Das Migros-Kulturprozent zeigt in der Sensibilisierungskampagne «im Minus» Haushaltsbudgets, die im Minus sind: Ist Armut für Betroffene einzig eine Frage des Geldes?
Nein, Armut bedeutet weit mehr als finanzielle Knappheit. Der Umgang mit begrenzten finanziellen Mitteln ist im Alltag eine grosse Belastung. Doch ebenso schwer wiegt die soziale Dimension: Betroffene erleben Vorurteile und Ausgrenzung.
In der Sensibilisierungskampagne verwenden Sie Haushaltsbudgets. Sind diese real oder fiktiv, resp. woher stammen diese Zahlen?
Die gezeigten Budgets basieren auf realen Zahlen aus der Arbeit von Caritas Zürich.
Die dargestellten Personen stehen stellvertretend für die 1,4 Millionen armutsbetroffenen bzw. ‑gefährdeten Menschen in der Schweiz.
Kerstin Klauser, Leiterin Bereich Gesellschaft, Direktion Gesellschaft & Kultur beim Migros-Genossenschafts-Bund
Sind die Menschen hinter dem Budget-Zettel reale Betroffene?
Die dargestellten Personen stehen stellvertretend für die 1,4 Millionen armutsbetroffenen bzw. ‑gefährdeten Menschen in der Schweiz. Die gezeigten Lebenssituationen wurden in Zusammenarbeit mit Caritas Zürich erarbeitet und spiegeln reale Erfahrungen aus der Sozialberatung wider.
Weshalb haben Sie diese Lösung gewählt?
Wir hätten uns gewünscht, tatsächlich armutsbetroffene oder ‑gefährdete Menschen zu Wort kommen zu lassen. Das Thema Armut ist jedoch mit vielen Vorurteilen und Schamgefühlen behaftet. Unser oberstes Ziel war es, die Kampagne sorgfältig und verantwortungsvoll umzusetzen. Im Austausch mit mehreren Partner- und Betroffenenorganisationen haben wir uns deshalb schliesslich entschieden, die Kampagne mit Stellvertreter:innen umzusetzen.
Wie ist die Idee zur Kampagne entstanden?
Armut wird oft auf Zahlen reduziert: Prozentwerte, Einkommensgrenzen, statistische Schwellen. Diese Zahlen zeigen jedoch nicht die Gesichter und Schicksale der betroffenen Menschen dahinter. Diese Idee der Agentur Freundliche Grüsse hat uns überzeugt.
Es ist wichtig, dass alle verstehen, was es bedeutet, in der Schweiz von Armut betroffen zu sein – denn es kann jeden treffen.
Kerstin Klauser
Was ist die gesellschaftliche Herausforderung bei Armut?
Armut ist eine stille Katastrophe. Doch sie betrifft 16 Prozent der Menschen in unserem Land. Armut geschieht leise, bleibt oft unsichtbar, trifft Betroffene aber umso härter. Hinzu kommen Stigma, Scham und sozialer Ausschluss. Mit der Sensibilisierungskampagne «im Minus» will das Migros-Kulturprozent aufzeigen, dass Armut auch in einem reichen Land wie der Schweiz existiert – und dass Vorurteile die Betroffenen weiter isolieren.
Sie sprechen mit der Sensibilisierungskampagne die Allgemeinheit an. Wie kann jede:r einzelne dazu beitragen, die Teilhabe von Menschen mit Armutserfahrung zu stärken?
Die Kampagne macht Armut sichtbar und fördert den Dialog über ein tabuisiertes Thema. Unser Ziel ist es, die gesellschaftliche Solidarität zu stärken. Es ist wichtig, dass alle verstehen, was es bedeutet, in der Schweiz von Armut betroffen zu sein – denn es kann jeden treffen. Durch Offenheit und Empathie kann jede:r Vorurteile hinterfragen und so zu einem besseren Umgang mit Betroffenen beitragen.
Wie unterstützen Sie Menschen mit Armutserfahrung?
Das Migros-Kulturprozent unterstützt Projekte und Organisationen, die Hürden für Armutsbetroffene und ‑gefährdete abbauen und den Umgang mit Armut neu denken, z.B. über unsere Ausschreibung «Rein ins Netz!» zur Stärkung digitaler Kompetenzen. Diese läuft noch bis zum 31. Oktober 2025. Darüber hinaus haben wir u.a. eine mehrjährige Kooperation mit der Organisation ATD Vierte Welt, die den Dialog zwischen Menschen mit und ohne Armutserfahrung stärkt.


