Anspre­chen lernen

Menschen auf ihr Wohlbefinden ansprechen. Viele wissen nicht, wie sie helfen können. Das Programm ensa lehrt, wie man Menschen in Krisen anspricht und unterstützt. Psychische Erste Hilfe kann Leben verändern. Mit einfachen Methoden und praktischen Übungen vermittelt ensa, was im Ernstfall zu tun ist.

Ihr Bruder hat als Zeuge einen schlim­men Auto­un­fall erlebt und ist seit­her sehr schreck­haft und gereizt. Er hat aufge­hört, Auto zu fahren, und arbei­tet nun, wenn immer möglich, im Home­of­fice. Ihre Arbeits­kol­le­gin zieht sich immer mehr zurück, macht häufig zyni­sche Kommen­tare, hält keine Dead­lines mehr ein und kommt häufig zu spät, obwohl sie früher immer sehr zuver­läs­sig war. Ihr Mann­schafts­kol­lege wirkt im Basket­ball­trai­ning in letz­ter Zeit stän­dig erschöpft, macht sich Sorgen um aller­lei Dinge, die ihm und seiner Fami­lie zustos­sen könn­ten, und riecht immer öfter nach Alko­hol. Was würden Sie in diesen Fällen tun? Würden Sie die Ihnen nahe­ste­hen­den Perso­nen auf Ihre Beob­ach­tun­gen und ihr Wohl­be­fin­den anspre­chen? Falls ja – wann, wo und mit welchen Worten? Und woher wissen Sie, ob über­haupt Anlass zur Sorge besteht oder ob sie nur gerade eine schwie­rige Phase durch­ma­chen und sich alles von alleine wieder einren­ken wird?

Die meis­ten von uns würden gerne helfen, wenn es jeman­dem aus unse­rem Umfeld nicht gut geht. Doch viele wissen nicht, wie. Was wir tun müssen, wenn jemand bewusst­los auf der Strasse liegt, eine Kolle­gin am Mittags­tisch zu ersti­cken droht oder der Nach­bar sich mit der Säge geschnit­ten hat und stark blutet, das haben die meis­ten von uns im Nothel­fer­kurs gelernt. Seiten­lage, Ampel­schema, GABI oder ABCD: Im Takt von «Ah, ha, ha, ha, stayin’ alive, stayin’ alive!» übt jede Person, die in der Schweiz gerne Auto fahren möchte, die Herz-Lungen-Wieder­be­le­bung. Dass es drin­gend notwen­dig und eigent­lich ganz banal ist, auch Erst­hel­fer­kurse für psychi­sche Probleme anzu­bie­ten, fiel dem austra­li­schen Psycho­lo­gie­pro­fes­sor Tony Jorm und der Pfle­ge­fach­frau Betty Kitche­ner, die selbst lange an schwe­ren Depres­sio­nen litt, vor über 20 Jahren ein. Sie grün­de­ten darauf­hin das Programm Mental Health First Aid, welches mitt­ler­weile von Austra­lien aus in die ganze Welt verbrei­tet wurde und in über 30 Ländern verfüg­bar ist.

Seit 2019 in der Schweiz

Seit 2019 ist das Programm auch in der Schweiz verfüg­bar und trägt hier­zu­lande den Namen ensa. Die Stif­tung Pro Mente Sana erwarb die Lizenz für das inter­na­tio­nal aner­kannte Programm und konnte die Kurse mit gross­zü­gi­ger Unter­stüt­zung der Beis­heim Stif­tung, welche auch heute noch stark ins Programm invol­viert ist, lancie­ren. Nicht nur die Idee, dass Laien helfen lernen, ist dem ensa Kurs und dem bekann­ten physi­schen Nothel­fer­kurs gemein­sam. Auch das Format ähnelt: Der Kurs lebt von prak­ti­schen Übun­gen – in diesem Fall sind das nicht Beatmun­gen oder Druck­ver­bände, sondern Rollen­spiele und Kommu­ni­ka­ti­ons­übun­gen, in denen Gesprä­che in Situa­tio­nen wie den eingangs erwähn­ten konkret geübt werden.

ROGER

Auch die für Laien einfa­che und klare Hand­lungs­emp­feh­lung nach Schema hat im ensa Kurs ein Äqui­va­lent: Mit der Abkür­zung ROGER lässt sich memo­ri­sie­ren, welche Aspekte in ein Erste-Hilfe-Gespräch für psychi­sche Gesund­heit einflies­sen soll­ten – wobei die Reihen­folge bis auf den ersten Buch­sta­ben keine Rolle spielt. Die folgen­den Beispiele geben einen klei­nen Einblick in die Möglich­kei­ten und Schwer­punkte des Erste-Hilfe-Gesprächs, wie sie im ensa Kurs gelehrt werden:

Reagiere: anspre­chen, einschät­zen, beistehen

Über­haupt zu reagie­ren, auf jeman­den zuzu­ge­hen und die Person auf eine wert­schät­zende Art anzu­spre­chen, ist wahr­schein­lich der schwie­rigste – gleich­zei­tig aber der wich­tigste – aller Schritte. Dabei sollte man sich über­le­gen, welcher Ort und welcher Zeit­punkt dafür güns­tig sind, und die Vertrau­lich­keit des Themas respek­tie­ren. Hat man als Ersthelfer:in erst­mal das Gespräch gesucht, merkt man oft, dass Betrof­fene froh sind, darüber spre­chen zu können.

