lich wieder verlie­ren. Um die Tätig­keit der gemein­nüt­zi­gen Orga­ni­sa­tion über­prü­fen zu können, verlangt die Motion als drit­ter Punkt, dass alle gemein­nüt­zi­gen Orga­ni­sa­tio­nen jähr­lich eine Steu­er­erklä­rung einzu­rei­chen hätten, unab­hän­gig davon, ob dies im jewei­li­gen Sitz­kan­ton vorge­se­hen ist oder nicht.

Es geht also offen­sicht­lich nicht um eine Stär­kung von gemein­nüt­zi­gen Organisationen.

Nein, im Gegen­teil. Der Titel der Motion ist äusserst irre­füh­rend. Gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen verlie­ren entwe­der ihre Steu­er­be­frei­ung ganz oder teil­weise, was für diese exis­ten­zi­ell ist, oder sie entschei­den sich dafür, nicht mehr am poli­ti­schen Diskurs teil­zu­neh­men. Damit sollen gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen vom poli­ti­schen Diskurs ausge­schlos­sen werden, was zu einer Verar­mung des demo­kra­ti­schen Dialogs und zu einer Beschnei­dung der gemein­schafts­bil­den­den Funk­tion des gemein­nüt­zi­gen Sektors führt. 

Gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen verlie­ren entwe­der ihre Steu­er­be­frei­ung ganz oder teil­weise, was für diese exis­ten­zi­ell ist, oder sie entschei­den sich dafür, nicht mehr am poli­ti­schen Diskurs teilzunehmen.

Sebas­tian Rieger, Stv. Geschäfts­füh­rer von proFonds

Dies hat bereits Stän­de­rat Ruedi Noser mit seiner Motion 2020 versucht. Die dama­lige Motion war die direkte Konse­quenz auf das Enga­ge­ment gemein­nüt­zi­ger Orga­ni­sa­tio­nen bei der Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive. Die vorlie­gende Motion wärmt dieses Thema nun wieder auf und zielt auf dasselbe Resul­tat ab. Der Vorstoss kommt zudem in einer Zeit, in der welt­weit die Unter­stüt­zung für Gemein­nüt­zig­keit verrin­gert wird, wie das Beispiel USAID zeigt. In einer solch heraus­for­dern­den Zeit dürfen gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen in der Schweiz nicht geschwächt werden, indem sie ihre Mittel für admi­nis­tra­ti­ven Mehr­auf­wand verwen­den müssen und vom poli­ti­schen Diskurs ausge­schlos­sen werden.

proFonds hat sich in einem Brief an alle Mitglie­der des Natio­nal­rats gewen­det und ersucht diese, die Motion abzu­leh­nen. Was sind die Gründe dafür?

