Sigrid Lüber, Gründerin OceanCare in ihrem Büro in Wädenswil, Bild: Esther Michel

Alles begann mit einem magi­schen Moment

Heute Abend, 22. Mai 2025, erhält Sigrid Lüber in Luzern den Hans Erni Preis 2025 für ihr Lebenswerk. Der Preis zeichnet fortschrittlich denkende und handelnde Personen aus, die für Gerechtigkeit und Frieden einstehen, sich für die Erhaltung einer gesunden Umwelt einsetzen und nachhaltig gesellschaftlicher Fragen annehmen. Der Preis wird zum vierten Mal vergeben, die Preissumme beträgt 50'000 Franken. Vor 36 Jahren hat sie sich dem Meeresschutz verschrieben und OceanCare gegründet. Lüber machte OceanCare zu einer international anerkannten Meeresschutzorganisation. 2011 erhielt OceanCare den Status einer UNO-Sonderberaterin für Meeresfragen.  

The Philanthropist: Sie erhal­ten für Ihr Lebens­werk den dies­jäh­ri­gen Hans Erni Preis. Sehen Sie ihn als Auszeich­nung für das Erreichte oder ist er mehr Ansporn, weiterzumachen?

Sigrid Lüber: Für mich ist der Preis beides. Er zeich­net Menschen aus, die fort­schritt­lich denken und handeln. Und er geht an Menschen, die sich für Gerech­tig­keit und für den Erhalt einer gesun­den Umwelt einset­zen. Diese Auszeich­nung zu erhal­ten, bedeu­tet mir sehr viel. Auch weil ich mit Hans Erni einmal persön­lich in Kontakt war und ich diese Begeg­nung sehr wert­voll fand.

Wann war das?

Seine Litho­gra­fie «Mensch und Delphin» bringt eine Symbiose zwischen Mensch und Delfin zum Ausdruck, wie es in einer harmo­ni­schen Gemein­schaft wünschens­wert wäre. 2007 haben wir mehrere Kunst­dru­cke von Hans Erni erhal­ten. Damit unter­stützte er den Meeres­schutz, denn der Erlös des Verkaufs floss in unsere Projekte. Damals waren wir noch eine kleine Orga­ni­sa­tion mit einem Budget von knapp 400’000 Fran­ken. Der Kontakt mit Hans Erni war wahn­sin­nig schön. Dass ich nun diesen Preis erhalte, ist eine grosse Ehre für mich. 

Der Hans Erni Preis wird uns anspor­nen, uns noch mehr für den Schutz der Meere zu engagieren.

Sigrid Lüber, Grün­de­rin OceanCare

Gerech­tig­keit und Umwelt sind die Themen, für die Sie sich mit Ocean­Care einsetzen.

Es ging mir von Anfang an auch um Gerech­tig­keit; Gerech­tig­keit für die Tier­welt und die Meeres­welt. Und ich wollte etwas Konkre­tes bewir­ken und auf der Ebene der Gesetz­ge­bung etwas verän­dern.  Diese Ebene bietet den gröss­ten Hebel für Verän­de­rung, beson­ders auch für klei­nere Orga­ni­sa­tio­nen. Der Hans Erni Preis wird uns anspor­nen, uns noch mehr für den Schutz der Meere zu enga­gie­ren, die für uns alle so wich­tig sind. Das Preis­geld von 50’000 Fran­ken wird in ein Projekt zur Eindäm­mung der Plas­tik­ver­schmut­zung flies­sen – in der Schweiz und welt­weit. Ein Anlie­gen, das Hans Erni sicher unter­stützt hätte. Über den Wasser­kreis­lauf sind wir alle mit den Meeren verbun­den. Über Flüsse und Seen gelan­gen Nähr- und Schad­stoffe in die Meere.

Die Schweiz kann also auf ihrem eige­nen Gebiet Verant­wor­tung für den Meeres­schutz übernehmen?

Ganz genau. Wir haben auch ein Umwelt­ge­setz. Mit diesem könnte der Bundes­rat unnö­ti­ges Einweg­plas­tik, das für die Umwelt schäd­lich ist, verbie­ten. Nur wurde der entspre­chende Geset­zes­ar­ti­kel in den letz­ten 40 Jahren noch nie ange­wen­det. Und dies, obschon es bereits mehr als 70 Vorstösse im Parla­ment gab, um das Plas­tik­pro­blem in der Schweiz endlich anzu­ge­hen. Der Bundes­rat glaubt immer noch, dass die Wirt­schaft dies regeln werde. Wir sind der Meinung, dass die Plas­tik­in­dus­trie hier in die Pflicht genom­men werden muss.

Bild: Dolphin Biology & Conservation

Plas­tik, Unter­was­ser­lärm oder Tief­see­berg­bau – ist der Meeres­schutz heute komple­xer als vor 30 Jahren, als die Rettung von Delfi­nen und Walen im Fokus stand?

