Vincent Gruntz, CEO Swiss Cancer Institute, Bild: zVg

60 Jahre klini­sche Krebs­for­schung – mit neuem Namen

Seit dem 1. Juli heisst die SAKK neu Swiss Cancer Institute – clinical research for a cure tomorrow. Seit 60 Jahren engagiert sich die gemeinnützige Organisation in der klinischen Erforschung von Krebskrankheiten. Obschon die Ergebnisse der Studien grosses Einsparpotenzial für das Gesundheitswesen zeigen, bleibt die Finanzierung der Studien eine Herausforderung. CEO Vincent Gruntz spricht über das Potenzial und sagt, weshalb die Pharmaindustrie an diesen Fragestellungen wenig interessiert ist.

Vor 60 Jahren wurde die SAKK (Schwei­ze­ri­sche Arbeits­ge­mein­schaft für Klini­sche Krebs­for­schung) gegrün­det. Was war der Auslöser?

Damals war die Onko­lo­gie noch viel weni­ger frag­men­tiert als heute. Chef­ärzte deck­ten den ganzen Bereich ab. Gleich­zei­tig reali­sier­ten die Forschen­den, dass Forschung in einem Spital alleine nicht sinn­voll betrie­ben werden kann. Um belast­bare Resul­tate zu erhal­ten und ersten Patient:innen die Möglich­keit der Teil­nahme an einer klini­schen Studie zu bieten, muss man sich in der Schweiz zusam­men­schlies­sen. Die Grund­idee war: Klini­sche Forschung – nicht Grund­la­gen­for­schung – in der Schweiz voran­zu­trei­ben. Aus diesem Antrieb wurde die SAKK gegrün­det. Typisch Schwei­ze­risch. Dezen­tral und Bottom up.

Weshalb kommt nun der Namenswechsel?

Als die SAKK gegrün­det wurde, entstan­den in vielen Ländern Natio­nal Cancer Insti­tu­tes. Es hat sich in den vergan­ge­nen Jahren gezeigt, dass gerade im inter­na­tio­na­len Austausch der Name SAKK oft nicht verstan­den wird. Nach dem Vorbild der natio­na­len Cancer Insti­tu­tes im Ausland heis­sen wir jetzt Swiss Cancer Insti­tute – clini­cal rese­arch for a cure tomor­row. Das Swiss bringt unsere natio­nale Veran­ke­rung zum Ausdruck und mit dem clini­cal beton­ten wir, dass wir klini­sche und nicht Grund­la­gen­for­schung betrei­ben. Das Insti­tute steht im Namen, weil alle Univer­si­täts­spi­tä­ler dazu­ge­hö­ren und wir einen offi­zi­el­len staat­li­chen Auftrag haben.

Das ist die Kern­idee des Swiss Cancer Insti­tute: akade­mi­sche, nicht gewinn­ori­en­tierte klini­sche Forschung aller Krebsarten. 

Vincent Gruntz, CEO Swiss Cancer Institute

Weshalb braucht es Ihr Enga­ge­ment, den Einsatz einer nicht gewinn­ori­en­tier­ten Orga­ni­sa­tion über­haupt? Ist Krebs als gesamt­ge­sell­schaft­li­ches Thema für die Privat­in­dus­trie nicht attrak­tiv genug?

Wir müssen unter­schei­den zwischen kommer­zi­el­ler profit­ori­en­tier­ter Krebs­for­schung. Hat ein Unter­neh­men ein neues Mole­kül entwi­ckelt und erforscht dessen Wirkung in der Krebs­be­hand­lung, macht ein Unter­neh­men dazu klini­sche Studien. Aber ganz viele Fragen blei­ben unbe­ant­wor­tet, die kein kommer­zi­el­les Inter­esse abde­cken. Diese will das Swiss Cancer Insti­tute mit klini­schen Studien beantworten.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Es gibt bspw. Pati­en­ten­grup­pen wie jene mit Neben­er­kran­kun­gen. Sie entspre­chend der klini­schen Reali­tät. In den Studien der Phar­ma­in­dus­trie sind sie nicht abge­deckt. Oder gerade auch Thera­pie­op­ti­mie­rungs­stu­dien sind typi­sche Beispiele.

Thera­pie­op­ti­mie­rungs­stu­dien macht die Indus­trie nicht?

