Seit Anfang 2022 verantworten Sie «ici. gemeinsam hier.» Was fasziniert Sie an diesem Förderprogramm?
Das Programm fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Begegnung auf Augenhöhe. Dieses Anliegen ist mir wichtig, da ich durch meine Geschichte auch oft mit Vorurteilen konfrontiert bin. Mit der ersten Ausschreibung, die wir im Herbst 2021 durchgeführt und im April 2022 kommuniziert haben konnten wir eine Vielzahl an Projekten fördern, die sich in diesem Feld engagieren. Die Vielfalt ist riesig. Sie reicht von einer interkulturellen Bibliothek für Kinder, über Wandergruppen und Sportclubs bis hin zum Mentoring bei der beruflichen Integration. Es ist faszinierend zu sehen, wie viele Menschen sich ehrenamtlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Zusammenleben in unserem Land engagieren.
Wie sehen die Teams hinter diesen Projekten aus?
Es sind hauptsächlich Vereine mit ehrenamtlich tätigen Mitgliedern, und zwar sowohl lokale wie auch zugezogene. Das war eine der Bedingungen, die wir an die Gesuchstellenden gemacht haben. Wir haben aber auch ganz bewusst Ideen von Teams gefördert, die erst lose organisiert sind. Gezielt haben wir bei der Auswahl lokal verankerte Initiativen berücksichtigt. Vor allem kleine Vorhaben liegen uns am Herzen, auch wenn wir Projekte von grossen Organisationen im Programm haben.
Es ist faszinierend zu sehen, wie viele Menschen sich ehrenamtlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Zusammenleben in unserem Land engagieren.
Angela Zumbrunn, Programmleiterin «ici. gemeinsam hier.»
Arbeitet jedes Team für sich oder fördern Sie auch das Netzwerk?
Ja, unbedingt. Zum offiziellen Start des Programms haben wir im Juni 2022 in Bern einen Vernetzungsanlass durchgeführt. Dabei haben wir ein starkes Bedürfnis nach Austausch und dem Kennenlernen von Best Practices gespürt. Den nächsten Anlass für 2023 sind wir am planen. Auch auf unserer Webseite sind alle 92 Projekte mit einem Steckbrief zu finden. So können die Initiant:innen nach Projekten in ihrer Region oder einem der drei Förderschwerpunkte suchen.
Waren die Projektteams bezüglich Organisationsform frei?
Eine Bedingung war, dass ein hoher Teil der Umsetzung ehrenamtlich erfolgt. Und eine zweite Vorgabe war, dass die Projekte in interkulturellen Teams umgesetzt werden. Wir wollten nicht den üblichen «Helferansatz» von Personen mit einem privilegierten Hintergrund fördern, sondern ganz bewusst divers zusammengesetzte Projektteams, in welchen die Menschen, die von den Aktivitäten profitieren, selbst mitarbeiten. Das stellt sicher, dass deren Bedürfnisse aufgenommen werden und alle ihr Potential einbringen können.
Werden die Projektteams diesem Anspruch gerecht?
Ja. Es ist in der Tat gelungen, sehr divers zusammengesetzte Teams zu fördern. Das freut mich ganz besonders.
Weshalb dieser Fokus auf Migration?
Ein solches Programm ist aktuell und relevant, nicht nur mit Blick auf die aus der Ukraine geflüchteten Menschen. Die Idee dafür entstand ja lange vor dem Krieg. Die Schweizer Integrationslandschaft ist zwar bereits relativ dicht und Bund und Kantone decken viele Bereiche ab. Doch es gibt noch Lücken. So gibt es Menschen, die durch das Netz der Integrationsarbeit der Behörden fallen. Wir wollen diese Lücken schliessen und nicht parallele Angebote aufbauen. Dank dem Austausch mit unseren Programm-Partner:innen können wir uns gut abstimmen.
Mit den geförderten Projekten helfen Sie nun, diese Lücken zu füllen. Zeigen sich Schwerpunkte bei den bearbeiteten Themen?
