Thomas Gander, Stiftungsratspräsident Louise Aubry-Kappeler-Stiftung, Bild: zVg.

Armut hat immer wieder neue Gesichter

Die Louise Aubry-Kappeler-Stiftung feiert ihr 70-Jahre-Jubiläum. Zu diesem Anlass vergibt sie an drei Organisationen aus Basel je 70’000 Franken pro Jahr über die kommenden drei Jahre. Stiftungsratspräsident Thomas Gander erläutert den Bewerbungsprozess. Er spricht über Handyvideos, Oral Reporting und Strukturförderung.

The Philanthropist: Louise Aubry-Kappe­ler wollte vor 70 Jahren mit der Stif­tungs­grün­dung das Leid von Menschen in Not lindern. Diese Woche hat der Bund bekannt gege­ben, dass die Armuts­quote in der Schweiz bei 8,1 Prozent liegt. Bleibt  Armut ein unlös­ba­res gesell­schaft­li­ches Problem?

Thomas Gander: Die Situa­tion verän­dert sich stän­dig. Armut und Not haben immer wieder neue Gesich­ter. Die Louise Aubry-Kappe­ler-Stif­tung prüft rund 600 Gesu­che für Einzel­fall­un­ter­stüt­zung pro Jahr. Die Behand­lung dieser Fälle ergibt ein gutes Bild, wo unsere Gesell­schaft gerade steht. In diesem Winter haben wir eine starke Verän­de­rung fest­ge­stellt. Für eine Aussage zu einer Tendenz ist es zwar noch verfrüht. Aber wir haben von Januar bis März eine starke Zunahme der Gesu­che fest­ge­stellt gegen­über der Vorjah­res­pe­ri­oden. Im 2025 gingen bisher 50 Prozent mehr Gesu­che ein als im 2024. Dies bei einer im Kanton Basel-Stadt sinken­den Sozialhilfequote.

Wir haben uns deswe­gen bewusst für eine Struk­tur­fi­nan­zie­rung entschieden.

Thomas Gander, Stif­tungs­rats­prä­si­dent der Louise Aubry-Kappeler-Stiftung

Die Louise Aubry-Kappe­ler-Stif­tung unter­stützt norma­ler­weise Einzel­fälle. Weshalb wollen Sie für das Jubi­läum gezielt Orga­ni­sa­tio­nen fördern?

Wir stehen mit vielen Orga­ni­sa­tio­nen in Kontakt. Der Gross­teil der Gesu­che erreicht uns über Orga­ni­sa­tio­nen. Dadurch erfah­ren wir, was ihre Heraus­for­de­run­gen sind. Diese hängen mit der allge­mei­nen Stif­tungs­po­li­tik zusam­men. Viele Stif­tun­gen suchen inno­va­tive Projekte, die sich gut kommu­ni­zie­ren lassen. Wir haben uns deswe­gen bewusst für eine Struk­tur­fi­nan­zie­rung entschie­den. Diese ist weni­ger attrak­tiv, aber wich­tig. Wir hören hier ein gros­ses Bedürf­nis und können damit den Orga­ni­sa­tio­nen etwas Luft bei ihrer wich­ti­gen Arbeit verschaf­fen. Gene­rell scheint mir, dass bei der Förde­rung das Pendel von Projekt­för­de­rung wieder eher Rich­tung Struk­tur­för­de­rung schlägt.

Der Gross­teil der Gesu­che erreicht Sie über Orga­ni­sa­tio­nen. Wie arbei­ten Sie mit diesem Netz­werk zusammen?

Rund 60 Prozent der Unter­stüt­zungs­ge­su­che betref­fen Menschen, die bereits in einem Bera­tungs­kon­text stehen. Die Gesu­che errei­chen uns über die bera­ten­den Orga­ni­sa­tio­nen. Dadurch entsteht ein enger Austausch zwischen den Mitar­bei­ten­den unse­rer Stif­tung und diesen Orga­ni­sa­tio­nen. Dieser fach­li­che Austausch ist uns wich­tig. Ohne diesen Dialog würde die Stif­tung schwe­ben. Wir besu­chen regel­mäs­sig auch eine Orga­ni­sa­tion, die bei uns Gesu­che einreicht. So lernen wir sie direkt kennen und können uns persön­lich austau­schen. Für uns ist das moderne Stif­tungs­ar­beit: Wir suchen die Koope­ra­tion und den Dialog statt, dass wir «nur» Geld spre­chen und ein Zahlen-Control­ling verlangen.

