Roger Lienhard (Bild zVg)

Blue Hori­zon: Wir erle­ben eine radi­kale Trans­for­ma­tion der Ernährung

Roger Lienhard ist Gründer und Vorsitzender von Blue Horizon. Das Unternehmen wie auch die Blue Horizon International Foundation fördert oder investiert in Ideen für ein weltweit nachhaltigeres Nahrungsmittelsystem. Damit will er zum ernährungstechnischen Wandel beitragen. Als Gönner der ETH Foundation hilft er mehr Wissen im Kampf gegen den Klimawandel zu erforschen.

Roger Lien­hard ist Gönner der ETH Foun­da­tion. In einem Inter­view der Stif­tung betont er, dass er mit seiner Unter­stüt­zung der Forschung dazu beitra­gen will, mehr Wissen um die Dring­lich­keit von Lösun­gen im Kampf gegen den Klima­wan­del zu schaf­fen. Es sollen konkrete Lösungs­an­sätze erar­bei­tet werden. Roger Lien­hard hat einen Augen­schein vor Ort vorge­nom­men. Dabei konnte er sich davon über­zeu­gen, dass Gründer*innen wie jene von Plan­ted durch die Ausbil­dung und die Forschung ins Thema hinein­ge­wach­sen seien. Er wünscht sich, dass die ETH künf­tig Unter­neh­mer­tum hinsicht­lich klima­re­le­van­ter Inno­va­tio­nen noch stär­ker fördert.

The Philanthropist: Sie haben Blue Hori­zon gegrün­det. Was waren Ihre persön­li­chen Motive?
Roger Lien­hard: Nach verschie­de­nen Firmen­grün­dun­gen im Bereich Soft­ware und IT hatte ich mit 45 Jahren genug von diesem Teil der Busi­ness­welt. Ich verkaufte meine Betei­li­gun­gen und reiste für ein Sabba­ti­cal nach Kali­for­nien. Die «Can-do»-Mentalität und der bewusste Lebens­stil in Los Ange­les sagten mir sofort zu. Als mich meine Toch­ter besuchte, entschied ich mich im Zuge eines Gesprächs mit ihr schliess­lich zum Schritt hin zur vega­nen Ernährung.

Diese Entschei­dung war lebens­ver­än­dernd für mich in verschie­de­ner Hinsicht. Nach und nach merkte ich, dass ich beim Rennen und beim Yoga leis­tungs­fä­hi­ger wurde. Je mehr ich mich über die Nahrungs­mit­tel­pro­duk­tion und die Vieh­zucht infor­mierte, desto mehr erfuhr ich über die damit verbun­dene riesige Belas­tung für Umwelt und Klima. Gleich­zei­tig suchte ich eine neue Aufgabe: Ich wollte einen posi­ti­ven Impact haben und der Gesell­schaft etwas zurück­ge­ben. Ich fing an, junge Unter­neh­men an der West­küste zu besu­chen, die an Alter­na­ti­ven zu tieri­schen Prote­inen arbei­te­ten, wie Beyond Meat und Impos­si­ble Foods. Sie servier­ten mir ihre Burger im Sitzungs­zim­mer und beteu­er­ten, dass der Unter­schied zu Fleisch bald kaum mehr wahr­nehm­bar sein würde. Damals, vor sechs Jahren, war das schwer zu glau­ben. Aber der Erfolg hat diesen Pionie­ren recht gegeben.

Sie servier­ten mir ihre Burger im Sitzungs­zim­mer und beteu­er­ten, dass der Unter­schied zu Fleisch bald kaum mehr wahr­nehm­bar sein würde. Damals, vor sechs Jahren, war das schwer zu glau­ben. Aber der Erfolg hat diesen Pionie­ren recht gegeben.

Roger Lien­hard, Blue Horizon

So ist Blue Hori­zon entstan­den. Ich begann damit, in diese Unter­neh­men zu inves­tie­ren, aber schnell wurde mir klar, dass, wenn ich den grösst­mög­li­chen posi­ti­ven Impact haben wollte, ich zusätz­li­ches Geld einset­zen müsste. Die Finanz­märkte haben eine enorme Macht und wenn man das Kapi­tal an den rich­ti­gen Orten einsetzt, kann man sprich­wört­lich die Welt verän­dern. Heute, sechs Jahre später, hat Blue Hori­zon in über fünf­zig Start-ups inves­tiert und ist mit 850 Millio­nen Dollar einge­setz­tem Kapi­tal der welt­weit grösste Inves­tor in diesem Bereich.