Ein Beispiel: Die Phar­ma­in­dus­trie hat in der eige­nen Studie eine gewisse Dosie­rung unter­sucht. Mit der Erfah­rung zeigt sich, dass mit einer tiefe­ren Dosie­rung diesel­ben guten Resul­tate erzielt werden. Aktu­ell läuft bspw. eine grosse Studie zu einem Medi­ka­ment für Knochen­krebs. Sie soll aufzei­gen, dass die Abgabe alle drei Monate gleich gut wirkt, wie eine monat­li­che Abgabe. Für eine solche Studie gibt es in der Indus­trie kein Inter­esse. Das ist die Kern­idee des Swiss Cancer Insti­tute: akade­mi­sche, nicht gewinn­ori­en­tierte klini­sche Forschung aller Krebs­ar­ten. Und da wir nicht gewinn­ori­en­tiert sind, erhal­ten wir auch Gelder des Bundes.

Wir haben heute mindes­tens sechs Studien in der Pipe­line mit dem Poten­zial, jähr­lich bis zu 50 Millio­nen Fran­ken Gesund­heits­kos­ten einzusparen. 

Vincent Gruntz

Wo liegt die Heraus­for­de­rung bei der Finan­zie­rung ihrer Studien?

Viele klini­sche Studien finden heute nicht mehr in der Schweiz statt. Hier wollen wir einsprin­gen. Das ist nicht einfach. Die Gelder des Bundes werden weni­ger. Aber klini­sche Forschung braucht im Gegen­satz zu Grund­la­gen­for­schung mehr Zeit und Ressour­cen. Ausser­dem brau­chen wir mehr Visi­bi­li­tät. Wir stehen in Konkur­renz mit ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen, die im Namen der Krebs­for­schung auftre­ten. Aller­dings sind wir in der Schweiz die einzige Orga­ni­sa­tion, die in dieser Breite  und zusam­men mit allen führen­den Krebs­kli­ni­ken wirk­lich klini­sche Krebs­for­schung betreibt. Wir haben einen Leis­tungs­auf­trag des Staats­se­kre­ta­riat für Bildung, Forschung und Inno­va­tion. Bei uns sind alle Univer­si­täts­spi­tä­ler und die führen­den kanto­na­len Spitä­ler Mitglied. Das ist entschei­dend, weil bis zu 80 Prozent der Krebspatient:innen heute nicht ausschliess­lich in Univer­si­täts­spi­tä­ler behan­delt werden.

Weshalb ist die klini­sche Forschung für die Patient:innen von Bedeutung?

Die Teil­nahme an einer klini­schen Studie ist für Krebs­er­kankte, bei welchen alles versucht wurde, oft die letzte Hoff­nung, ein neues Medi­ka­ment auszu­pro­bie­ren. Darüber hinaus profi­tie­ren Krebs­pa­ti­en­ten glei­cher­mas­sen von neuen Erkennt­nis­sen, die zu einer besse­ren Behand­lung führen.

Was hat das Swiss Cancer Insti­tute, resp. die SAKK in den vergan­ge­nen 60 Jahren erreicht?

Ganz viel. Erstens tragen wir dazu bei, dass nicht profit­ori­en­tierte klini­sche Forschung in der Schweiz über die führen­den Zentren in allen Krebs­ar­ten über­haupt möglich ist. Bevor die Phar­ma­in­dus­trie in der Schweiz auf eine:n Arzt oder Ärztin zugeht für die Teil­nahme an einer Krebs­stu­die, muss sich der Arzt oder die Ärztin ein gewis­ses Renom­mee erar­bei­ten. Das ist eigent­lich nur dank einer Orga­ni­sa­tion wie des Swiss Cancer Insti­tute, resp. der SAKK möglich. Wir unter­stüt­zen klini­sche Krebs­for­schung und ermög­li­chen Publi­ka­tio­nen. Zwei­tens ermög­li­chen wir mit rela­tiv wenig Mitteln einen gros­sen Impact. Kliniker:innen machen die Studien mit uns. Sind die Resul­tate bekannt, wenden sie diese direkt in der Praxis an. Drit­tens tragen die Studien dazu bei, teure Krebs­me­di­ka­mente gezielt und kosten­ef­fi­zi­ent einzusetzen.

Aber für diese Arbeit ist es schwie­rig, Gelder zu finden?