Wir setzen uns dezi­diert dafür ein, dass diese Motion abge­lehnt wird, denn sie führt zu einer erheb­li­chen Schwä­chung des gesam­ten Gemein­nüt­zig­keits­sek­tors. Zudem ist sie unmög­lich umzu­set­zen oder über­flüs­sig. Denn sowohl Stif­tun­gen als auch Vereine müssen eine den gesetz­li­chen Vorga­ben entspre­chende Jahres­rech­nung erstel­len. Das beinhal­tet auch, dass eine Stif­tung oder ein Verein, die bzw. der nur teil­weise steu­er­be­freit ist, bereits eine Spar­ten­rech­nung erstel­len müssen und können. Gemein­nüt­zige Stif­tun­gen unter­ste­hen auch der staat­li­chen Aufsicht. Sie müssen jähr­lich einen Tätig­keits­be­richt einrei­chen, in dem die Zweck­erfül­lung über­prüf­bar darge­legt wird. Zudem sind sie alle revi­si­ons­pflich­tig. Gemein­nüt­zige Vereine müssen ihre Jahres­rech­nun­gen und den Tätig­keits­be­richt von der Mitglie­der­ver­samm­lung geneh­mi­gen lassen. Grös­sere Vereine unter­ste­hen auch einer Revi­si­ons­pflicht. Zudem gab es in den letz­ten Jahren Geset­zes­än­de­run­gen, die die Kontrolle über Vereine verstärkt haben. Auch müssen alle Zewo-zerti­fi­zier­ten Orga­ni­sa­tio­nen Rechen­schaft über das Verhält­nis der Mittel­ver­wen­dung für die Zweck­erfül­lung und andere Aufwen­dun­gen able­gen. Damit sind die Anlie­gen der Motion schon umfas­send gesetz­lich und selbst­re­gu­la­to­risch veran­kert. Und es ist auch durch­aus denk­bar, dass der Zweck einer gemein­nüt­zi­gen Orga­ni­sa­tion gerade die Teil­nahme am poli­ti­schen Diskurs erfor­dert. In solchen Fällen ist ein poli­ti­sches Enga­ge­ment vom gemein­nüt­zi­gen Zweck, der die Steu­er­be­frei­ung begrün­det, mitum­fasst. Dies­falls ist es gar nicht möglich, eine wie von der Motion gefor­derte Spaten­rech­nung anzufertigen.

Sollen sich gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen unein­ge­schränkt am poli­ti­schen Diskurs betei­li­gen dürfen?

Wich­tig zu verste­hen ist, dass es nicht um eine unein­ge­schränkte poli­ti­sche Tätig­keit steu­er­be­frei­ter gemein­nüt­zi­ger Orga­ni­sa­tio­nen geht. Stellt das poli­ti­sche Enga­ge­ment den eigent­li­chen Zweck einer Orga­ni­sa­tion dar, so wird keine Steu­er­be­frei­ung wegen Gemein­nüt­zig­keit gewährt. Dies ist geltende Praxis in allen Kanto­nen. Damit ist das zuläs­sige Mass eines poli­ti­schen Enga­ge­ments einge­schränkt. Aber der Zweck von gemein­nüt­zi­gen Orga­ni­sa­tio­nen kann das Einbrin­gen in den poli­ti­schen Diskurs gera­dezu erfor­dern. Es ist kaum vorstell­bar, wie gemein­nüt­zige Stif­tun­gen oder NPO, die sich bspw. für Demo­kra­tie einset­zen, ihren Zweck erfül­len sollen, wenn sie nicht mehr am demo­kra­ti­schen Dialog teil­neh­men dürfen. Dasselbe gilt z.B. auch für Orga­ni­sa­tio­nen in den Berei­chen betagte Menschen, Gesund­heit, Berg­be­völ­ke­rung, Umwelt- oder Tier­schutz. Entspre­chend hat der Bundes­rat in seiner Stel­lung­nahme auf die Motion Noser im Jahr 2020 rich­ti­ger­weise fest­ge­hal­ten, dass die mate­ri­elle oder ideelle Unter­stüt­zung von Initia­ti­ven oder Refe­ren­den einer Steu­er­be­frei­ung grund­sätz­lich nicht entge­gen­steht – im Übri­gen hat sich der Bundes­rat auch gegen die jetzt zur Diskus­sion stehende Motion ausge­spro­chen. Eine Betei­li­gung am poli­ti­schen Diskurs und die Mitge­stal­tung der Geset­zes­lage in den vom Zweck bestimm­ten Berei­chen kann also Element der Zweck­erfül­lung sein. Zweck­erfül­lung darf aber nie zum Entzug der Steu­er­be­frei­ung führen.

Es ist kaum vorstell­bar, wie gemein­nüt­zige Stif­tun­gen oder NPO, die sich bspw. für Demo­kra­tie einset­zen, ihren Zweck erfül­len sollen, wenn sie nicht mehr am demo­kra­ti­schen Dialog teil­neh­men dürfen.

