Die Klimakommunikation der vergangenen Jahre und ihre Ergebnisse haben gezeigt, dass Appelle mit Verzichtsaufrufen oder Verboten nicht das erhoffte Handeln auslösen. Der Wissenschaftsjournalist Christoph Schrader betont, dass wir die grundlegenden Probleme der Kommunikation verstehen und neue Wege suchen müssen, «mit denen wir die Menschen besser erreichen». Das gilt nicht nur für den Klimadiskurs, sondern für zahlreiche Herausforderungen. Wenn der Historiker Rutger Bregman konstatiert, dass Bewusstsein überschätzt wird und wir ins Tun kommen sollen, dann betont er zudem die Dringlichkeit; auch indem er für ausserordentlichen Impact plädiert. Auf diesem Weg des Gelingens spielen Narrative als tief verankerte Vorstellungen eine entscheidende Rolle: Sie leiten unser Denken und Handeln, sind Teil unserer Identität.
Narrative als Geburtshelfer
Narrative sind mehr als Geschichten; sie sind sinnstiftende Bedeutungsmuster, die unsere Wahrnehmung prägen. Sie geben uns das Gefühl, es richtig zu machen, auch dann, wenn sie Widersprüche kaschieren oder längst überholtes Wissen zementieren. Beispiele für Behalte-Narrative sind Leitbilder wie «Recht auf Wohlstand», «Früher war alles besser», «Wachstum ist alternativlos» oder «Die Technik wird’s schon richten». Solche Narrative in Kombination mit bekannten Biases sind wirkmächtig, sie halten uns regelmässig im Status quo zurück.
Dabei «entdecken wir überall Geschichten, weil wir überall welche finden wollen beziehungsweise finden müssen», schreiben Samira El Quassil & Friedemann Karig im viel beachteten Buch «Erzählende Affen». Unser Gehirn ist süchtig nach Narrativen. Würde es gelingen, völlig neue, positive Erzählungen zu entwickeln und anzubieten, könnten wir gesellschaftliche Entwicklungen anstossen und ermöglichen. Das haben die letztjährigen Nobelpreisträger Daron Acemoglu und Simon Johnson gerade wieder unterstrichen. Sie betonen, dass wir nicht auf Technologie und Verhaltensänderung setzen können. Wir brauchen vielmehr eine grundlegende kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung, um zukunftsfähig zu werden. Gesucht ist eine neue Metaerzählung mit ihren möglichen Zukünften, das fordert nicht zuletzt Stiftungen und den «Philanthropie»-Begriff als solchen heraus.
Neue Bilder auf der Metaebene
Denn die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind überwältigend. Gleichzeitig wächst der Eindruck, dass sich Politik und direkte Demokratie mit Lösungen schwertun. Die Beteiligung am demokratischen Prozess nimmt ab, die Polarisierung nimmt zu.
Wir sollten im Kontext von dominierenden Leiterzählungen neue wertvolle gesellschaftliche Leitideen andenken, konkretisieren und testen, damit wir uns die Chance aufs Bessere nicht verbauen. Es geht heute mehr denn je darum, dass wir als Gesellschaft ein gemeinsames Projekt haben, so formulierte es kürzlich die Ökonomin Maja Göpel. Wir sollten der Gesellschaft Angebote machen, statt dass wir uns der «Bald ist es zu spät»-Rhetorik bedienen und den Blick in die Vergangenheit richten. Damit so etwas gelingen kann, dafür braucht es vermehrt
- die Besinnung auf so etwas wie «The Big Picture», das auf die wirklich drängenden Herausforderungen und Lösungen fokussiert;
- die Möglichkeit zum grossen Experiment, ausserhalb der üblichen politischen Prozesse, um Gutes im grossen Massstab zu testen;
- ein Miteinander und eine Bündelung der Kräfte. Wir haben vor lauter Identitäts-Diskussionen vergessen, dass uns viel mehr eint als trennt.
Stiftungen sind wichtige Treiber beim Erschliessen von Möglichkeitsräumen. Sie könnten vermehrt Teil der Lösung sein, indem sie «grosse Faltungen» oder fundamentale Richtungswechsel mit anstossen. In den Worten des Klimaforschers und Physikers Anders Levermann spannt sich damit eine Welt der Vielfalt auf, wo «Grenzen nicht das Ende unseres Wohlstands sind, sondern dessen Garant.» Wir sollten die Angst vor Grenzen ablegen und innerhalb dieser (System-)Grenzen gleichzeitig möglichst vieles zulassen. Das ist die Abkehr von Verboten, Mikromanagement und Verzettelung und die Rückbesinnung auf strikte Ziele.
Die Konkretisierung von neuen Erzählungen
swissfuture fördert als Mitglied der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) die Zukunftsforschung und das Zukunftswissen in der Schweiz. Vier neu lancierte Fachgruppen nehmen sich drängenden, gesellschaftlichen Themen an; sie stehen allen Interessierten offen. Die Fachgruppe «Neue Narrative» will ein attraktives Leitnarrativ und neues Set an Erzählungen erarbeiten. Eingeladen sind auch Stiftungen, Zukunft neu zu denken und konkrete, anschlussfähige Zukunftsbilder zu entwerfen.
Wir halten fest: Stiftungen spielen bei der Förderung neuer, zukunftsfähiger Erzählungen eine gewichtige Rolle, indem sie mit ihrer Arbeit und ihren Leistungen auf ein neues «Big Picture» einzahlen können. Das bedingt die Bündelung von Kräften und die Verständigung über einen Philanthropie-Begriff, der vermutlich selbst auf dem Prüfstand der Zukunftsfähigkeit ist. Treffender als mit Joseph Beuys kann man die gemeinsame Verantwortung nicht formulieren: «Die Zukunft, die wir wollen, muss erfunden werden, sonst bekommen wir eine, die wir nicht wollen.»