Wie konn­ten Sie das Unter­neh­men auf die Beine stel­len?
Wir profi­tier­ten von einem star­ken Netz­werk an Menschen und Part­nern, die 100 Prozent von unse­rer Idee eines nach­hal­ti­ge­ren Nahrungs­mit­tel­sys­tems über­zeugt sind, d.h. sie sind komplett «mission-aligned». Das war auch einer der wich­tigs­ten Fakto­ren, als ich damit begann, in Firmen in diesem Bereich zu inves­tie­ren: Die Gründer*innen müssen an ihre Sache glau­ben und die Produkte und Firmen aus den rich­ti­gen Beweg­grün­den heraus aufbauen. Ich war nicht daran inter­es­siert, in Teams zu inves­tie­ren, bei denen die finan­zi­elle Rendite im Haupt­fo­kus stand, wenn dies zu Lasten der Umwelt, des tieri­schen oder des mensch­li­chen Wohles ging. Daran hat sich nichts geän­dert, wir schauen auch heute auf die Fakto­ren Impact und Return, d.h. wir verfol­gen ein duales Mandat. Ein Invest­ment muss sich finan­zi­ell rentie­ren und gleich­zei­tig einen posi­ti­ven Impact haben.

Gab es auch Momente, in welchen Sie an Ihrer Idee gezwei­felt haben?
Da kann ich mit reinem Gewis­sen sagen, dass dies nie der Fall war! Viel­leicht hatte ich inso­fern ein biss­chen Glück, als dass ich den Bereich der alter­na­ti­ven Prote­ine zu einem Zeit­punkt für mich entdeckte, an dem es gerade so rich­tig losging bezüg­lich Entwick­lung, Inno­va­tion und Skalie­rung. Und wir sehen das bis heute. Sehen Sie sich die Regale im Migros oder Coop an: Fleisch‑, Milch- und Fischer­satz­pro­dukte wach­sen von Monat zu Monat. Deshalb ist es auch für mich so span­nend, an vorders­ter Front in diesem Bereich tätig zu sein und ich habe über­haupt keine Zwei­fel daran, dass wir erst am Anfang einer riesi­gen Food-Revo­lu­tion sind!

Sehen Sie sich die Regale im Migros oder Coop an: Fleisch‑, Milch- und Fischer­satz­pro­dukte wach­sen von Monat zu Monat.

Roger Lien­hard, Blue Horizon

Was sagen Ihre Fami­lie und Freunde über Ihre Einstel­lung zum Thema Ernäh­rung?
Ich ecke natür­lich ab und zu mit meiner Über­zeu­gung an, aber haupt­säch­lich weil ich zu 200 Prozent für meine Sache brenne. Es ist jedoch inter­es­sant zu sehen, dass Menschen, bei denen ich noch vor drei oder vier Jahren auf grosse Skep­sis gestos­sen bin, ihre Einstel­lung über­den­ken und sie teil­weise eine 180-Grad­wen­dung hinle­gen. Der riesige Trend hin zu alter­na­ti­ven Prote­in­pro­duk­ten kommt ja nicht von unge­fähr. Schluss­end­lich verkau­fen die Gross­ver­tei­ler die Produkte, die auch von den Konsu­men­ten am meis­ten nach­ge­fragt werden, d.h. Konsument*innen sind immer am länge­ren Hebel; die Nach­frage bestimmt das Ange­bot. Und hier sehen wir nun seit eini­gen Jahren, aber vor allem seit der Coro­na­krise, dass sich immer mehr Leute sehr viel stär­ker mit der Nach­hal­tig­keit unse­res derzei­ti­gen Nahrungs­mit­tel­sys­tems ausein­an­der­set­zen und zum Schluss kommen, dass es so schlicht­weg nicht mehr weiter­ge­hen kann.