Wir haben im Vorfeld der Ausschreibung drei Förderschwerpunkte definiert. Die meisten Projekte wurden zu interkulturellen Begegnungen im Alltag eingereicht. Das sind bspw. offene Treffpunkte, bei denen alle willkommen sind oder auch spezifische Treffpunkte für Mütter mit ihren kleinen Kindern oder für Jugendliche.
Welches sind die anderen beiden Schwerpunkte?
Ein zweiter Schwerpunkt behandelt das Thema der beruflichen Perspektive für Erwachsene. Das kann bspw. ein Mentor:innen-Programm sein, das Orientierung und Zugang zu einem beruflichen Netzwerk ermöglicht. Um zu verhindern, dass es ein soziales Gefälle in diesen Tandems gibt, haben wir insbesondere Projekte gefördert, in denen die Mentor:innen zugewanderte Menschen sind. Sie waren einst mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert, als sie in die Schweiz kamen und können nun ihre Erfahrungen weitergeben. Gemeint sind zum Beispiel Erwachsene, die schon über eine Ausbildung in ihrem Heimatland verfügen, aber nicht wissen, wie sie am schnellsten im hiesigen Arbeitsmarkt Fuss fassen können.
Wir wollen herausfinden, wie eine Begegnung auf Augenhöhe verläuft, welches Potenzial Menschen mit einer Migrationsgeschichte haben und wie dieses optimal genutzt werden kann.
Angela Zumbrunn, Programmleiterin «ici. gemeinsam hier.»
Der dritte Schwerpunkt fokussiert auf Projekte zum Thema mehrsprachiges Aufwachsen vor dem Kindergarteneintritt. Hier geht es vor allem darum, Eltern und andere Bezugspersonen dabei zu begleiten, die Herkunftssprachen wertzuschätzen. Oft ist der Druck sofort Deutsch zu lernen sehr gross. Hier wollen wir bewusst die Erstsprachen in den Fokus setzen. Wir haben festgestellt, dass es deutlich mehr solcher Projekte in der Westschweiz gibt als in der Deutschschweiz.
Kennen Sie die Gründe?
Im Rahmen der Begleitforschung wird die Pädagogische Hochschule St. Gallen versuchen, dies herauszufinden.
Sie begleiten das Projekt wissenschaftlich?
Wir haben in zwei der drei Förderschwerpunkte eine Begleitforschung initiiert. Neben der erwähnten Mehrsprachigkeit lassen wir auch die interkulturelle Begegnung erforschen. Wir wollen herausfinden, wie eine Begegnung auf Augenhöhe verläuft, welches Potenzial Menschen mit einer Migrationsgeschichte haben und wie dieses optimal genutzt werden kann. Besonders interessant ist die Arbeit mit sogenannten Schlüsselpersonen. Wir haben festgestellt, dass auch Projektinitiant:innen mit Schlüsselpersonen aus der Community, die sie erreichen wollen, arbeiten und diese als Brückenbauer:innen einsetzen.
Der erste Prorammzyklus läuft. Wenn ich jetzt noch ein Projekt habe, kann ich dieses noch einreichen?
Die zweite Ausschreibung erfolgt im Frühjahr 2023. Was wann bei uns läuft, können Interessierte einfach über unsere Webseite und Social-Media-Kanäle verfolgen.
Programm für den gesellschaftlichen Zusammenhalt
Mit dem Programm «ici. gemeinsam hier.» fördert Migros-Engagement seit 2022 Projekte, die sich für ein solidarisches und chancengleiches Zusammenleben in der Schweiz einsetzen. Das Förderprogramm will neue Ansätze im Bereich der sozialen Integration fördern und zum Nachahmen inspirieren. Ausgewählte Projekte werden über zwei Jahre finanziell gefördert und können fachlich begleitet werden. Partner:nnen des Programms sind die Eidgenössische Migrationskommission EKM, die Konferenz der Integrationsdelegierten (KID), die Schweizerische Konferenz der Fachstellen für Integration KoFI und die Tripartite Konferenz TK.