BOS Schweiz wurde 2004 gegrĂĽnÂdet. Was genau war der Anstoss?
Zwei der drei GrĂĽnÂdungsÂmitÂglieÂder von BOS Schweiz reisÂten damals nach IndoÂneÂsien und besuchÂten rein aus privaÂtem InterÂesse die Projekte der BOS FounÂdaÂtion auf Borneo. Die OrgaÂniÂsaÂtion hatte dort gerade ödes und leicht entflammÂbaÂres GrasÂland erworÂben. Hier sollte RegenÂwald wieder aufgeÂforsÂtet und Samboja Lestari als zweite BOS-RettungsÂstaÂtion aufgeÂbaut werden.

Heute, knapp 30 Jahre und eine Million SetzÂlinge später, steht in Samboja Lestari wieder intakÂter RegenÂwald. Aufgrund schweÂrer WaldÂbrände suchÂten damals zudem sehr viele verwaiste Orang-Utan-Babys Zuflucht bei BOS. Die riesenÂgrosÂsen logisÂtiÂschen und finanÂziÂelÂlen HerausÂforÂdeÂrunÂgen, aber auch der holisÂtiÂsche Ansatz der OrgaÂniÂsaÂtion beeinÂdruckÂten ElisaÂbeth Labes und Thomas Kamm damals so sehr, dass sie beschlosÂsen, gemeinÂsam mit Reto Davatz eine PartÂnerÂorÂgaÂniÂsaÂtion in der Schweiz zu grĂĽnÂden, die mittÂlerÂweile zur grössÂten GeldÂgeÂbeÂrin der BOS FounÂdaÂtion gewachÂsen ist. Thomas Kamm fungiert bis heute als PräsiÂdent von BOS Schweiz.
Der Verein Borneo OranÂgutan SurviÂval (BOS) Schweiz setzt sich mit DorfÂgeÂmeinÂschafÂten fĂĽr die AufforsÂtung zerstörÂter RegenÂwaldÂgeÂbiete und den Erhalt der BiodiÂverÂsiÂtät ein. Weshalb die Dorfgemeinschaften?
Weil wir nicht riskieÂren können, dass die Orang-Utans, die wir mĂĽheÂvoll bis zu 10 Jahre lang auf ein Leben in der FreiÂheit vorbeÂreiÂtet haben, nach ihrer AuswilÂdeÂrung gejagt werden oder als HausÂtiere enden. Weil wir der lokaÂlen BevölÂkeÂrung AlterÂnaÂtiÂven zu illeÂgaÂlen AktiÂviÂtäÂten wie dem HolzÂeinÂschlag im SchutzÂwald bieten möchÂten. Weil es nachÂhalÂtige und alterÂnaÂtive EinkomÂmensÂquelÂlen zu einer AnstelÂlung auf einer PalmÂölÂplanÂtage oder im BergÂbau braucht, um den LebensÂraum der Orang-Utans zu erhalÂten. Und weil der ArtenÂschutz nun mal keine PrioÂriÂtät geniesst in einem Kontext von Armut und Marginalisierung.
Rund um unsere AuswilÂdeÂrungsÂgeÂbiete und RettungsÂstaÂtioÂnen arbeiÂten wir verstärkt mit IndiÂgeÂnen, deren IdenÂtiÂtät eng mit dem Wald verbunÂden ist, da sie ehemals nomaÂdisch lebten. Diese Bindung zum Wald ging aber verloÂren. Oft leben sie ausgeÂgrenzt und kämpÂfen selbst ums ĂśberÂleÂben. Dr. JamarÂtin Sihite, Chef der BOS FounÂdaÂtion in IndoÂneÂsien, fasst diese ProbleÂmaÂtik gerne so zusamÂmen: «Don’t talk conserÂvaÂtion to hungry people.» Ohne ein UmdenÂken vor Ort aber auch hier in unseÂrem KonsumÂverÂhalÂten werden wir die Orang-Utans und den RegenÂwald nicht retten können.
80 Prozent der RegenÂwälÂder Borneos sind so bereits zerstört.
Dr. Sophia Benz, GeschäftsÂleiÂteÂrin BOS Schweiz
KonnÂten Sie bereits Erfolge erzielen?
Ja, viele. Seit der GrĂĽnÂdung konnte BOS knapp 3000 Orang-Utans retten oder in sichere Gebiete umsieÂdeln, fast 500 haben wir seit 2012 wieder ausgeÂwilÂdert und wir wissen von 27 in der WildÂnis von ausgeÂwilÂderÂten Orang-Utan-MĂĽttern geboÂreÂnen Babys. Fast 5000 QuadratÂkiÂloÂmeÂter RegenÂwald stehen unter unseÂrem Schutz. Unter andeÂrem unterÂhält BOS ein eigeÂnes AuswilÂdeÂrungsÂgeÂbiet von der Grösse SingaÂpurs. Diese Zahlen spreÂchen fĂĽr sich und sind mehr als nur ein TropÂfen auf den heisÂsen Stein. Da BOS das grösste PrimaÂtenÂschutzÂproÂgramm der Welt ist, einen holisÂtiÂschen Ansatz verfolgt und den kompletÂten Zyklus von der Rettung, ĂĽber die RehaÂbiÂliÂtaÂtion bis zur AuswilÂdeÂrung abdeckt, leisÂten wir tatsächÂlich einen signiÂfiÂkanÂten Beitrag im Orang-Utan- und RegenÂwaldÂschutz. Das ist unglaubÂlich motiÂvieÂrend und ich liebe meinen Job genau aus diesem Grund.