Sie nennen Gesund­heit und Schutz des Plane­ten als Moti­va­tion. Spielt das Tier­wohl keine Rolle in Ihren Über­le­gun­gen?
Doch, abso­lut! Meine Ernäh­rungs­um­stel­lung wurde durch die Liebe zum Tier ausge­löst. Ich habe aber schnell reali­siert, dass eine Umstel­lung nicht nur posi­tive Effekte in Bezug auf die indus­tri­elle Tier­hal­tung, sondern eng damit verknüpft auch enorme Auswir­kun­gen auf unse­ren Plane­ten hat. Was viele weiter­hin nicht wissen, ist die Tatsa­che, dass fast ein Vier­tel der globa­len Treib­haus­gas­emis­sio­nen mit der Agrar­wirt­schaft zusam­men­hän­gen. Das ist in der Summe sogar noch mehr als die gesamte Trans­port­wirt­schaft (Autos, Flug­zeuge, Schiffe) zusam­men­ge­nom­men! Wenn Sie sich also der Umwelt zuliebe einen Tesla kaufen, so ist das gut und recht, verges­sen Sie aber nicht, dass Sie durch das Auswech­seln des Steaks auf Ihrem Teller einen noch grös­se­ren Impact haben können!

Was viele weiter­hin nicht wissen, ist die Tatsa­che, dass fast ein Vier­tel der globa­len Treib­haus­gas­emis­sio­nen mit der Agrar­wirt­schaft zusammenhängen.

Roger Lien­hard, Blue Horizon

Wie war die Reso­nanz von Seiten Spender*innen und Antragsteller*innen als Sie die Firma gegrün­det haben?
Wir haben von Beginn weg ein über­wäl­ti­gend posi­ti­ves Feed­back erhal­ten und das verstärkt sich, je länger wir in diesem Bereich tätig sind. Immer mehr Menschen werden sich bewusst, dass wir mit dem heuti­gen Nahrungs­mit­tel­sys­tem nicht weiter­ma­chen können und wir unwei­ger­lich an einen Punkt gelan­gen, wo die Welt schlicht­weg kolla­bie­ren wird. Wir sehen, dass diese Entwick­lung ja schon beginnt. Der Wech­sel hin zu einer pflan­zen- oder zell­ba­sier­ten Ernäh­rung wird enorm posi­tive Auswir­kun­gen auf die persön­li­che Gesund­heit der Menschen, das Wohl der Tiere sowie das Ökosys­tem unse­res Plane­ten haben. Diese Erkennt­nis beginnt erst gerade in der brei­ten Masse anzu­kom­men. Sie krie­gen den momen­ta­nen Hype um Ersatz­pro­dukte ja täglich haut­nah mit, wenn Sie in den Einzel­han­del einkau­fen gehen; wir sind jedoch davon über­zeugt, dass es sich nicht nur um einen Hype handelt, der nach ein paar Mona­ten oder Jahren wieder verschwin­den wird, sondern wir hier ein nach­hal­ti­ges Umden­ken miter­le­ben, eine radi­kale Trans­for­ma­tion, wie wir uns künf­tig ernäh­ren werden. 

Sie inves­tie­ren beispiels­weise in das Projekt «Live­Kindly», welches sehr erfolg­reich zu sein scheint. Was hat Sie an dieser Idee über­zeugt?
Live­Kindly ist nicht nur ein Projekt, in welches wir inves­tiert haben, wir haben uns diese Firma tatsäch­lich auf einer Power­Point-Folie «erdacht» und innert 18 Mona­ten aus der Taufe geho­ben. Warum haben wir das gemacht? Zuerst woll­ten wir in ein Unter­neh­men inves­tie­ren, welches sich zu 100 Prozent auf Flei­scher­satz­pro­dukte fokus­siert und verschie­dene Marken unter einem Dach vereint. Nur gab es das nicht. Da dach­ten wir uns, wenn es das nicht gibt, dann kreieren wir das einfach selbst! Dafür haben wir verschie­dene viel­ver­spre­chende Unter­neh­men über­nom­men und im Live­Kindly Coll­ec­tive zusam­men­ge­führt. Inner­halb von nur zwölf Mona­ten konn­ten wir über 535 Millio­nen Dollar für Live­Kindly beschaf­fen, womit das Unter­neh­men heute zu den drei höchst­ka­pi­ta­li­sier­ten Firmen im plant-based Food-Bereich gehört.

