Die meisten hielten es bestenfalls für einen Witz: Eine 86 Millionen Dollar Spende – diesem Wert entsprachen 5057 Bitcoin 2017 – angekündigt über einen kurzen Social-Media-Post bei Reddit. Absender: ein User mit dem Pseudonym Pine. Immerhin zur Motivation gab Pine etwas preis:
«Bitcoin has changed my life, and I have far more money than I can ever spend. My aims, goals, and motivations in life have nothing to do with having XX million or being the mega rich. So I’m doing something else: donating the majority of my bitcoins to charitable causes. I’m calling it 🍍 The Pineapple Fund.»
Trotz Zweifel an der Echtheit dieser Aktion bewarben sich tausende Organisationen aus der ganzen Welt. Und tatsächlich: Nur wenige Monate später meldete Pine Vollzug. Zwar sackte der Bitcoin-Kurs zwischenzeitlich ab, weshalb die endgültige Spendensumme geringer ausfiel als erwartet. Doch noch immer wurden 55 Millionen Dollar an insgesamt 60 Organisationen vergeben. Fundraiser aus allen Ländern verstanden ihre Welt nicht mehr: Was war da gerade passiert?
Der Pineapple Fund markierte den Startschuss für eine neue Form philanthropischen Engagements mittels Kryptowährungen. In der DACH-Region häufig noch als nerdige Spielerei abgetan und belächelt, sind Spenden in Form von Kryptowährungen in Ländern wie Grossbritannien oder den Vereinigten Staaten inzwischen zu einem multi-milliarden Dollar Spendenmarkt angewachsen. Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum statt wie üblich Euros oder Dollars zu spenden, wer kommt eigentlich auf solch eine Idee?
2 Prozent der User halten 71 Prozent der Bitcoins
Pine ist einer jener Überzeugungstäter, die früh an die digitalen Währungsalternativen glaubten und einstiegen. «Wale» werden sie im Krypto-Universum genannt. Gemeint sind User, die mehr als 1000 Bitcoin halten. Ein grosser Teil des gesamten Bitcoin-Kapitals konzentriert sich bei dieser relativ überschaubaren Gruppe. Konkrete Zahlen sind aufgrund der Pseudonymität der Blockchain nicht einfach zu erheben. Schätzungen gehen aber davon aus, dass etwa 2 Prozent der User gut 71 Prozent aller Bitcoins halten. Damit haben Kryptowährungen quasi aus dem Nichts ungeheure Vermögen geschaffen – eine Entwicklung, die spätestens seit dem Wahlsieg von Donald Trump und der ungeheuren Kursrallye des Bitcoin weiter an Fahrt aufnimmt. Es sind Vermögen, an dem gemeinwohlorientierte Organisationen noch viel zu selten partizipieren.
Das wohl grösste Problem liegt derweil auf der Empfängerseite: Gerade einmal eine Handvoll an Organisationen sind überhaupt in der Lage, Kryptowährungen als Spende anzunehmen. Demgegenüber steht eine ungleich grössere Geberseite – auch und gerade in der DACH-Region. Einer Untersuchung des Wirtschaftssoziologe Koray Caliskan zufolge ballen sich die Halter von Kryptowährungen in fünf Ländern: USA, Niederlande, Australien, Frankreich und Deutschland. Neueste Studien gehen davon aus, dass allein in Deutschland über neun Millionen Menschen Kryptowährungen besitzen (12 Prozent der Bevölkerung), in Österreich sind es 1,3 Millionen (14 Prozent), in der Schweiz sogar rund 1,9 Millionen (21 Prozent). Warum schafft es der gemeinnützige Sektor nicht, dieses ungenutzte Potenzial zu mobilisieren?