In letz­ter Zeit sind viele neue Gefah­ren für das Meer hinzu­ge­kom­men. Aber noch haben viele Menschen die roman­ti­sche Vorstel­lung, dass wir für alle Probleme eine tech­ni­sche Lösung finden werden, ohne dass wir unsere Lebens­weise anpas­sen oder verän­dern müss­ten. Denn das fällt uns allen schwer. Ich hatte mich aller­dings schon früh um Themen geküm­mert, die nicht Main­stream waren. Beispiels­weise habe ich schon 1997 das Gesund­heits­ri­siko durch den Walfleisch­kon­sum thema­ti­siert. Ich war die erste, die das Thema vor der Inter­na­tio­na­len Walfang­kom­mis­sion IWC einge­bracht hat. Ich war über­zeugt, dass weni­ger Wale gejagt würden, wenn wir Ländern wie Norwe­gen, Island oder Japan, etc. aufzei­gen können, dass der Verzehr von Walfleisch schäd­lich ist. Weil Wale zuoberst an der Nahrungs­kette stehen, ist ihr Fleisch teil­weise stark mit Schad­stof­fen belastet.

Wie sind Sie vorgegangen?

In Japan haben wir mit der Konsu­men­ten­schutz­or­ga­ni­sa­tion Safety First zusam­men­ge­ar­bei­tet. Jeden Monat haben sie als sehr kleine Orga­ni­sa­tion einen Vortrag an einer Univer­si­tät über das Gesund­heits­ri­siko des Walfleisch­kon­sums gehal­ten, mit dem Resul­tat, dass nach nur einem Jahr aufgrund dieses neuen Verständ­nis­ses rund 60 Prozent weni­ger Walfleisch konsu­miert wurde.

Ich habe immer versucht, Hebel zu finden, statt Fron­ten aufzubauen.

Sigrid Lüber

Das ist Ihr Ansatz.

Ich habe immer versucht, Hebel zu finden, statt Fron­ten aufzubauen.

Das hat funktioniert?

Ja, wir haben uns auch für mehr Trans­pa­renz und gegen den Stim­men­kauf einge­setzt und erreicht, dass Mitglie­der­bei­träge und Teil­nah­me­ge­büh­ren nicht mehr bar, sondern über ein offi­zi­el­les Regie­rungs­konto bezahlt werden muss­ten. So konnte die Praxis unter­bun­den werden, dass Japan kleine Insel­staa­ten oder Entwick­lungs­län­der zur Teil­nahme an der Walfang­kom­mis­sion einge­la­den hat, und für Wort­mel­dun­gen die den Walfang unter­stütz­ten, Entwick­lungs­hilfe im Fische­rei­sek­tor erhiel­ten. Ich habe mit diesen Länder­ver­tre­tern gespro­chen und ihnen erklärt, dass es ein Menschen­recht sei, die eigene Meinung zu bilden und zu äussern. 

Sigrid Lüber, Bild: Esther Michel

Ein weite­res Thema für das ich mich schon vor 20 Jahren einge­setzt habe, war die Parti­zi­pa­tion der Zivil­be­völ­ke­rung – einem Bereich, in dem es sehr viel Will­kür gab. Unsere Analyse wurde als Refe­renz­do­ku­ment in einer Arbeits­gruppe, die sich mit den Rech­ten und Pflich­ten der NGOs befasste. Wo früher sogar Brie­fings vom Sekre­ta­riat frei­ge­ge­ben werden muss­ten, können heute NGOs zu allen Trak­tan­den Wort­mel­dun­gen einbrin­gen. Aber es stimmt, es sind heute so viele neue und drin­gende Themen wie Tief­see­berg­bau, Geoen­gi­nee­ring und viele mehr hinzu­ge­kom­men. Deswe­gen ist es gut, dass wir heute ein Team von ausge­wie­se­nen Expert:innen in Meerespo­li­tik und Wissen­schaft haben.

Es fühlte sich an wie die Ewig­keit. Es gibt diese Momente im Leben, in denen man denkt, jetzt ist alles erfüllt. 

Sigrid Lüber

Was hat Sie damals zu diesem Schritt bewegt?

Es war auf einem Tauch­gang im Indi­schen Ozean. Ich war mit meinem Mann, er war Tauch­leh­rer, im Wasser. Während des ganzen Tauch­gangs hörten wir Delphine. Aber wir sahen sie nicht. Am Ende unse­res Tauch­gangs signa­li­sierte mir mein Mann, dass wir ins Blaue, weg vom Riff schwim­men soll­ten. Und plötz­lich tauchte vor uns eine Gruppe von 50 bis 60 Delphi­nen auf. Die Tiere schwam­men auf uns zu und teil­ten sich um uns. Dieser Moment hat mich verzau­bert. Es fühlte sich an wie die Ewig­keit. Es gibt diese Momente im Leben, in denen man denkt, jetzt ist alles erfüllt. 