Wir wollen ein nieder­schwel­li­ges Ange­bot, das gerade jüngere Orga­ni­sa­tio­nen in ihrer Entwick­lung unter­stützt, sei dies beispiels­weise im Fund­rai­sin­g­pro­zess, der Finanz­pla­nung oder der Teamentwicklung. 

Thomas Gander

Ab 2026 wollen Sie Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lungs­bei­träge spre­chen. Wie kam die Wahl dieses Förder­schwer­punkts zustande?

Diese Idee wurde an uns heran­ge­tra­gen. Wir haben sie nicht selbst gesucht. Alleine schon die Ankün­di­gung dieser Förde­rung hat aber eine grosse Reso­nanz ausge­löst. Noch arbei­ten wir an der genauen Umset­zung. Aber wir wollen ein nieder­schwel­li­ges Ange­bot, das gerade jüngere Orga­ni­sa­tio­nen in ihrer Entwick­lung unter­stützt, sei dies beispiels­weise im Fund­rai­sin­g­pro­zess, der Finanz­pla­nung oder der Team­ent­wick­lung. Zu diesem Zweck stel­len wir ihnen finan­zi­elle Mittel zur Verfü­gung. Auch sind wir am Prüfen, ob wir ihnen einen Pool von Expert:innen für den Prozess zur Verfü­gung stel­len. Ab 2026 sollte dieses Ange­bot greifen.

Für die Jubi­lä­ums­bei­träge verlan­gen Sie ein Handy­vi­deo zur Bewer­bung. Was ist der Vorteil für Sie gegen­über einem rein schrift­li­chen Dossier?

Wir haben gerade diese Woche eine Info­ver­an­stal­tung zum Verga­be­pro­zess durch­ge­führt. 15 Orga­ni­sa­tio­nen haben teil­ge­nom­men. Es zeigte sich, dass die Bewer­bungs­form erstaunt, aber gut ankommt. Das Handy­vi­deo erfüllt zwei Aspekte: Wir woll­ten ein neues Medium nutzen und gleich­zei­tig sollte es nieder­schwel­lig blei­ben – es soll ein Handy­vi­deo von drei Minu­ten sein und kein profes­sio­nel­les Video.

Mehr braucht es nicht?

Dazu verlan­gen wir ein Gesuchs­for­mu­lar mit fünf Fragen und Zeichen­be­gren­zung. Das ist die Einstiegs­tür. Der Stif­tungs­rat wird aus den Einga­ben sechs Orga­ni­sa­tio­nen auswäh­len, die zu einem Gespräch einge­la­den werden. Wir wählen diese Form, damit sich Stif­tung und Orga­ni­sa­tion auf Augen­höhe begeg­nen können. Geplant ist, dass wir dann jedes Jahr ein Oral Report­ing durch­füh­ren werden. Zusam­men mit einer exter­nen Bera­tung sind wir daran, diesen Prozess zu entwickeln.

Stif­tun­gen soll­ten dage­gen ihre Möglich­kei­ten nutzen, dass sie sich auch einmal irren dürfen.

Thomas Gander

Das heisst, die Orga­ni­sa­tio­nen müssen auf diese Weise über die Verwen­dung der Gelder berichten?

Das Report­ing wird vermut­lich nicht per Video, sondern in einem Gespräch vor Ort statt­fin­den. Im Stif­tungs­rat sitzen auch Fach­per­so­nen. Sie kennen die Situa­tion, wenn man ein Gesuch stellt. Ehrli­cher­weise müsste man zuge­ben, dass wenn für ein Gesuch ein aufwän­di­ges Konzept und lange Formu­lar verlangt wird, die Mitar­bei­ten­den der Stif­tun oder der Stif­tungs­rat oft die Ressour­cen gar nicht haben, um diese Einga­ben fundiert auszu­wer­ten. Stif­tun­gen müssen einen Weg finden – auch für ihre eigene Wirkungs­kraft – wie sie die Gesu­che seriös prüfen können und die Förde­rung gleich­zei­tig nieder­schwel­lig zugäng­lich bleibt. Auch beim Bund oder beim Kanton zeigen sich Tenden­zen, dass Einga­ben komple­xer werden und mehr Zahlen­ma­te­rial verlangt wird. Aller­dings geschieht dies zum Teil auf poli­ti­schen Druck hin. Stif­tun­gen soll­ten dage­gen ihre Möglich­kei­ten nutzen, dass sie sich auch einmal irren dürfen.

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