Wie kam es zur Spezialisierung auf Knochenbrüche und deren Heilung?
Dies ist auf eine historische Leistung schweizerischer Chirurgen in den 1960er Jahren zurückzuführen, die die Unfallchirurgie weltweit revolutioniert haben. Statt Gips mit Traktion wurden Implantate verwendet, die den Aufenthalt im Spital von 14 Wochen auf weniger als eine Woche verkürzten. Gleichzeitig reduzierte sich in der Schweiz die Invalidität, die gemäss SUVA 40 Prozent aller Bruchbehandlungen mit sich zog. Kosten wurden gespart und Leiden verringert. In dieser Zeit wurde die AO Stiftung gegründet, aus der im Dezember 2014 die AO Alliance hervorging.
Letztere befasst sich mit Unfallproblemen in ärmeren Ländern. Weitgehend unbekannt ist nämlich die Tatsache, dass jährlich immer noch schätzungsweise vier Millionen Menschen an Unfallfolgen, wegen mangelnder Behandlung sterben und jährlich 30 Millionen Verletzte mit dauernden körperlichen Behinderungen weiterleben müssen. 90 Prozent davon befinden sich in ärmeren Ländern. Millionen kann geholfen werden. Da setzt die Tätigkeit der AO Alliance an.
Wo sehen Sie den grössten Hebel, um die Behandlung von Knochenbrüchen zu verbessern?
Durch die Ausbildung von Unfallchirurg:innen vor Ort, um genügend nachhaltige Kapazität aufzubauen, sodass beispielsweise afrikanische Chirurg:innen auch als Instruktor:innen ihre afrikanischen Kolleg:innen ausbilden. Das heisst, Hilfe vor Ort aus eigenen Kräften. Dazu braucht es vor allem (mehr) Geld und klare Kenntnisse der lokalen Probleme.
Heute erhalten Unfallbehandlungen etwa 40 mal weniger Geld als ansteckende Krankheiten (Tuberkulose, Malaria, HIV). Dies trotz des Umstandes, dass bei Letzteren 30 Prozent weniger Todesfälle registriert werden.
Sie arbeiten gemeinsam mit Partnerinnen wie der Johnson & Johnson Foundation. Wie gestaltet sich diese Zusammenarbeit?
Die Johnson & Johnson Foundation ist ein verlässliche Unternehmenspartnerin, die uns die Umsetzung wichtiger Projekte überträgt, die eine bessere Behandlung von Unfallopfern ermöglicht. Diese Programme entwickeln wir gemeinsam für Länder niedrigen Einkommens. Beispielsweise begann die Zusammenarbeit für das auf drei Jahre ausgelegte Weiterbildungsprojekt in West Afrika (WATEP) im Jahre 2019. Der Zugang und die Qualität der Behandlung werden durch WATEP in Nigeria, Ghana und der Elfenbeinküste verbessert, um insbesondere dauernde Invalidität zu vermeiden. Dies geschieht vor allem durch die spezialisierte Ausbildung der Chirurg:innen und dem Operationspflegepersonal.
Aufbauend auf dem Erfolg des WATEP Programms hat sich die Partnerschaft weiter entwickelt. So wurde 2022 in Malawi ein dreijähriges Programm zur besseren Behandlung von Frakturen lanciert.
Wie arbeiten Sie mit den jeweiligen Gesundheitsbehörden vor Ort zusammen?
Der Name Alliance ist Omen. Wir arbeiten mit allen lokalen und internationalen Partnern eng zusammen, die einen komplementären Beitrag zur Lösung der Probleme beitragen können. Dazu gehören die Gesundheitsbehörden, lokale und regionale Chirurgenorganisationen und Spitäler, die bei allen unseren Bedürfnisabklärungen involviert sind. Wir fügen unsere Aktivitäten in die jeweiligen nationalen Gesundheitspläne ein. Geld fliesst keines zu staatlichen Stellen. Wir finanzieren die Projekte direkt.
Welche Rolle spielen traditionelle Heilmethoden für die Verletzten vor Ort?
