Vor 60 Jahren wurde die SAKK (Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung) gegründet. Was war der Auslöser?
Damals war die Onkologie noch viel weniger fragmentiert als heute. Chefärzte deckten den ganzen Bereich ab. Gleichzeitig realisierten die Forschenden, dass Forschung in einem Spital alleine nicht sinnvoll betrieben werden kann. Um belastbare Resultate zu erhalten und ersten Patient:innen die Möglichkeit der Teilnahme an einer klinischen Studie zu bieten, muss man sich in der Schweiz zusammenschliessen. Die Grundidee war: Klinische Forschung – nicht Grundlagenforschung – in der Schweiz voranzutreiben. Aus diesem Antrieb wurde die SAKK gegründet. Typisch Schweizerisch. Dezentral und Bottom up.
Weshalb kommt nun der Namenswechsel?
Als die SAKK gegründet wurde, entstanden in vielen Ländern National Cancer Institutes. Es hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass gerade im internationalen Austausch der Name SAKK oft nicht verstanden wird. Nach dem Vorbild der nationalen Cancer Institutes im Ausland heissen wir jetzt Swiss Cancer Institute – clinical research for a cure tomorrow. Das Swiss bringt unsere nationale Verankerung zum Ausdruck und mit dem clinical betonten wir, dass wir klinische und nicht Grundlagenforschung betreiben. Das Institute steht im Namen, weil alle Universitätsspitäler dazugehören und wir einen offiziellen staatlichen Auftrag haben.
Das ist die Kernidee des Swiss Cancer Institute: akademische, nicht gewinnorientierte klinische Forschung aller Krebsarten.
Vincent Gruntz, CEO Swiss Cancer Institute
Weshalb braucht es Ihr Engagement, den Einsatz einer nicht gewinnorientierten Organisation überhaupt? Ist Krebs als gesamtgesellschaftliches Thema für die Privatindustrie nicht attraktiv genug?
Wir müssen unterscheiden zwischen kommerzieller profitorientierter Krebsforschung. Hat ein Unternehmen ein neues Molekül entwickelt und erforscht dessen Wirkung in der Krebsbehandlung, macht ein Unternehmen dazu klinische Studien. Aber ganz viele Fragen bleiben unbeantwortet, die kein kommerzielles Interesse abdecken. Diese will das Swiss Cancer Institute mit klinischen Studien beantworten.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Es gibt bspw. Patientengruppen wie jene mit Nebenerkrankungen. Sie entsprechend der klinischen Realität. In den Studien der Pharmaindustrie sind sie nicht abgedeckt. Oder gerade auch Therapieoptimierungsstudien sind typische Beispiele.
Therapieoptimierungsstudien macht die Industrie nicht?
Ein Beispiel: Die Pharmaindustrie hat in der eigenen Studie eine gewisse Dosierung untersucht. Mit der Erfahrung zeigt sich, dass mit einer tieferen Dosierung dieselben guten Resultate erzielt werden. Aktuell läuft bspw. eine grosse Studie zu einem Medikament für Knochenkrebs. Sie soll aufzeigen, dass die Abgabe alle drei Monate gleich gut wirkt, wie eine monatliche Abgabe. Für eine solche Studie gibt es in der Industrie kein Interesse. Das ist die Kernidee des Swiss Cancer Institute: akademische, nicht gewinnorientierte klinische Forschung aller Krebsarten. Und da wir nicht gewinnorientiert sind, erhalten wir auch Gelder des Bundes.
Wir haben heute mindestens sechs Studien in der Pipeline mit dem Potenzial, jährlich bis zu 50 Millionen Franken Gesundheitskosten einzusparen.
Vincent Gruntz
Wo liegt die Herausforderung bei der Finanzierung ihrer Studien?
Viele klinische Studien finden heute nicht mehr in der Schweiz statt. Hier wollen wir einspringen. Das ist nicht einfach. Die Gelder des Bundes werden weniger. Aber klinische Forschung braucht im Gegensatz zu Grundlagenforschung mehr Zeit und Ressourcen. Ausserdem brauchen wir mehr Visibilität. Wir stehen in Konkurrenz mit anderen Organisationen, die im Namen der Krebsforschung auftreten. Allerdings sind wir in der Schweiz die einzige Organisation, die in dieser Breite und zusammen mit allen führenden Krebskliniken wirklich klinische Krebsforschung betreibt. Wir haben einen Leistungsauftrag des Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation. Bei uns sind alle Universitätsspitäler und die führenden kantonalen Spitäler Mitglied. Das ist entscheidend, weil bis zu 80 Prozent der Krebspatient:innen heute nicht ausschliesslich in Universitätsspitäler behandelt werden.
Weshalb ist die klinische Forschung für die Patient:innen von Bedeutung?