Darauf­hin haben Sie Ocean­Care gegründet?

Nach dem Auftau­chen sagte ich meinem Mann: Ich will mich im Meeres­schutz enga­gie­ren, für diese Tiere, für diesen Lebens­raum. Zurück in der Schweiz sprach ich mit meinem Chef und sagte, dass ich die Arbeits­zeit redu­zie­ren müsse. Teil­zeit­ar­beit war damals noch keine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Dennoch konnte ich mein Pensum auf 80 Prozent reduzieren. 

Gab es nie Frus­tra­tio­nen und das Gefühl, dass das Enga­ge­ment gar nichts bringt?

Nein. Nur nichts machen bringt nichts. Ich war privi­le­giert, dass ich meine Beru­fung umset­zen und die dafür notwen­dige  Unter­stüt­zung gene­rie­ren konnte. Zu Beginn hatte ich noch alles selbst bezahlt, zum Beispiel die Teil­nah­men an Walfang­kon­fe­ren­zen. 1993 fand diese Konfe­renz in Kyoto statt. Eine Reise nach Japan war damals zu teuer. Meine Coif­feuse erzählte mir von einer Frau in Klos­ters, die sich für Tiere einsetzt. Ihr schrieb ich, und sie finan­zierte mir die Reise. Dafür habe ich ihr einen ausführ­li­chen Report verfasst, über die inten­si­ven Verhand­lun­gen bis hin zu den Tages­ab­läu­fen über meine Arbeit vor Ort. Mein Enga­ge­ment für den Meeres­schutz habe ich nie bereut. Aber ich war ja auch nicht allein. Wir arbei­ten im Team, mit all den Menschen, die mich in den vergan­ge­nen 36 Jahren und 4 Mona­ten unter­stützt haben. Und seit ich die Geschäfts­lei­tung im Januar 2022 an Fabi­enne McLel­lan über­ge­ben konnte, ist für mich jeder Tag ein High­light. Ich bin stolz und glück­lich zu sehen wie sich Ocean­Care weiterentwickelt.

Dass mein Lebens­werk weiter­geht, dass es in den aller­bes­ten Händen ist, ist ein Traum, der wahr gewor­den ist.

Sigrid Lüber

Fiel es Ihnen leicht, die Verant­wor­tung zu übergeben?

Es ist mir ziem­lich leicht­ge­fal­len. Schon 2014, als Fabi­enne bei uns ange­fan­gen hat, sah ich sie als meine desi­gnierte Nach­fol­ge­rin. 2016 beglei­tete sie mich das erste Mal an eine inter­na­tio­nale Konfe­renz. 2018 war ich das letzte Mal mit dabei. Darauf­hin über­gab ich ihr den Bereich Inter­na­tio­nale Zusam­men­ar­beit – das Herz­stück unse­rer Orga­ni­sa­tion. Dass mein Lebens­werk weiter­geht, dass es in den aller­bes­ten Händen ist, ist ein Traum, der wahr gewor­den ist. Ich habe mich auch schon im Vorfeld damit ausein­an­der­ge­setzt, da ich mich ja stark über Arbeit, Erfolg und Leis­tung defi­niert habe. Als Präsi­den­tin bin ich immer noch ein Teil der Orga­ni­sa­tion, aber ich bin nicht mehr die, die Erfolge einfährt, sondern aus dem Hinter­grund dazu beiträgt. 

Aber Sie sind noch aktiv?

Ich werde im Herbst 70 Jahre alt. Ich war lange im Arbeits­le­ben. Und auch jetzt bin ich noch 80 Prozent für Ocean­Care tätig. Ich kümmere mich um die Anlie­gen unse­rer Unterstützer:innen. Diese Nähe zur Basis gefällt mir. Und ich werde auch immer wieder um meine Meinung zu stra­te­gi­schen Über­le­gun­gen gefragt.

Was waren die schöns­ten Momente in diesen Jahren?

Es gab viele dieser Momente, etwa wenn das Walfang­mo­ra­to­rium – das jedes Mal auf der Kippe stand – bestehen blieb. Der schönste Moment war jedoch, als mich das UNO-Seerechts­ab­kom­men um Empfeh­lun­gen für eine Konfe­renz zum Unter­was­ser­lärm bat, welche für 2018 geplant war. Ich konnte Input zur Beset­zung von unter­schied­li­chen Fach­pa­nels geben. Es wurden sogar zwei Expert:innen von Ocean­Care von der UNO ausge­wählt. Das war einer der gröss­ten Momente.


Ocean­Care-Grün­de­rin Sigrid Lüber.
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