Viele Menschen in Subsahara-Afrika vertrauen auf traditionelle Heiler und deren medizinische Grundversorgung, auch bei Frakturen. In Ghana, wo unser Programm auch stattfindet, sind es zwischen 50 – 70 Prozent. Oft sind die Patient:innen Kinder. Häufig enden die traditionellen Behandlungen von Knochenbrüchen leider mit ernsten Komplikationen und haben Amputationen, dauernde körperliche Behinderungen oder Tod zur Folge. Die drastischsten Auswirkungen tragen Kinder und junge Erwachsene im erwerbsfähigen Alter, weil sie invalid werden. Da die Kapazität der Spitäler weit unter dem notwendigen Minimum liegt, um Knochenbrüche adäquat behandeln zu können, steckt enormes Potential in der Ausbildung von sogenannten «Knochenschlossern». Die AO Alliance ist eine der wenigen Organisationen, welche traditionellen Heilern proaktiv einfache Behandlungsmethoden lehrt und zur Vermeidung gravierender Fehler beiträgt. Gerne können Sie mehr erfahren über das AOA Programm zur Schulung von traditionellen Heilern in Ghana auf der Plattform der Stiftung Schweiz.
Welches sind die grössten Schwierigkeiten vor Ort?
Krankenhäusern in Subsahara-Afrika mangelt es meist an adäquater medizinischer Ausstattung und an speziell für die Behandlung von Frakturen geschultem Personal, dies betrifft sowohl Chirurg:innen des Fachbereiches Trauma und Orthopädie als auch das Operationspflegepersonal. Beispielsweise haben in Ghana, abgesehen von Universitätsspitälern, nur wenige Krankenhäuser eine Fachabteilung für Trauma und Orthopädie (T&O). 2021 gab es nur 52 T&O Chirurgen für die über 30 Millionen Einwohner:innen Ghanas, in Malawi sind es heute nur 13 T&O Chirurgen für 19 Millionen Menschen. Zudem sind orthopädische Implantate sehr teuer. Die häufig von Armut betroffenen Patient:innen in öffentlichen Krankenhäusern verschulden sich weiter, um solche Implantate bezahlen zu können oder müssen den Krankenhausaufenthalt verlängern, da sie sich die Durchführung der notwendigen Operation nicht leisten können. Deswegen legen wir bei der Ausbildung ein Schwergewicht auf konservative Behandlungsmethoden, die keinen besonderen chirurgischen Eingriff bedürfen.
Inwiefern hilft das weltweite Netzwerk?
Unser globales Netzwerk ermöglicht Handeln vor Ort ohne kostspielige Reisen und Massnahmen von der Schweiz aus. Afrikaner:innen kümmern sich um afrikanische Probleme, Asiat:innen um asiatische Probleme. Diese sind oftmals spezifischer Natur und in unseren Breitengraden kaum noch bekannt. Mit unserem Einsatz bei der Ausbildung der lokalen Dozent:innen haben wir genau das erreicht. Zwischen 2015 und 2021 haben wir über 25000 Arbeitende des Gesundheitswesens und 260 Dozent:innen aus‑, und weitergebildet. Letztere bewirken eine nachhaltige lokale Entwicklung. Alle von uns ausgebildeten Chirurg:innen und Dozent:innen sind im Land geblieben.
Wie lange gibt es die gemeinnützige Stiftung AO Alliance Foundation.
Die AO Alliance wurde im Dezember 2014 — als Nachfolgeorganisation des früheren «AO Socio Economic Committee», welches 1990 seine Arbeit begann — gegründet. Bald haben wir unser achtjähriges Bestehen, aber können uns auf eine 30-jährige Erfahrung stützen.
Welches sind Ihre Schwerpunktländer?
Wir sind in 26 Ländern geringen und mittleren Einkommens in Subsahara-Afrika und in acht Ländern Asiens aktiv. In Afrika sind unsere Schwerpunktländer Ghana, Malawi, Äthiopien, Burkina Faso und Gambia. In Asien konzentrieren wir unsere Aktivitäten auf Kambodscha, Nepal und Bangladesch.