Sie sind Gönner und Inves­tor. Welche Ziele verfol­gen Sie als Gönner, die Sie als Inves­tor nicht verfol­gen können?
Es gibt Projekte, die sich nicht mone­ta­ri­sie­ren lassen und die deshalb auf die Phil­an­thro­pie ange­wie­sen sind. Das Schöne bei meiner Tätig­keit ist die Tatsa­che, dass ich meine Projekte je nach Ziel­set­zung aus verschie­de­nen Blick­win­keln verfol­gen kann. Wenn ich ein viel­ver­spre­chen­des Start-up sehe, welches eine neue Tech­no­lo­gie entwi­ckelt hat, um beispiels­weise Shrimps herzu­stel­len, dann können wir das über die Invest­ment-Stra­te­gien bei Blue Hori­zon unter­stüt­zen. Wenn ich jedoch ein sinn­vol­les Projekte sehe, worüber keine Kommer­zia­li­sie­rung möglich ist, dann kann ich das über die Blue Hori­zon Foun­da­tion fördern. Einen gemein­sa­men Nenner gibt es bei all den Projek­ten jedoch: Sie müssen skalier­bar sein! Ich bin fast ausschliess­lich an Projek­ten inter­es­siert, die sich auf verschie­dene Regio­nen und Märkte skalie­ren lassen. Nur so können wir den grösst­mög­li­chen Impact erzielen.

Gibt es ein Projekt in der Schweiz, welches Ihrer Meinung nach ein gros­ses Poten­tial mit sich bringt?
Plan­ted wäre hier ein inter­es­san­tes Beispiel, bei welchem ich denke, dass es sehr gros­ses Poten­tial mit sich bringt. Die Nach­frage nach Hühner­fleisch ist welt­weit enorm und über­all wird derzeit an Alter­na­ti­ven getüf­telt. Das Plan­ted-Poulet auf Basis von Erbsen­pro­tein ist mit Abstand das Beste, was es derzeit auf dem Markt gibt. Ich probiere nach Möglich­keit jedes Produkt, bevor ich inves­tiere, und jede Woche landen zwan­zig neue Busi­ness­pläne auf meinem Tisch; an Vergleichs­mög­lich­kei­ten fehlt es mir also nicht.

Wenn wir eines Tages an einem Punkt sind, wo unsere Kinder uns ungläu­big fragen, ob wir früher wirk­lich Tiere nur für unsere Ernäh­rung massen­weise gezüch­tet und geschlach­tet haben, dann haben wir gewonnen.

Roger Lien­hard, Blue Horizon

Unab­hän­gig vom Stand­ort Schweiz sehe ich viel Poten­tial bei Alter­na­ti­ven zu Sead­food, Poulet und Milch­er­satz. Tech­no­lo­gisch gese­hen haben pflan­zen­ba­sierte Produkte die Nase vorn. Fermen­ta­ti­ons­ver­fah­ren für Joghurt oder Käse aus pflanz­li­chen Rohstof­fen und im Labor kulti­vier­tes Fleisch werden in den nächs­ten fünf bis acht Jahren einen Durch­bruch erle­ben, wenn die tech­no­lo­gi­sche Skalie­rung möglich ist.

Was begeis­tert Sie an Ihrem Job?
Ich habe es mir zum Ziel gesetzt, die Welt in einem besse­ren Zustand zu verlas­sen. Der Bereich der Elek­tro­au­tos war quasi schon verge­ben, also helfe ich nun, die Welt der Nahrungs­mit­tel zu revo­lu­tio­nie­ren. Der Vorteil dabei: Wir haben einen noch viel grös­se­ren Impact als alle Elek­tro­fahr­zeuge welt­weit kombi­niert, wenn wir bei der Prote­in­wende erfolg­reich sind! Ich liebe es, jeden Tag meiner Passion zu folgen und diese Wende herbei­zu­füh­ren. Wenn wir eines Tages an einem Punkt sind, wo unsere Kinder uns ungläu­big fragen, ob wir früher wirk­lich Tiere nur für unsere Ernäh­rung massen­weise gezüch­tet und geschlach­tet haben, dann haben wir gewonnen.

Wie stel­len Sie sich eine Welt ganz nach Ihren Wünschen im ernäh­rungs­tech­ni­schen Aspekt vor?
Ich stelle mir eine Welt vor, in der wir bewuss­ter konsu­mie­ren und beschei­de­ner werden. Das persön­li­che Konsum­ver­hal­ten zu verän­dern, ist simpel und effek­tiv, denn am Ende produ­zie­ren Firmen das, was nach­ge­fragt wird. Die Revo­lu­tion kann somit auf dem eige­nen Teller begin­nen und wir alle haben im Schnitt jede Woche 21 Gele­gen­hei­ten, an denen wir uns für oder gegen Fleisch entschei­den können.

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