Roger de Weck, Publizist, Autor. Bild: Nora Nussbaumer

«Das Prin­zip Trotzdem»

Warum wir Journalismus vom Medienbetrieb trennen sollten und welche Verantwortung Journalist:innen, Verlagshäuser und die öffentliche Hand dabei tragen – The Philanthropist hat mit Roger de Weck über sein neues Buch gesprochen.

Soeben erschien beim Suhr­kamp Verlag Ihr neues Buch «Das Prin­zip Trotz­dem. Warum wir den Jour­na­lis­mus vor den Medien retten müssen». Weshalb dieser Titel?

Der Medi­en­be­trieb ist emotio­nal – der Jour­na­lis­mus aber sollte nüch­tern blei­ben. Die Medien biedern sich an – Jour­na­lis­mus jedoch hält Distanz. Die Medien puschen die Nach­frage: die Klicks – Jour­na­lis­mus inter­es­siert sich zunächst für das Ange­bot und seine Qualität.

Wen sehen Sie in der Verant­wor­tung, um den Jour­na­lis­mus zu retten?

Erstens die Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten. Sie kriti­sie­ren Fehl­ent­wick­lun­gen in Poli­tik und Wirt­schaft: Miss­stände in der eige­nen Bran­che soll­ten sie eben­falls thema­ti­sie­ren. Zwei­tens die Verle­ger: Wollen sie viel Divi­dende, gibt’s wenig Mittel für den Jour­na­lis­mus. Lang­fris­tig lohnt es sich, in die Redak­tio­nen zu inves­tie­ren, statt sie abzu­bauen. Drit­tens die öffent­li­che Hand: Der Jour­na­lis­mus ist eine elemen­tare Infra­struk­tur der Demo­kra­tie. Also ist es eine elemen­tare Staats­auf­gabe, auch diese Infra­struk­tur instand zu halten, wenn der Markt nicht mehr über­all spielt: In der föde­ra­lis­ti­schen Eidge­nos­sen­schaft gilt es, den schwer ange­schla­ge­nen Lokal- und Regio­nal­jour­na­lis­mus zu erhalten.

Verliert Jour­na­lis­mus nicht seine Unab­hän­gig­keit, wenn er auf Rettung ange­wie­sen ist?

Das Förder­geld vertei­len in Nord­eu­ropa unab­hän­gige Verga­be­instan­zen quasi-auto­ma­tisch gemäss festen Regeln, also fernab partei­po­li­ti­scher Inter­es­sen. Nord­eu­ropa ist spitze in den Rang­lis­ten der Medi­en­för­de­rung, der Medi­en­frei­heit, der Medi­en­viel­falt und des Medienvertrauens.

Wie sieht eine funk­tio­nie­rende Förde­rung durch die öffent­li­che Hand aus?

Schwe­den hat syste­ma­tisch die Nummer zwei und drei in einem Einzugs­ge­biet unter­stützt. Dank dem hat jede Klein­stadt unab­hän­gige Lokal­me­dien, die nicht von der Zentral­re­dak­tion eines Gross­ver­lags abhän­gen. In Däne­mark über­nimmt die öffent­li­che Hand einen Prozent­satz des Redak­ti­ons­bud­gets: Kürzt der Verlag dieses Budget, gibt‘s weni­ger Zuschuss.

Sie sehen als Mitglied des Zukunfts­rats für Refor­men bei ARD, ZDF und Deutsch­land­funk drin­gen­den Neue­rungs­be­darf beson­ders bei der ARD. Was können öffent­li­che Medi­en­häu­ser leis­ten, was private Medien nicht können?

Man verglei­che die Quali­tät der Infor­ma­tion bei Radio SRF mit derje­ni­gen kommer­zi­el­ler Radios. Privat lässt sich weder ein Kultur­ra­dio noch eine Über­tra­gung des Lauber­horn-Skiren­nens oder des Eidge­nös­si­schen Schwing­fests finan­zie­ren, weder eine «Tages­schau» noch eine Kult­se­rie wie «Tschug­ger» oder eine «Stern­stunde Philo­so­phie» – da könnte ich eine ellen­lange Liste aufstel­len. Die SRG arbei­tet effi­zi­ent; sie hat für das Ange­bot in vier Spra­chen bloss 20 Prozent der Mittel der ARD, die einzig auf Deutsch produziert.