Die Teilnahme an einer klinischen Studie ist für Krebserkankte, bei welchen alles versucht wurde, oft die letzte Hoffnung, ein neues Medikament auszuprobieren. Darüber hinaus profitieren Krebspatienten gleichermassen von neuen Erkenntnissen, die zu einer besseren Behandlung führen.
Was hat das Swiss Cancer Institute, resp. die SAKK in den vergangenen 60 Jahren erreicht?
Ganz viel. Erstens tragen wir dazu bei, dass nicht profitorientierte klinische Forschung in der Schweiz über die führenden Zentren in allen Krebsarten überhaupt möglich ist. Bevor die Pharmaindustrie in der Schweiz auf eine:n Arzt oder Ärztin zugeht für die Teilnahme an einer Krebsstudie, muss sich der Arzt oder die Ärztin ein gewisses Renommee erarbeiten. Das ist eigentlich nur dank einer Organisation wie des Swiss Cancer Institute, resp. der SAKK möglich. Wir unterstützen klinische Krebsforschung und ermöglichen Publikationen. Zweitens ermöglichen wir mit relativ wenig Mitteln einen grossen Impact. Kliniker:innen machen die Studien mit uns. Sind die Resultate bekannt, wenden sie diese direkt in der Praxis an. Drittens tragen die Studien dazu bei, teure Krebsmedikamente gezielt und kosteneffizient einzusetzen.
Aber für diese Arbeit ist es schwierig, Gelder zu finden?
Wir haben heute mindestens sechs Studien in der Pipeline mit dem Potenzial, jährlich bis zu 50 Millionen Franken Gesundheitskosten einzusparen. Für die wichtigsten Studien liegt der Finanzierungsbedarf pro Studie bei einer bis drei Millionen Franken. Dennoch gelingt es uns im Moment nicht ganz, die Studien zu finanzieren. Herausfordernd ist, dass bis heute unklar ist, ob Krankenversicherer nur Leistungen zahlen dürfen, die im Krankenversicherungsgesetz definiert sind oder aber ob sie die Möglichkeit hätten, sich aus der Grundversicherung an wichtigen Therapieoptimierungsstudien zu beteiligen. Das hätten wir gerne geklärt.
Erfolg oder Misserfolg werden davon abhängen, wie es uns gelingt, unsere finanziellen Einnahmequellen zu diversifizieren.
Vincent Gruntz
Wie sehen Sie die generelle Entwicklung des Forschungsstandortes Schweiz?
Ich sehe einen starken, forschungsgetriebenen Standort mit Innovationen. Die eigene Regulierungsbehörde könnte man zum eigenen Vorteil nutzen, was aktuell noch zu wenig geschieht. Wir haben eine Community von Topforscher:innen. Gleichzeitig verzeichnen wir einen stetigen Rückgang bei klinischen Studien. Andere Länder sind in diesem Bereich viel aktiver.
Wovon sprechen wir?
Wenn wir schauen, was in Deutschland oder den USA vom Staat in den Bereich der akademischen klinischen Krebsforschung investiert wird, so ist das auch im Verhältnis zur Grösse der Länder noch immer mehr als zehn Mal mehr als in der Schweiz. Zudem zeigen andere kleinere Länder wie Belgien oder Neuseeland, was man besser machen kann, um die Studien anzuziehen. Kleine Länder haben die Herausforderung, dass sie nicht die gleich grossen Spitäler mit der Anzahl Patient:innen haben. Dieser Nachteil gilt es mit Innovation wettzumachen. Was überall eine Herausforderung ist: Ärzte und Ärztinnen stehen in einem Spital dermassen unter Zeitdruck, dass sie die klinische Forschung am Feierabend oder Wochenende erledigen. Sie müssen wir stärker unterstützen. Umso mehr bin ich vom Commitment und der Leidenschaft der 900 Forscher:innen inspiriert, die in unseren Forschungsgruppen mitarbeiten für wenig zusätzliches Geld.
Ist die Finanzierung der Studien die grosse Herausforderungen für die kommenden Jahre?
Erfolg oder Misserfolg werden davon abhängen, wie es uns gelingt, unsere finanziellen Einnahmequellen zu diversifizieren. Die Frage ist, schaffen wir es, Politik, Unternehmen, Krankenkassen und Spender:innen davon zu überzeugen, was unsere Arbeit bewirkt. Wir sind überzeugt, dass die Krebsmedikamente nachhaltig finanzierbar sind, dass sie genau dort und in der Dosierung eingesetzt werden können, dass sie am meisten nützen. Die zweite grosse Herausforderung betrifft unsere Organisation. Dass wir die Kohärenz nicht verlieren zwischen den verschiedenen Gruppen und Bedürfnissen. Wir sind die einzige Organisation, die sämtliche Krebsarten erforscht – auch seltene Tumore, für die es kein grosses kommerzielles Interesse gibt.
Neuer Auftritt und Name zum 60-Jahre-Jubiläum
Vor 60 Jahren gegründet heisst die SAKK (Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung) seit dem 1. Juli 2025 Swiss Cancer Institute.