Gemeinnützige Stiftungen erhalten oft unentgeltliche Zuwendungen wie namentlich Schenkungen und Vermächtnisse, welche für die Stiftungen zuweilen einen sehr wichtigen Bestandteil der Stiftungsressourcen darstellen. Was die begünstigten Stiftungen dabei allerdings im Auge behalten müssen, sind die sogenannten Pflichtteile bei Erbfällen: Hinterlässt eine Person bei ihrem Tode gewisse Kategorien von Erben – die sogenannten pflichtteilsberechtigten Erben –, haben diese Anrecht auf einen Mindestanteil am Nachlass. Nur was frei verfügbar ist («frei verfügbare Quote»), kann eine Erblasserin problemlos namentlich einer Stiftung zuwenden. Wendet sie einer Stiftung hingegen zu viel zu und verletzt dadurch den Pflichtteil von Erben, sind diese Zuwendungen an die Stiftung nach Schweizer Erbrecht anfechtbar. Der im Pflichtteil verletzte Erbe kann mit einer sogenannten Herabsetzungsklage seinen Mindestanteil einfordern, und die Stiftung muss unter Umständen eine erhaltene Zuwendung zurückgeben. Die Herabsetzungsklage bezweckt nämlich, den verletzten Pflichtteil zulasten der Empfänger von lebzeitigen oder letztwilligen Zuwendungen wiederherzustellen. Auch die Errichtung einer neuen Stiftung kann anfechtbar sein, wenn die oder der jeweilige Erblasser:in dafür zu viele Mittel einsetzt und damit die Pflichtteile anderer verletzt.
Neue Regeln für Pflichtteile
Seit dem 1. Januar 2023 gelten für diese Pflichtteile neue Regeln. Mit der Neuregelung wurde nun jener Teil vergrössert, über den Erblasser:innen frei verfügen können. Somit stehen den Erblasser:innen mehr Mittel zur Verfügung, mit welchen sie mittels eines Testaments Stiftungen begünstigen, neue Stiftungen errichten oder natürlich auch Zuwendungen an andere Personen machen können, die ihnen am Herzen liegen. Bei einem Erbgang erhielten nach bisherigem Recht die Nachkommen, Ehegatten oder eingetragene:r Partner:innen – sowie unter Umständen auch die Eltern – Pflichtteile einer Erbschaft. Diese Pflichtteile betrugen 50 bis 75 Prozent des gesetzlichen Erbteils. Seit dem 1. Januar 2023 aber betragen die Pflichtteile stets nur noch 50 Prozent, und der Pflichtteil der Eltern wurde ganz abgeschafft. Die Testierfreiheit des Erblassers oder der Erblasserin wurde somit erheblich vergrössert.
Seither kann ein:e Erblasser:in nun im Minimum – statt im Maximum – stets über den halben Nachlass völlig frei verfügen, wenn Pflichtteilserbinnen und ‑erben vorhanden sind. Bei Kinderlosigkeit, aber mit überlebenden Eltern und Ehegatten, kann die oder der Erblasser:in gar mehr als die Hälfte – nämlich 5/8 – des Nachlasses frei vermachen. Überleben weder Ehegatten noch Nachkommen, ist die oder der Erblasser:in völlig frei in der Aufteilung ihres, resp. seines Nachlasses. All diese Neuerungen gelten bei jedem Erbgang seit dem 1. Januar 2023.
Zuwendungen möglichst genau bezeichnen
Verstirbt eine Person nach dem 1. Januar 2023, aber hatte sie ihr Testament bereits vor dem 1. Januar 2023 abgefasst und darin eine Stiftung als Zuwendungsempfängerin eingesetzt, ist das Testament unter Umständen nicht ganz verständlich. Denn es könnte unklar sein, wie hoch die darin enthaltene Zuwendung tatsächlich sein soll: Ist namentlich die «frei verfügbare Quote» vor oder nach der Gesetzesänderung gemeint? Je nach Auslegungsergebnis erhält die Stiftung nämlich einen bedeutend grösseren Anteil am Nachlass.
Für Erblasser:innen ist es entsprechend stets ratsam, die jeweiligen Zuwendungen in Testamenten möglichst genau zu bezeichnen. Stiftungsräte und Angestellte von Stiftungen sollten zudem bei Diskussionen mit Erblasser:innen, Willensvollstreckern oder im Extremfall als Beklagte in Ungültigkeits- bzw. Herabsetzungsverfahren jedenfalls darauf bedacht sein, dass diese Testamente zu Gunsten der Stiftung ausgelegt werden, etwa wenn im Testament von einer «Meistbegünstigung» der Stiftung die Rede ist oder bei einem Legat die Höhe «der frei verfügbaren Quote» fraglich ist. Im Zweifelsfall sollte sich eine Stiftung, die Zuwendungen erhält, juristisch beraten lassen und somit Komplikationen vermeiden.