Zudem stecken hinter all diesen nackÂten ErfolgsÂzahÂlen sehr berĂĽhÂrende EinzelÂschickÂsale, wie zum Beispiel das von Orang-Utan Suja. Sie wurde als Baby ihrer Mutter entrisÂsen, illeÂgal nach ThaiÂland geschmugÂgelt und dort in Thai-BoxkämpÂfen zur BelusÂtiÂgung der Zuschauer:innen eingeÂsetzt. Bis sie mit einiÂgen andeÂren Orang-Utans zurĂĽck nach IndoÂneÂsien gebracht werden konnte und ĂĽber 15 Jahre lang von uns auf ein Leben in der WildÂnis vorbeÂreiÂtet wurde. Auf der VorausÂwilÂdeÂrungsÂinÂsel gebar Suja ihr Baby Bella. GemeinÂsam wurden die beiden schliessÂlich 2019 in einem unseÂrer AuswilÂdeÂrungsÂgeÂbiete in die FreiÂheit entlasÂsen. Ein unglaubÂliÂcher Erfolg, wenn man die Geschichte dieses Tieres bedenkt!

Oder vor weniÂgen Wochen haben wir eine aus der Schweiz finanÂzierte SolarÂanÂlage in Betrieb genomÂmen, welche ab jetzt die komplette BOS-RettungsÂstaÂtion in Samboja Lestari mit saubeÂrem Strom versorgt. Wir sparen so jährÂlich knapp 150 000 KiloÂgramm CO2 ein und können auf 100 000 Liter Diesel verzichÂten. Das ist ein Projekt, auf das ich und mein Team sehr stolz sind.
Hinzu kommen unsere Erfolge in der Schweiz, beispielsÂweise im Bereich BildungsÂarÂbeit. Hunderte Kinder besuÂchen jährÂlich unsere Orang-Utan-WorkÂshops oder geniesÂsen unser BOS im KlasÂsenÂzimÂmer Programm. Die Kinder brenÂnen dank dieser ErfahÂrung fĂĽr den Orang-Utan‑, RegenÂwald- und KlimaÂschutz. Unser aller SchickÂsal und das SchickÂsal der Orang-Utans hängen von diesen Kindern ab.
Welche Bilanz ziehen Sie nach 16 Jahren?
Wir haben den ZeitÂpunkt ganz klar verpasst, wo es einfach geweÂsen wäre, die Orang-Utans, den RegenÂwald und letztÂlich unser WeltÂklima zu retten. Aber es ist noch nicht zu spät. Es gibt MöglichÂkeiÂten und Wege, wie wir den fataÂlen Trend noch umkehÂren oder zuminÂdest abmilÂdern können. DafĂĽr braucht es uns aber alle.
Sie sagen, ohne Orang-Utans könne der RegenÂwald nicht funkÂtioÂnieÂren. Warum ĂĽberÂnehÂmen die PrimaÂten eine SchlĂĽsselrolle?
Orang-Utans werden auch als GärtÂner des Waldes bezeichÂnet. Sie brauÂchen den RegenÂwald, aber der RegenÂwald braucht eben auch sie. Bestimmte PflanÂzen werden nur ĂĽber die Orang-Utans verbreiÂtet. Andere Samen keimen dadurch richÂtig, bezieÂhungsÂweise besser, indem sie den VerdauÂungsÂtrakt der Orang-Utans durchÂlauÂfen. Beim tagtägÂliÂchen NestÂbau und beim KletÂtern brechen Orang-Utans zudem Ă„ste ab, sodass SonnenÂlicht bis in die tiefeÂren SchichÂten des Waldes vordrinÂgen kann. Darauf sind wiederum andere PflanÂzen und Tiere angeÂwieÂsen. Von den Orang-Utans hängt so ein ganzes Ă–kosysÂtem ab. SterÂben sie aus, bricht dieses Ă–kosysÂtem zusamÂmen und letztÂlich alles andere, was daran hängt. Eine KettenÂreÂakÂtion in Sachen ArtenÂsterÂben setzt ein. Nur wenige Tiere oder PflanÂzen erfĂĽlÂlen eine vergleichÂbare SchlĂĽsÂselÂpoÂsiÂtion im Regenwald.

Orang-Utans gelten weltÂweit als geschĂĽtzte Art. Ihre LebensÂräume offenÂbar häufig nicht. Woran liegt das?