Offen und unvor­ein­ge­nom­men zuhö­ren und kommunizieren

Psychi­sche Erkran­kun­gen sind noch immer mit einem gros­sen Stigma behaf­tet. Wich­tig ist deshalb vor allem, wert­frei zu kommu­ni­zie­ren. Sie finden, ihr Bruder soll sich am Riemen reis­sen und wieder aus dem Haus gehen? Ihr Mann­schafts­kol­lege ist ein Alki, der sich gehen lässt? Über­den­ken Sie Ihre eigene Haltung, bevor Sie jeman­den anspre­chen. Psychi­sche Schwie­rig­kei­ten haben nichts mit Schwä­che oder Faul­heit zu tun und sind sehr ernst zu nehmen. Wenn Sie Ihrem Gegen­über und seiner Situa­tion möglichst vorur­teils­frei begeg­nen, können Sie viel besser zuhören.

Gib Unter­stüt­zung und Information

Psychi­sche Erkran­kun­gen sind genauso verbrei­tet wie körper­li­che Erkran­kun­gen und kein Rand­grup­pen-Phäno­men. Jede zweite Person in der Schweiz erkrankt im Verlauf ihres Lebens einmal an einer psychi­schen Erkran­kung. Diese sind behan­del­bar und oft auch heil­bar. Sie haben nichts mit Willens­schwä­che zu tun. Erklä­ren sie Ihrem Gegen­über diese Fakten – sie wirken aufklä­rend, entstig­ma­ti­sie­rend und machen Mut.

Ermu­tige zu profes­sio­nel­ler Hilfe

Erklä­ren Sie der Person, welche Möglich­kei­ten und Hilfs­an­ge­bote es gibt. Dazu gehö­ren neben der Psycho­the­ra­pie auch nieder­schwel­lige Anlauf­stel­len wie Hausärzt:innen und anonyme Tele­fon­be­ra­tun­gen. Eine grosse Hilfe können auch Peers sein, Expert:innen aus eige­ner Erfah­rung mit psychi­schen Erschütterungen.

Reak­ti­viere Ressourcen

«Was tut dir gut, wo oder bei wem tankst du Kraft?» Die Antwor­ten auf solche Fragen sind so indi­vi­du­ell wie hilf­reich. In schwie­ri­gen Phasen helfen bewährte Stra­te­gien, Nega­tiv­spi­ra­len zu durch­bre­chen und Heraus­for­de­run­gen besser zu bewältigen.

Lernen auch Sie, wie Sie auf Nahe­ste­hende zuge­hen können, wenn es ihnen nicht gut geht. Jede:r kann als Teil der Gesell­schaft dazu beitra­gen, Leid zu vermin­dern und Leben zu retten.


Dalit Jäckel-Lang, ensa Erste Hilfe für psychi­sche Gesundheit

Leite­rin des schweiz­wei­ten Programms ensa Erste Hilfe für psychi­sche Gesund­heit und Geschäfts­lei­tungs­mit­glied der Schwei­ze­ri­schen Stif­tung Pro Mente Sana. Sie hat Sozial- und Wirt­schafts­psy­cho­lo­gie in Basel und Stras­bourg studiert und promo­vierte zum Thema beruf­li­cher und fami­liä­rer Über­gänge. Pro Mente Sana ist eine unab­hän­gige Orga­ni­sa­tion für psychi­sche Gesund­heit in der Schweiz. Sie ist Anlauf­stelle für Menschen mit einer psychi­schen Beein­träch­ti­gung, deren Ange­hö­rige und Fachpersonen.

Das Programm ensa «Erste Hilfe für psychi­sche Gesund­heit» ist die Schwei­zer Version des austra­li­schen Programms «Mental Health First Aid», das bereits 2000 entwi­ckelt wurde. Das Programm ensa wurde in der Schweiz von der Stif­tung Pro Mente Sana mit Unter­stüt­zung der Beis­heim Stif­tung im Jahr 2019 lanciert. Absolvent:innen dieser Kurse sind Ersthelfer:innen für psychi­sche Gesund­heit. Heute zählen die ensa Kurse bereits über 20’000 Teil­neh­mende.

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