Soeben erschien beim Suhrkamp Verlag Ihr neues Buch «Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen». Weshalb dieser Titel?
Der Medienbetrieb ist emotional – der Journalismus aber sollte nüchtern bleiben. Die Medien biedern sich an – Journalismus jedoch hält Distanz. Die Medien puschen die Nachfrage: die Klicks – Journalismus interessiert sich zunächst für das Angebot und seine Qualität.
Wen sehen Sie in der Verantwortung, um den Journalismus zu retten?
Erstens die Journalistinnen und Journalisten. Sie kritisieren Fehlentwicklungen in Politik und Wirtschaft: Missstände in der eigenen Branche sollten sie ebenfalls thematisieren. Zweitens die Verleger: Wollen sie viel Dividende, gibt’s wenig Mittel für den Journalismus. Langfristig lohnt es sich, in die Redaktionen zu investieren, statt sie abzubauen. Drittens die öffentliche Hand: Der Journalismus ist eine elementare Infrastruktur der Demokratie. Also ist es eine elementare Staatsaufgabe, auch diese Infrastruktur instand zu halten, wenn der Markt nicht mehr überall spielt: In der föderalistischen Eidgenossenschaft gilt es, den schwer angeschlagenen Lokal- und Regionaljournalismus zu erhalten.
Verliert Journalismus nicht seine Unabhängigkeit, wenn er auf Rettung angewiesen ist?
Das Fördergeld verteilen in Nordeuropa unabhängige Vergabeinstanzen quasi-automatisch gemäss festen Regeln, also fernab parteipolitischer Interessen. Nordeuropa ist spitze in den Ranglisten der Medienförderung, der Medienfreiheit, der Medienvielfalt und des Medienvertrauens.
Wie sieht eine funktionierende Förderung durch die öffentliche Hand aus?
Schweden hat systematisch die Nummer zwei und drei in einem Einzugsgebiet unterstützt. Dank dem hat jede Kleinstadt unabhängige Lokalmedien, die nicht von der Zentralredaktion eines Grossverlags abhängen. In Dänemark übernimmt die öffentliche Hand einen Prozentsatz des Redaktionsbudgets: Kürzt der Verlag dieses Budget, gibt‘s weniger Zuschuss.
Sie sehen als Mitglied des Zukunftsrats für Reformen bei ARD, ZDF und Deutschlandfunk dringenden Neuerungsbedarf besonders bei der ARD. Was können öffentliche Medienhäuser leisten, was private Medien nicht können?
Man vergleiche die Qualität der Information bei Radio SRF mit derjenigen kommerzieller Radios. Privat lässt sich weder ein Kulturradio noch eine Übertragung des Lauberhorn-Skirennens oder des Eidgenössischen Schwingfests finanzieren, weder eine «Tagesschau» noch eine Kultserie wie «Tschugger» oder eine «Sternstunde Philosophie» – da könnte ich eine ellenlange Liste aufstellen. Die SRG arbeitet effizient; sie hat für das Angebot in vier Sprachen bloss 20 Prozent der Mittel der ARD, die einzig auf Deutsch produziert.
Sie sehen die Boulevardisierung der Medien kritisch, weil sie Populisten nütze: Kann der Journalismus bestimmen, welche Form die Gesellschaft konsumieren soll, oder muss er sich nicht einfach den geänderten Gewohnheiten anpassen?
Der Klick-Journalismus bedient dieselben Instinkte, die auch Populisten bewirtschaften. Beide emotionalisieren, polarisieren und bauen auf das Primitive. Doch dieser Wechsel von der Aufmerksamkeitsökonomie zur Aufregungsökonomie stösst mehr und mehr Menschen ab. In ohnehin nervösen Zeiten entfernen sie sich still und leise vom hypernervösen Medienbetrieb. Rasch steigt die Zahl der Nachrichtenvermeider. Schrumpfredaktionen verlieren noch mehr Publikum, wenn sie sich anbiedern und reisserisch werden, um ihren Kompetenzverlust zu kaschieren. Besser halten sich auf Dauer Medien, die in die Redaktion investieren und dem Journalismus treu bleiben, statt sich zu «boulevardigitalisieren».
Der Klick-Journalismus bedient dieselben Instinkte, die auch Populisten bewirtschaften. — Roger de Weck, Autor
Heute können sich die Menschen über die verschiedenen Kanäle informieren. Auch die sozialen Medien bieten relevante Informationen. Hat der Journalismus es verpasst, sich mit dieser Konkurrenz auseinanderzusetzen und verlangt nun nach Rettung: weil er nicht mehr alleiniger Informationskanal ist?
Was ist Journalismus? Das Recherchieren ist das Wichtigste. Die Fakten muss man suchen, prüfen, analysieren, einordnen. So kann man sie gewichten und erläutern. Erst dann kommt die fakultative Aufgabe des Kommentierens. Und am Schluss wird bei Bedarf aktualisiert oder korrigiert. So sieht eine kompetente und entsprechend kostspielige Verarbeitung von Information aus. In sozialen Medien aber wird hauptsächlich die fakultative Funktion erfüllt: das Kommentieren, es herrscht Meinungsinflation. Bis zu dem Punkt, an dem Meinungen X‑beliebig werden: wie auf X von Elon Musk. Der Journalismus hat sein Monopol als Vermittler von Information verloren. Umso bewusster muss er auf die Fakten abstellen in einer zusehends postfaktischen Gesellschaft. So dient er am besten der Demokratie – und sich selbst. Denn Journalismus wird stärker, wenn er sich von den sozialen Medien unterscheidet, statt sie nachzuahmen.
Veranstaltungshinweis:
Die Zürcher Buchpremiere ist am kommenden Sonntag (15. 12.) um 20h im «Kaufleuten» in Zürich.
Tickets gibt es hier
Larissa Rhyn — Leiterin der Bundeshausredaktion des «Tages-Anzeigers» und der Autor Roger de Weck sprechen über das Buch «Das Prinzip Trotzdem – Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen», jüngst beim Suhrkamp Verlag erschienen.