Wie geschlechtsspezifische Rollenbilder, Wahrnehmungsmuster und Stereotypen abgebaut werden können.
Viele Stiftungen wünschen sich mehr Frauen in ihrem Leitungsgremium, denn der Mehrwert von «Diversity» ist mittlerweile bekannt. Doch wie gelingt die passende Ergänzung? Basierend auf unserer Erfahrung in der Gewinnung und Begleitung von Mitgliedern von Stiftungsräten sowie Vorständen, bieten wir an dieser Stelle eine Erfahrungsanalyse und konkrete Handlungsempfehlungen für vieldiskutierte Fragestellungen.
Trauen sich Frauen weniger zu?
Wir wissen aus der Sozialisationsforschung der 90er Jahre (u. a. von Marianne Horstkemper 1 ), dass sich in der Schulzeit geschlechtsspezifische Rollenbilder entwickeln. Bei den jungen Frauen gehen diese – auch bei gleich guten
Leistungen – häufig mit einem geringeren Selbstvertrauen einher. Genau diese jungen Frauen der 90er Jahre stehen heute in der Lebensmitte und sind unser «Markt an Potenzialen» für die Besetzung von Stiftungsratsmandaten. Wir tun also gut daran, qualifizierte Kandidatinnen aktiv zu ermutigen. Und wir empfehlen, in Bewerbungsgesprächen deren Selbstbeurteilung aktiv mit objektiven Leistungsbelegen und Drittbeurteilungen (z. B. Referenzen) abzugleichen, um allfälliges Understatement auszubalancieren.
Werden Kandidatinnen kritischer begutachtet?
Unserer Erfahrung nach werden Kandidatinnen bzw. deren Dossiers nicht zwingend kritischer geprüft, häufig aber mit anderen Augen betrachtet. Der Soziologe Pierre Bourdieu 2 beschrieb die Einteilung der sozialen Welt durch unsere Denk- und Wahrnehmungsmuster. Gerade die sogenannte kulturelle Zweigeschlechtlichkeit schleicht sich oft in unseren Alltag ein. Konkret unterstellen wir einer Person aufgrund ihres Geschlechts bestimmte Eigenschaften. Dies tun wir sowohl bei Männern als auch bei Frauen.3
So erleben wir, dass Kandidatinnen danach gefragt werden, «ob sie die weibliche Kompetenz» in den Stiftungsrat bringen würden, oder eine Kandidatin wird als ungeeignet beurteilt, weil sie «zu wenig weibliche Eigenschaften» aufweise. Unsere Empfehlung: Setzen Sie sich in den Findungsausschüssen mit den inneren Bildern der Geschlechterrollen bewusst auseinander. Klären Sie Ihre Erwartungen an eine künftige Stiftungsrätin oder einen künftigen Stiftungsrat. Es macht einen Unterschied, ob Sie aufgrund der «Diversity» eine Frau («sex») suchen und/oder jemanden engagieren wollen, der weiblich sozialisierte Sozialkompetenzen («gender») wie beispielsweise Empathiefähigkeit mitbringt. Denn Letztes ist eine Kompetenz, die Sie sowohl bei Männern wie auch bei Frauen finden oder eben nicht finden können. Ein Anfang kann hier die Anonymisierung des Dossiers sein: Entkoppeln Sie das CV vom Geschlecht, indem Sie beispielsweise dem Auswahlgremium Kandidierende ohne Namen oder Bild vorlegen.
Müssen Frauen in Führungspositionen wie Männer werden?
Unser gängiges Bild einer Führungskraft ist mit dem männlichen Stereotyp verbun-
den: Durchsetzungskraft, Entscheidungsfähigkeit sowie ein selbstsicherer Auftritt.
Viele Frauen, die heute auf dem Führungskräftemarkt verfügbar sind, haben jahrelange Erfahrung damit, die sogenannte «zweifache Abweichlerin» zu sein. Der Begriff stammt von der Soziologin Daniela Rastetter 4 und beschreibt das Erleben, nicht als «echte Frau» und nicht als «richtiger Leader» wahrgenommen zu werden. Erstes entsteht, weil sie eine mehrheitlich von Männern ausgeübte Funktion wahrnimmt, Zweites wenn sie andere Eigenschaften aufweist als jene der stereotypisch maskulinen Führungskraft. Glücklicherweise beobachten wir, dass sich dieses schematische Bild einer Führungskraft aufweicht. Dies erlaubt es, unabhängig des Geschlechts vielfältigere Kompetenzprofile zu gewinnen. So sind beispielsweise «Soft Skills» wie die Fähigkeit, integrativ zu wirken, in Stiftungsratsgremien zunehmend nachgefragt.
Unsere Empfehlung: Erneuern Sie Ihr Kompetenzprofil für die Stiftungsratspositionen. Müssen es stets dieselben – stereotyp männlichen – Anforderungen sein? Welche weiteren Eigenschaften können Ihren Stiftungsrat ergänzen und ihn so fit für die Zukunft machen?
1
Horstkemper, M. (1995). Schule, Geschlecht und Selbstvertrauen. Eine Längsschnittstudie über Mädchensozialisation in der Schule. Juventa-Verlag.
2
Bourdieu, P. (2005). Die männliche Herrschaft. Suhrkamp-Verlag.
3
Auf das dritte Geschlecht wird bewusst nicht eingegangen, da wir uns hier auf die gesellschaftlich konstruierte Zweigeschlechtlichkeit beziehen.
4
Rastetter, D. (2013). Sexualität und Herrschaft in Organisationen. Eine geschlechtervergleichende Analyse (Vol. 33). Springer-Verlag.