Wir haben heute mindes­tens sechs Studien in der Pipe­line mit dem Poten­zial, jähr­lich bis zu 50 Millio­nen Fran­ken Gesund­heits­kos­ten einzu­spa­ren. Für die wich­tigs­ten Studien liegt der Finan­zie­rungs­be­darf pro Studie bei einer bis drei Millio­nen Fran­ken. Dennoch gelingt es uns im Moment nicht ganz, die Studien zu finan­zie­ren. Heraus­for­dernd ist, dass bis heute unklar ist, ob Kran­ken­ver­si­che­rer nur Leis­tun­gen zahlen dürfen, die im Kran­ken­ver­si­che­rungs­ge­setz defi­niert sind oder aber ob sie die Möglich­keit hätten, sich aus der Grund­ver­si­che­rung an wich­ti­gen Thera­pie­op­ti­mie­rungs­stu­dien zu betei­li­gen. Das hätten wir gerne geklärt.

Erfolg oder Miss­erfolg werden davon abhän­gen, wie es uns gelingt, unsere finan­zi­el­len Einnah­me­quel­len zu diversifizieren. 

Vincent Gruntz

Wie sehen Sie die gene­relle Entwick­lung des Forschungs­stand­or­tes Schweiz?

Ich sehe einen star­ken, forschungs­ge­trie­be­nen Stand­ort mit Inno­va­tio­nen. Die eigene Regu­lie­rungs­be­hörde könnte man zum eige­nen Vorteil nutzen, was aktu­ell noch zu wenig geschieht. Wir haben eine Commu­nity von Topforscher:innen. Gleich­zei­tig verzeich­nen wir einen steti­gen Rück­gang bei klini­schen Studien. Andere Länder sind in diesem Bereich viel aktiver.

Wovon spre­chen wir?

Wenn wir schauen, was in Deutsch­land oder den USA vom Staat in den Bereich der akade­mi­schen klini­schen Krebs­for­schung inves­tiert wird, so ist das auch im Verhält­nis zur Grösse der Länder noch immer mehr als zehn Mal mehr als in der Schweiz. Zudem zeigen andere klei­nere Länder wie Belgien oder Neusee­land, was man besser machen kann, um die Studien anzu­zie­hen. Kleine Länder haben die Heraus­for­de­rung, dass sie nicht die gleich gros­sen Spitä­ler mit der Anzahl Patient:innen haben. Dieser Nach­teil gilt es mit Inno­va­tion wett­zu­ma­chen. Was über­all eine Heraus­for­de­rung ist: Ärzte und Ärztin­nen stehen in einem Spital dermas­sen unter Zeit­druck, dass sie die klini­sche Forschung am Feier­abend oder Wochen­ende erle­di­gen. Sie müssen wir stär­ker unter­stüt­zen. Umso mehr bin ich vom Commit­ment und der Leiden­schaft der 900 Forscher:innen inspi­riert, die in unse­ren Forschungs­grup­pen mitar­bei­ten für wenig zusätz­li­ches Geld.

Ist die Finan­zie­rung der Studien die grosse Heraus­for­de­run­gen für die kommen­den Jahre?

Erfolg oder Miss­erfolg werden davon abhän­gen, wie es uns gelingt, unsere finan­zi­el­len Einnah­me­quel­len zu diver­si­fi­zie­ren. Die Frage ist, schaf­fen wir es, Poli­tik, Unter­neh­men, Kran­ken­kas­sen und Spender:innen davon zu über­zeu­gen, was unsere Arbeit bewirkt. Wir sind über­zeugt, dass die Krebs­me­di­ka­mente nach­hal­tig finan­zier­bar sind, dass sie genau dort und in der Dosie­rung einge­setzt werden können, dass sie am meis­ten nützen. Die zweite grosse Heraus­for­de­rung betrifft unsere Orga­ni­sa­tion. Dass wir die Kohä­renz nicht verlie­ren zwischen den verschie­de­nen Grup­pen und Bedürf­nis­sen. Wir sind die einzige Orga­ni­sa­tion, die sämt­li­che Krebs­ar­ten erforscht – auch seltene Tumore, für die es kein gros­ses kommer­zi­el­les Inter­esse gibt.


Neuer Auftritt und Name zum 60-Jahre-Jubiläum

Vor 60 Jahren gegrün­det heisst die SAKK (Schwei­ze­ri­sche Arbeits­ge­mein­schaft für Klini­sche Krebs­for­schung) seit dem 1. Juli 2025 Swiss Cancer Institute.

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