Bild: Shubham Dhage, unsplash

Blog­bei­trag: Narra­tive – Brücken in die Zukünfte

Attraktive, neue Zukunftsbilder und -erzählungen fehlen. Wo gesellschaftliche Herausforderungen immer dringlicher werden, gewinnen Narrative als Leitmotive des Denkens und Handelns an Bedeutung. Der kurze Beitrag untersucht deren Rolle und formuliert Ideen, wie Stiftungen den Weg für positive Erzählungen frei machen und gesellschaftliche Veränderungen anstossen können.

Die Klima­kom­mu­ni­ka­tion der vergan­ge­nen Jahre und ihre Ergeb­nisse haben gezeigt, dass Appelle mit Verzichts­auf­ru­fen oder Verbo­ten nicht das erhoffte Handeln auslö­sen. Der Wissen­schafts­jour­na­list Chris­toph Schr­a­der betont, dass wir die grund­le­gen­den Probleme der Kommu­ni­ka­tion verste­hen und neue Wege suchen müssen, «mit denen wir die Menschen besser errei­chen». Das gilt nicht nur für den Klima­dis­kurs, sondern für zahl­rei­che Heraus­for­de­run­gen. Wenn der Histo­ri­ker Rutger Breg­man konsta­tiert, dass Bewusst­sein über­schätzt wird und wir ins Tun kommen sollen, dann betont er zudem die Dring­lich­keit; auch indem er für ausser­or­dent­li­chen Impact plädiert. Auf diesem Weg des Gelin­gens spie­len Narra­tive als tief veran­kerte Vorstel­lun­gen eine entschei­dende Rolle: Sie leiten unser Denken und Handeln, sind Teil unse­rer Identität.

Narra­tive als Geburtshelfer

Narra­tive sind mehr als Geschich­ten; sie sind sinn­stif­tende Bedeu­tungs­mus­ter, die unsere Wahr­neh­mung prägen. Sie geben uns das Gefühl, es rich­tig zu machen, auch dann, wenn sie Wider­sprü­che kaschie­ren oder längst über­hol­tes Wissen zemen­tie­ren. Beispiele für Behalte-Narra­tive sind Leit­bil­der wie «Recht auf Wohl­stand», «Früher war alles besser», «Wachs­tum ist alter­na­tiv­los» oder «Die Tech­nik wird’s schon rich­ten». Solche Narra­tive in Kombi­na­tion mit bekann­ten Biases sind wirk­mäch­tig, sie halten uns regel­mäs­sig im Status quo zurück.

Dabei «entde­cken wir über­all Geschich­ten, weil wir über­all welche finden wollen bezie­hungs­weise finden müssen», schrei­ben Samira El Quas­sil & Frie­de­mann Karig im viel beach­te­ten Buch «Erzäh­lende Affen». Unser Gehirn ist süch­tig nach Narra­ti­ven. Würde es gelin­gen, völlig neue, posi­tive Erzäh­lun­gen zu entwi­ckeln und anzu­bie­ten, könn­ten wir gesell­schaft­li­che Entwick­lun­gen anstos­sen und ermög­li­chen. Das haben die letzt­jäh­ri­gen Nobel­preis­trä­ger Daron Acemo­glu und Simon John­son gerade wieder unter­stri­chen. Sie beto­nen, dass wir nicht auf Tech­no­lo­gie und Verhal­tens­än­de­rung setzen können. Wir brau­chen viel­mehr eine grund­le­gende kultu­relle und gesell­schaft­li­che Entwick­lung, um zukunfts­fä­hig zu werden. Gesucht ist eine neue Metaer­zäh­lung mit ihren mögli­chen Zukünf­ten, das fordert nicht zuletzt Stif­tun­gen und den «Philanthropie»-Begriff als solchen heraus.

Neue Bilder auf der Metaebene

Denn die Heraus­for­de­run­gen, vor denen wir stehen, sind über­wäl­ti­gend. Gleich­zei­tig wächst der Eindruck, dass sich Poli­tik und direkte Demo­kra­tie mit Lösun­gen schwer­tun. Die Betei­li­gung am demo­kra­ti­schen Prozess nimmt ab, die Pola­ri­sie­rung nimmt zu.