Das Potenzial von Kryptospenden ist gross
Was der Entwicklung eines aktiven Kryptospenden-Ökosystems im Weg steht, sind vor allem drei Dinge:
Fehlendes Wissen: Mangelnde Kenntnisse zu und im Umgang mit Kryptowährungen sind sicherlich die grösste Hürde, die Gemeinnützige von der Annahme von Kryptospenden abhält. Noch immer bestimmen Vorurteile das Bild von Kryptos. (Oder was haben Sie gedacht, als Sie auf dieser Seite zum ersten Mal das Wort «Kryptowährungen» lasen? Geld für Verbrecher vielleicht? Bitcoin, die Umweltsau?) Es lohnt sich, tiefer in die Materie einzusteigen, um eine fundierte Entscheidung für oder auch gegen Kryptospenden treffen zu können.
Rechtliche Unsicherheiten: Kryptowährungen sind – gerade in der gemeinnützigen Welt – eine relativ neue Finanzierungsquelle, deren rechtliche Bewertung durchaus einige Schwierigkeiten aufwirft. Das betrifft etwa Sorgfaltspflichten basierend auf Geldwäscheregularien oder den Umgang mit anonymen Spenden. Zudem befindet sich der Kryptosektor mitten in der Regulierung. Insbesondere die 2025 in Kraft tretende MiCA (Markets in Crypto-Assets Regulation) der Europäischen Union ist ein wichtiger Schritt hin zu einem regulierten und rechtssicheren Kryptomarkt.
Das jedoch sollte Stiftungen und andere gemeinwohlorientierte Organisationen nicht reflexartig davon abhalten, sich diesem Thema anzunähern. Die Möglichkeit der rechtssicheren Annahme ist – wenn auch zuweilen etwas umständlich – auch heute schon gegeben.
Mutige Vorbilder: Es gibt sie bereits: diejenigen Organisationen, die schon seit Jahren Kryptospenden annehmen und sogar aktiv nach ihnen fundraisen – teils mit enormem Erfolg. Dazu zählen Sea-Watch, SOS-Kinderdörfer weltweit oder Sea Shepherd. Auch PHINEO hat sich in diesem Jahr für die Annahme geöffnet. Weitere kommen zwar langsam, aber stetig hinzu. Dennoch gibt es noch immer viel zu wenige Organisationen, die sich an das Zukunftsthema heranwagen und mit gutem Beispiel voran gehen.
Eine Nische zum Besetzen
Bisher sind Kryptospenden zweifelsohne eine Nische auf dem Fundraising-Markt. Doch es gibt gute Gründe anzunehmen, dass sich dies in Zukunft ändern wird. Kryptowährungen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, gerade bei jüngeren Bevölkerungsgruppen. Zudem etablieren sie sich immer mehr als neue Assetklasse, und das sowohl bei privaten als auch bei Institutionellen Investoren. Das wiederum trägt langfristig zu einer strukturellen Stärkung des Ökosystems bei.
Auf absehbare Zeit werden Kryptos also nicht verschwinden. Gemeinnützige Organisationen, die sich schon heute mit dem Thema beschäftigen und den ersten Schritt zur Einrichtung einer Spendenwallet gehen, stellen die Finanzierung der eigenen Organisation auf ein neues Standbein und machen sie fit für die Zukunft. Und nicht nur das: Wer frühzeitig anfängt, profitiert von First-Mover-Effekten. Denn noch trifft ein hohes Spendenpotenzial auf einen relativ kleinen Kreis an Empfängerorganisationen.
In diesem Licht betrachtet, war der bis dato einmalige Akt des Gebens durch den Pineapple-Fund mehr als eine grosszügige Spende: Er war der Start einer neuen digitalen Form des Gebens.
Ex post fand der bis heute anonym gebliebene Spender – oder die Spenderin – eine originelle Erklärung für die Namensgebung: «Eine Ananas schmeckt köstlich, aber wer zu viel davon isst, bekommt eine wunde Zunge. Die Lösung ist einfach: Man muss sie mit anderen teilen.» Dieses Geheimnis, dass das Teilen und (Ab)Geben die Freude verdoppelt und nicht halbiert, kennt die Philanthropie seit jeher. Es könnte auch den neuen Krypto-Philanthropen gefallen. Und das «Internet-Geld» den Organisationen.