ChatGPT hat gerade die Version 4o eingeführt und geht damit in die nächste Runde. Eine der neuen Funktionen ist die mündliche Spracherkennung. Jetzt ist es möglich, mit der künstlichen Intelligenz zu sprechen und ein fehlerfreies, übersetztes Diktat per Knopfdruck zu erhalten. Zudem kann die KI Geschichten mit einer emotionalen Stimme erzählen. Dies ist nur ein Beispiel für die sich rasant entwickelnden Technologien. Werden durch Entwicklungen wie diese der persönliche Kontakt im Fundraising – und damit die vielen jungen Fundraiser:innen, die man an öffentlichen Orten für verschiedene Hilfswerke antrifft – überflüssig?
Face-to-Face mit Tradition
Standaktionen zur Gewinnung neuer Mitglieder für Hilfswerke gibt es bereits seit 1995. Zwei Studenten in Österreich hatten die geniale Idee, Passant:innen auf der Strasse direkt anzusprechen, zu informieren und Mitgliedschaften abzuschliessen. Weder die direkte Ansprache noch die Vergabe von mündlichen Informationen oder das Abschliessen einer Mitgliedschaft waren damals revolutionär. Der Erfolg der Methode liegt in der Kombination aller Massnahmen. Massnahmen, die vorher einzeln oder nur teilweise in Kombination praktiziert wurden, passieren nun alle zur gleichen Zeit und am selben Ort. Plötzlich wurde aus einzelnen Fundraising-Aktionen eine Kampagne mit einem nachhaltigen Spendeneingang, dank sich selbst erneuernder Mitgliedschaften über das Lastschriftverfahren. Die Werbemethoden waren 1995 noch komplett analog, es gab keine Tablets, der Erfolg der Aktion konnte nicht mit Zahlen überprüft werden und sogar E‑Mails waren noch nicht sehr weit verbreitet.
Technologie unterstützt
Aus der Ferne betrachtet scheinen die Standaktionen auch heute noch komplett analog zu funktionieren, da der Mensch und das persönliche Gespräch nach wie vor im Mittelpunkt stehen. Das ist auch gut so, denn glücklicherweise kann keine künstliche Intelligenz den Menschen mit seinen Emotionen, Intuitionen und Unvollkommenheiten ersetzen. Doch auch wenn das Gespräch zwischen zwei Menschen stattfindet, hat die Digitalisierung längst am Infostand Einzug gehalten: Präsentationen und Videos auf dem iPad haben die analogen Zeigemappen ersetzt. Dateneingaben auf dem Tablet werden in Echtzeit überprüft. Der Erfolg jeder Kampagne kann mithilfe verschiedener Kennzahlen analysiert werden, sowohl vom Kunden als auch von den Teambetreuer:innen. Die Spendenden erhalten nach dem Abschluss automatisch ein SMS oder E‑Mail. Viele Organisationen nutzen ausgeklügelte digitale Kommunikation, um die neu geworbenen Mitglieder fortlaufend für ihre Anliegen zu begeistern und eine nachhaltige Bindung zu schaffen. Sollte sich dennoch jemand gegen eine Mitgliedschaft entscheiden, kann die Spende online angepasst oder storniert werden.
Die Rekrutierung der Fundraiser:innen am Infostand – der sogenannten «Dialoger:innen» – erfolgt zu einem Grossteil über zielgruppenspezifische Anzeigen auf Online-Plattformen. Für deren Ausbildung wird eine E‑Learning-Plattform genutzt.
Authentizität zählt
Mit dem Zuwachs an künstlicher Intelligenz könnte man meinen, dass menschliche Interaktionen zunehmend in den Hintergrund gedrängt werden und ausgeklügelte, messbare, kontrollierbare digitale Kommunikation überlegen ist. Doch der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Fundraising muss mit Bedacht erfolgen, da Vertrauen und Authentizität das Fundament jeder Spende bilden. KI-generierte Bilder, Texte und Videos mögen auf den ersten Blick überzeugend sein, bergen jedoch die Gefahr, eine ganze Branche in Ungnade fallen zu lassen. «Je mehr wir in technisierten Welten leben, umso höher wird das Bedürfnis nach Authentizität», sagt der Philosoph Richard David Precht sehr passend.
Spenden ist ein tiefes solidarisches und menschliches Bedürfnis, das geweckt werden muss. Ob per E‑Mail, Brief, Fernsehspot oder am Infostand, letztendlich ist es immer eine direkte Botschaft von Menschen an Menschen für Menschen. Wenn KI perfekte Spenderbriefe generieren kann, wird ihre Authentizität schnell infrage gestellt. Zum Glück gibt es noch Dialoger:innen, die mit einem Lächeln Passant:innen zum Stehenbleiben bewegen und das Spenden einfach und vertrauensvoll machen.