Sie sehen die Boule­var­di­sie­rung der Medien kritisch, weil sie Popu­lis­ten nütze: Kann der Jour­na­lis­mus bestim­men, welche Form die Gesell­schaft konsu­mie­ren soll, oder muss er sich nicht einfach den geän­der­ten Gewohn­hei­ten anpassen?

Der Klick-Jour­na­lis­mus bedient diesel­ben Instinkte, die auch Popu­lis­ten bewirt­schaf­ten. Beide emotio­na­li­sie­ren, pola­ri­sie­ren und bauen auf das Primi­tive. Doch dieser Wech­sel von der Aufmerk­sam­keits­öko­no­mie zur Aufre­gungs­öko­no­mie stösst mehr und mehr Menschen ab. In ohne­hin nervö­sen Zeiten entfer­nen sie sich still und leise vom hyper­ner­vö­sen Medi­en­be­trieb. Rasch steigt die Zahl der Nach­rich­ten­ver­mei­der. Schrumpf­re­dak­tio­nen verlie­ren noch mehr Publi­kum, wenn sie sich anbie­dern und reis­se­risch werden, um ihren Kompe­tenz­ver­lust zu kaschie­ren. Besser halten sich auf Dauer Medien, die in die Redak­tion inves­tie­ren und dem Jour­na­lis­mus treu blei­ben, statt sich zu «boule­var­di­gi­ta­li­sie­ren».

Der Klick-Jour­na­lis­mus bedient diesel­ben Instinkte, die auch Popu­lis­ten bewirt­schaf­ten. — Roger de Weck, Autor 

Heute können sich die Menschen über die verschie­de­nen Kanäle infor­mie­ren. Auch die sozia­len Medien bieten rele­vante Infor­ma­tio­nen. Hat der Jour­na­lis­mus es verpasst, sich mit dieser Konkur­renz ausein­an­der­zu­set­zen und verlangt nun nach Rettung: weil er nicht mehr allei­ni­ger Infor­ma­ti­ons­ka­nal ist?

Was ist Jour­na­lis­mus? Das Recher­chie­ren ist das Wich­tigste. Die Fakten muss man suchen, prüfen, analy­sie­ren, einord­nen. So kann man sie gewich­ten und erläu­tern. Erst dann kommt die fakul­ta­tive Aufgabe des Kommen­tie­rens. Und am Schluss wird bei Bedarf aktua­li­siert oder korri­giert. So sieht eine kompe­tente und entspre­chend kost­spie­lige Verar­bei­tung von Infor­ma­tion aus. In sozia­len Medien aber wird haupt­säch­lich die fakul­ta­tive Funk­tion erfüllt: das Kommen­tie­ren, es herrscht Meinungs­in­fla­tion. Bis zu dem Punkt, an dem Meinun­gen X‑beliebig werden: wie auf X von Elon Musk. Der Jour­na­lis­mus hat sein Mono­pol als Vermitt­ler von Infor­ma­tion verlo­ren. Umso bewuss­ter muss er auf die Fakten abstel­len in einer zuse­hends post­fak­ti­schen Gesell­schaft. So dient er am besten der Demo­kra­tie – und sich selbst. Denn Jour­na­lis­mus wird stär­ker, wenn er sich von den sozia­len Medien unter­schei­det, statt sie nachzuahmen.

Veran­stal­tungs­hin­weis:
Die Zürcher Buch­pre­miere ist am kommen­den Sonn­tag (15. 12.) um 20h im «Kauf­leu­ten» in Zürich.
Tickets gibt es hier
Larissa Rhyn — Leite­rin der Bundes­haus­re­dak­tion des «Tages-Anzei­gers» und der Autor Roger de Weck spre­chen über das Buch «Das Prin­zip Trotz­dem – Warum wir den Jour­na­lis­mus vor den Medien retten müssen», jüngst beim Suhr­kamp Verlag erschienen. 

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