Sebas­tian Rieger

Die bestehen­den Voll­zugs­vor­schrif­ten genü­gen also, um die Recht­mäs­sig­keit der Steu­er­be­frei­un­gen zu gewährleisten.

Ja, die bestehen­den Rege­lun­gen sind völlig ausrei­chend. Das ist auch die Auffas­sung des Bundes­rats, der, wie oben bereits erwähnt, die Motion daher eben­falls ablehnt.

Zurzeit laufen in verschie­de­nen Kanto­nen Initia­ti­ven, mit denen gemein­nüt­zi­gen Stif­tun­gen und NPO gestärkt werden sollen. Wie steht diese Motion zu diesen Initiativen?

Diese Motion steht im Wider­spruch zu unter­schied­li­chen kanto­na­len Initia­ti­ven zur Stär­kung des Stif­tungs­sek­tors und damit auch zur Stär­kung des Gemein­nüt­zig­keits­sek­tors im Allge­mei­nen. Es gibt solche Initia­ti­ven in Zürich, Basel-Stadt und Luzern. Dabei sind es jeweils Vertre­ter der FDP bzw. der Libe­ra­len, die diese Initia­ti­ven lancie­ren und voran­trei­ben. Während in Basel-Stadt bereits ein Verein zur Stär­kung des Stif­tungs­stand­orts exis­tiert, wird im Kanton Zürich ein solcher Verein auf Initia­tive der Volks­wirt­schafts­di­rek­tion unter der Leitung von Regie­rungs­rä­tin Carmen Walker Späh (FDP ZH) gerade gegrün­det. Im Kanton Luzern hat Stadt­rä­tin Sarah Arnold (FDP LU) eine ähnli­che Initia­tive lanciert. Es erscheint uns proble­ma­tisch, wenn auf kanto­na­ler Ebene eine Stär­kung des Gemein­nüt­zig­keits­sek­tors unter Beach­tung dessen gesell­schaft­li­cher Bedeu­tung von Vertre­tern der FDP vorge­nom­men wird, während auf Bundes­ebene diese Bemü­hun­gen mit einer solchen Motion unter­gra­ben werden.

Was wären die Folgen für den gemein­nüt­zi­gen Sektor in der Schweiz, sollte die Motion vom Natio­nal­rat ange­nom­men werden?

Ein ange­droh­ter Entzug der Steu­er­be­frei­ung würde faktisch zu einem poli­ti­schen Maul­korb gemein­nüt­zi­ger Orga­ni­sa­tio­nen führen. Die betrof­fe­nen Orga­ni­sa­tio­nen weisen in ihren jewei­li­gen Fach­ge­bie­ten auch eine ausge­wie­sene Kompe­tenz auf, die verlo­ren ginge, könn­ten sie sich nicht mehr einbringen.

Es erscheint uns proble­ma­tisch, wenn auf kanto­na­ler Ebene eine Stär­kung des Gemein­nüt­zig­keits­sek­tors unter Beach­tung dessen gesell­schaft­li­cher Bedeu­tung von Vertre­tern der FDP vorge­nom­men wird, während auf Bundes­ebene diese Bemü­hun­gen mit einer solchen Motion unter­gra­ben werden.

Sebas­tian Rieger

Unter­su­chun­gen haben gezeigt, dass sich die Steu­er­be­frei­ung gemein­nüt­zi­ger Stif­tun­gen für die Gesell­schaft lohnt. Was wären die gesell­schaft­li­chen Auswir­kun­gen einer Annahme der Motion?

Mit der Annahme der Motion droht eine Verar­mung des poli­ti­schen Diskur­ses in der Schweiz. Darüber hinaus führt diese Motion zu einer Beschnei­dung der gemein­schafts­bil­den­den Funk­tion des gemein­nüt­zi­gen Sektors, was sich in Zeiten der Unsi­cher­heit und Pola­ri­sie­rung spür­bar nega­tiv auf die Gesell­schaft auswir­ken würde.

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