Alle drei Orang-Utan Arten, die es gibt, sind heute akut vom AussterÂben bedroht. Die weniÂgen SumaÂtra Orang-Utans, die es heute noch gibt (ca. 15 000), leben zum GrossÂteil in SchutzÂgeÂbieÂten. Auf Borneo ist die SituaÂtion umgeÂkehrt. Die MehrÂheit der noch lebenÂden wilden Borneo Orang-Utans (knapp 54 000 bis vielÂleicht 100 000) ist in GebieÂten beheiÂmaÂtet, die nicht geschĂĽtzt sind. Diese Wälder sind fĂĽr den HolzÂeinÂschlag oder die PlanÂtaÂgenÂwirtÂschaft freiÂgeÂgeÂben. Sie sind oder werden bereits zerstört oder die LizenÂzen sind vergeÂben und werden in naher Zukunft wirtÂschaftÂlich genutzt werden. KonzesÂsioÂnen werden zudem illeÂgal im Rahmen von BrandÂroÂdunÂgen erweiÂtert, die dann riesige Torf- und WaldÂbrände mit sich brinÂgen. 80 Prozent der RegenÂwälÂder Borneos sind so bereits zerstört. Da wirtÂschaftÂlich releÂvante Wälder eher in tiefeÂren RegioÂnen liegen, ist es genau der LebensÂraum der Orang-Utans, der von PalmÂölÂplanÂtaÂgen, BergÂbau (KohleÂabÂbau oder auch GoldÂmiÂnen) sowie SiedÂlunÂgen bedroht ist. Dem Orang-Utan- und RegenÂwaldÂschutz stehen also lukraÂtive wirtÂschaftÂliÂche InterÂesÂsen entgegen.
Orang-Utans werden auch als GärtÂner des Waldes bezeichÂnet. Sie brauÂchen den RegenÂwald, aber der RegenÂwald braucht eben auch sie.
Dr. Sophia Benz
Laut BOS werden allein auf Borneo bis zu 1,3 MillioÂnen Hektar RegenÂwald jährÂlich vernichÂtet. Was ist die Hauptursache?
Die ZerstöÂrung der RegenÂwälÂder auf Borneo ist eng verknĂĽpft mit der Palmöl- und HolzÂinÂdusÂtrie sowie dem BergÂbau. Palmöl befinÂdet sich in fast jedem zweiÂten SuperÂmarktÂproÂdukt, das wir konsuÂmieÂren, wird aber auch in KosmeÂtika und MediÂkaÂmenÂten verarÂbeiÂtet. Zudem wird Palmöl im grosÂsen Stil sogeÂnannÂten BiokraftÂstofÂfen beigemischt.
Palmöl befinÂdet sich in fast jedem zweiÂten SuperÂmarktÂproÂdukt, das wir konsuÂmieÂren, wird aber auch in KosmeÂtika und MediÂkaÂmenÂten verarbeitet.
Dr. Sophia Benz
Auf der Webseite von BOS heisst es: Der Mensch sei das Problem, aber auch die Lösung. Was können wir in der Schweiz aktiv tun, um den RegenÂwald und die BiodiÂverÂsiÂtät zu schĂĽtzen?
Die Menschen in der Schweiz können ihren Konsum anpasÂsen und wo es geht auf Palmöl in NahrungsÂmitÂteln verzichÂten. Das geht und ist auch nicht immer zwangsÂweise teurer. Also PizzaÂteig mit Olivenöl statt FertigÂpizza mit Palmöl kaufen. PalmÂölÂfreie SchoÂkoÂlaÂdenÂaufÂstriÂche, MĂĽslis, Seifen etc. sind mittÂlerÂweile ĂĽberÂall erhältÂlich. Bei den NahrungsÂmitÂteln muss das Palmöl zudem deklaÂriert werden und kann sich nicht mehr versteÂcken. Der Konsum von saisoÂnaÂlen und lokaÂlen ProdukÂten sowie ein geneÂrell nachÂhalÂtiÂger LebensÂstil unterÂstĂĽtzt eigentÂlich immer unser AnlieÂgen. Papier zu sparen und zu recyÂceln schĂĽtzt den RegenÂwald. Wer uns und unsere ArbeiÂtet unterÂstĂĽtzt, engaÂgiert sich ebenÂfalls fĂĽr die letzÂten Orang-Utans, den RegenÂwald und das Klima. Zum Beispiel indem eine Orang-Utan-PatenÂschaft oder Bäume fĂĽr die AufforsÂtung gespenÂdet oder per Urkunde verscheckt werden. Als Volontär:in kann man uns in der Schweiz und auf Borneo helfen. Eine gute GeleÂgenÂheit, BOS Schweiz kennenÂzuÂlerÂnen und unsere Arbeit zu unterÂstĂĽtÂzen, bietet sich gerade heute am Welt-Orang-Utan-Tag am 19. August: Ăśber die PlattÂform #RicardÂoFÂorÂGood versteiÂgern wir preisÂgeÂkrönte WildÂtier-FotoÂgraÂfien. 26 dieser ExpoÂnate können aktuÂell im RestauÂrant Hiltl an der SihlÂstrasse 28 in ZĂĽrich live bestaunt werden. Der Erlös fliesst zu 100 Prozent in unsere Projekte. Mehr InforÂmaÂtion dazu, wie man BOS Schweiz unterÂstĂĽtÂzen kann, finden sich unter www.bos-schweiz.ch oder auch www.one-tree-one-life.org.