Wir soll­ten im Kontext von domi­nie­ren­den Leiter­zäh­lun­gen neue wert­volle gesell­schaft­li­che Leit­ideen andenken, konkre­ti­sie­ren und testen, damit wir uns die Chance aufs Bessere nicht verbauen. Es geht heute mehr denn je darum, dass wir als Gesell­schaft ein gemein­sa­mes Projekt haben, so formu­lierte es kürz­lich die Ökono­min Maja Göpel. Wir soll­ten der Gesell­schaft Ange­bote machen, statt dass wir uns der «Bald ist es zu spät»-Rhetorik bedie­nen und den Blick in die Vergan­gen­heit rich­ten. Damit so etwas gelin­gen kann, dafür braucht es vermehrt

  • die Besin­nung auf so etwas wie «The Big Picture», das auf die wirk­lich drän­gen­den Heraus­for­de­run­gen und Lösun­gen fokussiert;
  • die Möglich­keit zum gros­sen Expe­ri­ment, ausser­halb der übli­chen poli­ti­schen Prozesse, um Gutes im gros­sen Mass­stab zu testen;
  • ein Mitein­an­der und eine Bünde­lung der Kräfte. Wir haben vor lauter Iden­ti­täts-Diskus­sio­nen verges­sen, dass uns viel mehr eint als trennt.

Stif­tun­gen sind wich­tige Trei­ber beim Erschlies­sen von Möglich­keits­räu­men. Sie könn­ten vermehrt Teil der Lösung sein, indem sie «grosse Faltun­gen» oder funda­men­tale Rich­tungs­wech­sel mit anstos­sen. In den Worten des Klima­for­schers und Physi­kers Anders Lever­mann spannt sich damit eine Welt der Viel­falt auf, wo «Gren­zen nicht das Ende unse­res Wohl­stands sind, sondern dessen Garant.» Wir soll­ten die Angst vor Gren­zen able­gen und inner­halb dieser (System-)Grenzen gleich­zei­tig möglichst vieles zulas­sen. Das ist die Abkehr von Verbo­ten, Mikro­ma­nage­ment und Verzet­te­lung und die Rück­be­sin­nung auf strikte Ziele.

Die Konkre­ti­sie­rung von neuen Erzäh­lun­gen
swiss­fu­ture fördert als Mitglied der Schwei­ze­ri­schen Akade­mie der Geis­tes- und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten (SAGW) die Zukunfts­forschung und das Zukunfts­wis­sen in der Schweiz. Vier neu lancierte Fach­grup­pen nehmen sich drän­gen­den, gesell­schaft­li­chen Themen an; sie stehen allen Inter­es­sier­ten offen. Die Fach­gruppe «Neue Narra­tive» will ein attrak­ti­ves Leit­nar­ra­tiv und neues Set an Erzäh­lun­gen erar­bei­ten. Einge­la­den sind auch Stif­tun­gen, Zukunft neu zu denken und konkrete, anschluss­fä­hige Zukunfts­bil­der zu entwerfen.

Wir halten fest: Stif­tun­gen spie­len bei der Förde­rung neuer, zukunfts­fä­hi­ger Erzäh­lun­gen eine gewich­tige Rolle, indem sie mit ihrer Arbeit und ihren Leis­tun­gen auf ein neues «Big Picture» einzah­len können. Das bedingt die Bünde­lung von Kräf­ten und die Verstän­di­gung über einen Phil­an­thro­pie-Begriff, der vermut­lich selbst auf dem Prüf­stand der Zukunfts­fä­hig­keit ist. Tref­fen­der als mit Joseph Beuys kann man die gemein­same Verant­wor­tung nicht formu­lie­ren: «Die Zukunft, die wir wollen, muss erfun­den werden, sonst bekom­men wir eine, die wir nicht wollen.»


swiss­fu­ture Fach­gruppe neue Narrative

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