Kerstin Klauser, Leiterin Bereich Gesellschaft, Direktion Gesellschaft & Kultur beim Migros-Genossenschafts-Bund, Bild: Andreas Graber

Armut ist mehr als eine Frage des Geldes

Mit der Kampagne «im Minus» macht das Migros-Kulturprozent auf die Situation von armutsbetroffenen und -gefährdeten Menschen in der Schweiz aufmerksam. Kerstin Klauser, Leiterin Bereich Gesellschaft, Direktion Gesellschaft & Kultur beim Migros-Genossenschafts-Bund, spricht über die Ziele der Kampagne, die verwendeten Zahlen und die Wahl von Stellvertreter:innen.

Das Migros-Kultur­pro­zent zeigt in der Sensi­bi­li­sie­rungs­kam­pa­gne «im Minus» Haus­halts­bud­gets, die im Minus sind: Ist Armut für Betrof­fene einzig eine Frage des Geldes?

Nein, Armut bedeu­tet weit mehr als finan­zi­elle Knapp­heit. Der Umgang mit begrenz­ten finan­zi­el­len Mitteln ist im Alltag eine grosse Belas­tung. Doch ebenso schwer wiegt die soziale Dimen­sion: Betrof­fene erle­ben Vorur­teile und Ausgrenzung.

In der Sensi­bi­li­sie­rungs­kam­pa­gne verwen­den Sie Haus­halts­bud­gets. Sind diese real oder fiktiv, resp. woher stam­men diese Zahlen?

Die gezeig­ten Budgets basie­ren auf realen Zahlen aus der Arbeit von Cari­tas Zürich.

Die darge­stell­ten Perso­nen stehen stell­ver­tre­tend für die 1,4 Millio­nen armuts­be­trof­fe­nen bzw. ‑gefähr­de­ten Menschen in der Schweiz. 

Kers­tin Klau­ser, Leite­rin Bereich Gesell­schaft, Direk­tion Gesell­schaft & Kultur beim Migros-Genossenschafts-Bund

Sind die Menschen hinter dem Budget-Zettel reale Betroffene?

Die darge­stell­ten Perso­nen stehen stell­ver­tre­tend für die 1,4 Millio­nen armuts­be­trof­fe­nen bzw. ‑gefähr­de­ten Menschen in der Schweiz. Die gezeig­ten Lebens­si­tua­tio­nen wurden in Zusam­men­ar­beit mit Cari­tas Zürich erar­bei­tet und spie­geln reale Erfah­run­gen aus der Sozi­al­be­ra­tung wider.

Weshalb haben Sie diese Lösung gewählt?

Wir hätten uns gewünscht, tatsäch­lich armuts­be­trof­fene oder ‑gefähr­dete Menschen zu Wort kommen zu lassen.  Das Thema Armut ist jedoch mit vielen Vorur­tei­len und Scham­ge­füh­len behaf­tet. Unser obers­tes Ziel war es, die Kampa­gne sorg­fäl­tig und verant­wor­tungs­voll umzu­set­zen. Im Austausch mit mehre­ren Part­ner- und Betrof­fe­nen­or­ga­ni­sa­tio­nen haben wir uns deshalb schliess­lich entschie­den, die Kampa­gne mit Stellvertreter:innen umzusetzen. 

Wie ist die Idee zur Kampa­gne entstanden?

Armut wird oft auf Zahlen redu­ziert: Prozent­werte, Einkom­mens­gren­zen, statis­ti­sche Schwel­len. Diese Zahlen zeigen jedoch nicht die Gesich­ter und Schick­sale der betrof­fe­nen Menschen dahin­ter. Diese Idee der Agen­tur Freund­li­che Grüsse hat uns überzeugt.

Es ist wich­tig, dass alle verste­hen, was es bedeu­tet, in der Schweiz von Armut betrof­fen zu sein – denn es kann jeden treffen. 

Kers­tin Klauser

Was ist die gesell­schaft­li­che Heraus­for­de­rung bei Armut?

Armut ist eine stille Kata­stro­phe. Doch sie betrifft 16 Prozent der Menschen in unse­rem Land. Armut geschieht leise, bleibt oft unsicht­bar, trifft Betrof­fene aber umso härter. Hinzu kommen Stigma, Scham und sozia­ler Ausschluss. Mit der Sensi­bi­li­sie­rungs­kam­pa­gne «im Minus» will das Migros-Kultur­pro­zent aufzei­gen, dass Armut auch in einem reichen Land wie der Schweiz exis­tiert – und dass Vorur­teile die Betrof­fe­nen weiter isolieren.

Sie spre­chen mit der Sensi­bi­li­sie­rungs­kam­pa­gne die Allge­mein­heit an. Wie kann jede:r einzelne dazu beitra­gen, die Teil­habe von Menschen mit Armut­s­er­fah­rung zu stärken?

Die Kampa­gne macht Armut sicht­bar und fördert den Dialog über ein tabui­sier­tes Thema. Unser Ziel ist es, die gesell­schaft­li­che Soli­da­ri­tät zu stär­ken. Es ist wich­tig, dass alle verste­hen, was es bedeu­tet, in der Schweiz von Armut betrof­fen zu sein – denn es kann jeden tref­fen. Durch Offen­heit und Empa­thie kann jede:r Vorur­teile hinter­fra­gen und so zu einem besse­ren Umgang mit Betrof­fe­nen beitragen.

Wie unter­stüt­zen Sie Menschen mit Armutserfahrung?

Das Migros-Kultur­pro­zent unter­stützt Projekte und Orga­ni­sa­tio­nen, die Hürden für Armuts­be­trof­fene und ‑gefähr­dete abbauen und den Umgang mit Armut neu denken, z.B. über unsere Ausschrei­bung «Rein ins Netz!» zur Stär­kung digi­ta­ler Kompe­ten­zen. Diese läuft noch bis zum 31. Okto­ber 2025. Darüber hinaus haben wir u.a. eine mehr­jäh­rige Koope­ra­tion mit der Orga­ni­sa­tion ATD Vierte Welt, die den Dialog zwischen Menschen mit und ohne Armut­s­er­fah­rung stärkt.

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